Musik
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“Auf der Bühne stehen ist wie Feuer”

Der besondere Kick im Rampenlicht: Empfinden Künstler besonders viel Euphorie? Eine Feldrecherche

Dunkelheit. Das Herz rast. Durch die geschlossenen Augen strahlen rot die Lichter. Schweiß rinnt den Rücken hinunter. Dann brandet Applaus auf, das Klatschen hört sich an wie starker Regen. Was fühlt man da? Explodieren in den Synapsen bunte Feuerwerke, das Ego schießt wie auf einer Rakete durch das Universum? Sind Schauspieler oder Musiker, die diese Energie jeden Abend spüren, automatisch glückliche Menschen? Ich habe verschiedene Künstler befragt, wann bei ihnen die Glückshormone rauschen und sie auf den Wellen der Euphorie davonsegeln. Die Antworten – höchst unterschiedlich.

Michael Pink steht seit zwanzig Jahren auf der Bühne, in großen und kleinen Theatern und Konzertsälen, mal als Schauspieler, mal als Sänger. Zuletzt trat er als Richard III im Globe Wien auf, das letzte Jahr war er eher in Fernseh- und Kinoproduktionen engagiert. Jeder dieser Auftritte sei anders, erzählt er bei Kaffee und Zigaretten im Interview bei Lehmbrucks. Was aber in jedem einzelnen Fall zu Euphorie führt, ist die Verbindung zu den Zuschauern. Ohne ihre Begeisterung könnte der Künstler keine Euphorie empfinden. Zufriedenheit, dass etwas geklappt hat, Stolz, über die erbrachte Leistung, das schon. Für einen euphorischen Moment aber braucht es mehr. „Euphorie ist das Geschenk des Publikums an den Künstler. Es ist das weiche Kissen, in das man sich nach dem Auftritt fallen lassen kann, alle seine Zweifel und Gedanken, was nicht gut lief, was besser hätte funktionieren müssen, kann man dann beiseite schieben und sich dem Glücksgefühl hingeben.“

„Euphorie ist das Geschenk des Publikums an den Künstler.”

 

Doch damit nicht genug: Euphorie ist für Pink nicht nur der Kick, wenn man die Begeisterung der Zuschauer direkt spürt, sondern kommt in Wellen auch in den folgenden Tagen wieder. Wenn nach einer gelungenen Premiere ausgelassen mit den Kollegen gefeiert wird, die ersten lobenden Kritiken eintrudeln, sich Folgeaufträge ergeben oder, wie jüngst, eine Nominierung als bester Nebendarsteller (in Adrian Goigingers „Die beste aller Welten“) für den österreichischen Filmpreis verkündet wird. Anerkennung durch die Fachcommunity gehört zu den Höhepunkten einer künstlerischen Karriere und erreicht den maximalen Ausschlag auf dem Euphoriebarometer. Michael Pink ist gerade ein glücklicher Mensch.

Philipp Ressel steht als Frontmann der Band Riders Connection seit 10 Jahren auf der Bühne, sei es bei Straßenmusik, europaweiten Festivals oder Fernsehauftritten. Seine bisherigen Erfahrungen könnten bunter nicht sein, mal zu Gast bei der Abendschau im Bayerischen Rundfunk, am nächsten Tag barfuss im Mauerpark. Egal, ob man vor 50 oder 500 Menschen spielt, es gehe immer darum, ob man es schafft, zu überzeugen, erzählt er, als wir gemütlich in seinem Zimmer sitzen. Das funktioniert bei größeren Veranstaltungen meistens besser, was auch der Gruppendynamik geschuldet ist. Große Events sind professioneller vorbereitet, das Konzert ist über langen Zeitraum hinweg angekündigt und auf Social Media Plattformen beworben worden und es gibt jede Menge Erwartungen. Die Atmosphäre in einem ausverkauften Laden wie beispielsweise dem Lido ist von Anfang an aufgeladen. Der Moment, wenn sich die Musiker auf der Bühne der Reihe nach hinsetzen und und das Publikum es ihnen gleichtut, ist für Philipp magisch. „Wenn du es schaffst, einen Laden komplett still zu bekommen, alle Aufmerksamkeit zu bündeln, ist das sogar noch schöner als ein krasser Applaus. Ich bin mir meiner Macht auf der Bühne sehr bewusst. Die Leute folgen dir.“

„Ich bin mir meiner Macht auf der Bühne sehr bewusst.”

 

Wenn man auf Festivals  hingegen als einer von vielen auftritt, ist die Aufregung und Anspannung größer, man muss das Publikum überzeugen und gewinnen. „Aber es ist toll, wenn man es dann schafft, alle zum Tanzen zu bewegen. Das hat auch viel mit einem selber zu tun, wie man sich gerade fühlt, ob man sich selbst mag, ob man verliebt ist oder nicht, ob man seine Band gerade gut leiden kann. Das ist ein Zusammenspiel aus vielen Dingen.“ In jedem Fall aber ist es ein Austausch an Energie.  „Es ist egal, wer im Publikum steht. Ich sehe da nur Menschen, die unsere Musik geil finden. Bei kleineren Konzerten, wenn ich nicht so viel Energie hatte, habe ich mir eine Frau rausgesucht, die ich schön fand, und habe sie für das Konzert lang zu meiner Muse gemacht. Dann habe ich nur für sie gespielt. Das gibt mir manchmal Kraft. Auf der Bühne ist die Musik der Sex, da hast du Sex mit deiner Band.“

Es ist wie ein Spiel: Das Publikum spürt die Energie des Künstlers und wird von ihr erfasst. Das kann man auch nicht faken, sagt Fritjof Rödel, der Gitarrist von Northern Lite. Er ist seit 2006 dabei, blickt aber auf 20 Jahre Erfahrung als Musiker, Produzent und Sounddesigner zurück. Ein müder Haufen Musiker wird die Massen nicht begeistern. Doch der Künstler unterscheidet nach langjähriger  Bühnenerfahrung sein Empfinden von Euphorie. Das Auftreten im Konzert gleicht für ihn einem technischen Prozess, man ist hochkonzentriert und darf sich keinen Fehler erlauben. Klar, es ist toll, wenn man die Menschen mitreißt, das gehört ja auch zur Aufgabe, aber wirklich euphorische Momente kennt Rödel inzwischen eher im Kollegenkreis, wenn aus einer Idee Musik wird. „Als Künstler langweilt man sich schnell, das repetitive Element bei Konzerten nervt. Denn als Künstler will man ständig was Neues machen, aber alle wollen immer den einen Song hören. Deswegen hält sich das mit der Euphorie auf der Bühne auch in Grenzen.”

„Als Künstler will man ständig was Neues machen, aber alle wollen immer den einen Song hören.”

 

„Die euphorischsten Momente liegen für mich im Kreieren von der Musik, wenn man sie sich ausdenkt, wenn man sie schreibt, sie produziert. Wenn aus Nichts dann Etwas entsteht. Konzerte und Auftreten sind eher ein technischer Vorgang. Die wirklich interessanten Momente hat man meist alleine oder mit Kollegen. Der Musiker hat nur Töne im Kopf, da ist nichts Greifbares. Daraus etwas zu schaffen, ist ein abstrakter, bizarrer Vorgang. Wenn es Dir gelingt, eine echte Emotion darin einzukochen, wie in einem Marmeladenglas für alle Zeiten, dann ist das definitiv ein euphorischer Moment.“

Northern Lite – I see a darkness “live @ Domplatz Erfurt 2016”

Sil-Yan steht als DJ Craft seit 17 Jahren auf der Bühne. Die Band K.I.Z. hat 5 LPs herausgebracht und füllt mittlerweile die Wuhlheide, in die 18 000 Menschen passen. K.I.Z interagiert stark mit dem Publikum und fordert es zum Mitmachen auf.  Es sei berauschend, so viele Menschen zu animieren, gibt Sil-Yan zu. „Die Euphorie fühle ich sofort nach einem geglückten Move. Wenn alles gepasst hat, setzt das Glücksgefühl ein, man freut sich darüber, dass die Leute abgehen und und man die Wirkung erzielt hat, die man sich erhofft hatte.“ Wie viele Hände er dabei in die Höhe bewegt, sei ab einer bestimmten Größe fast egal. „Wenn ich als DJ vor 200 Leuten auflege, empfinde ich auch Euphorie, aber es ist eine andere, als wenn ich mit K.I.Z vor 5000 Leuten stehe. Aber ob ich vor 5000 Leuten stehe oder vor 18 000, macht keinen großen Unterschied. Das sind einfach nur viele Menschen.“

„Die Euphorie fühle ich sofort nach einem geglückten Move.”

 

Auf  Tourneen, bei den immer wieder die gleichen Stücke gespielt werden, setzt dann eine Routine ein, die Abläufe sitzen, die Aufregung ist größtenteils weg. „Natürlich freut man sich immer noch und es gibt auch euphorische Momente, aber dann gehe ich von der Bühne und schon 15 Minuten später daddel ich auf dem Handy rum. Wenn wir ein neues Album haben und die neuen Lieder spielen, dann sind wir neugierig auf die Reaktion der Leute und wenn die Reaktion dann so ist wie erhofft und alle gehen ab, dann klar, dann ist die Euphorie wieder voll da und hält auch länger an.“

Doch wie jedes gute Gefühl gibt es auch ein Sucht-Element. Man möchte die Euphorie immer wieder erleben, sich wieder und wieder auf den berauschenden Wellen davontragen lassen. Philipp Ressel ist sich dessen sehr bewusst: „Ich bin auf eine Art süchtig danach, ich brauche das. Wenn ich länger nicht auf der Bühne stehe, dann fehlt mir etwas. Dieses Gefühl, auf der Bühne zu sein, kann man mit nichts ersetzen und es lässt sich mit nichts vergleichen. Das bekommt man auch nicht, wenn die Freundin sagt, dass man tolle Songs schreibt und sie einen über alles liebt. Zweifellos ist das schön zu hören, das gibt einem ein ganz warmes Gefühl, in das man sich reinlegen möchte, aber einen euphorischen Kick gibt das einem nicht. Auf der Bühne zu stehen ist dagegen wie Feuer. Es ist ein Rausch, den man immer wieder haben will.“

  • © Isabella Nadobny
Illustration: Heike Fischer

Illustration: Heike Fischer

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Kategorie: Musik

Isabella Nadobny

Isabella Nadobny startet den Tag mit einem Kaffee auf ihrem Balkon, liest dabei die ZEIT oder pflegt liebevoll eine ihrer fünf Kameras. Nebenbei poppen Nachrichten ihrer Freunde auf, die sie (ganz egal mit was) zum Lachen bringen. Ihre Leidenschaft für Worte und Bilder verstärkte sich durch das Studium der Slawischen Sprachen und Fotografie und wird jetzt als Bildredakteurin bei der Deutschen Welle ausgelebt. Anregende Gespräche und eine Tagesstruktur sind essenziell für ihre Zufriedenheit.

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