Gesellschaft, Musik
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Musik fühlen, Texte gebärden

Cindy Klink gebärdet "Ist da jemand?" von Adel Tawil. (Screenshot YouTube)

Cindy Klink ist schwerhörig und liebt Musik. Auf YouTube übersetzt sie Popsongs in Gebärdensprache. Davon erzählt sie auch in ihrem Buch “Hören wird überbewertet.”

Cindy Klink zeigt mit gestrecktem Zeigefinger nach oben, ihre Hände bewegen sich vor und zurück, dann zieht sie zwei Finger Richtung Herz. „Ist da jemand, der an mich glaubt?“ singt Adel Tawil. Die schlanke Frau mit den blonden, langen Haaren verzieht das Gesicht, ihre Bewegungen sind schnell und fließend. Ihr Körper schwingt im Takt der Musik, sie tanzt. Seit ihrem dritten Lebensjahr ist Cindy Klink hochgradig schwerhörig. Seit ein paar Jahren gebärdet sie auf YouTube Popsongs.

„Wisst ihr, was ich an Musik so bezaubernd finde? Der Enthusiasmus, der sich dahinter verbirgt“, schreibt Cindy Klink in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Hören wird überbewertet.“ Hier erzählt sie offensiv ihre Geschichte und räumt gezielt mit Vorurteilen auf. Zum Beispiel damit, dass Gehörlose nicht tanzen könnten, weil sie die Musik nicht hören: Sie fühle den Bass im ganzen Körper, erklärt Klink. Doch für die Texte brauche es Übersetzungen. So wie ihre zum Beispiel.

Die 21-Jährige lebt in einem kleinen Ort an der Mosel und macht gerade eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten, parallel zu ihrem Abitur. Im Oktober 2015 stellt sie ihr erstes Gebärdevideo online. Ein großer Schritt für sie: „Ich war früher nie beliebt und wollte es auch nicht sein. Doch durch den Auftritt in der Öffentlichkeit lerne ich auf Menschen zu zugehen und gewinne an Selbstbewusstsein.“ Das schreibt Cindy Klink im Chat-Interview. Es ist für sie eine Kommunikationsform, bei der „keine Anstrengungen gefragt ist und es keine Missverständnisse gibt.“ In ihrem Alltag sehe das häufig anders aus: „Was mich ziemlich nervt ist, wenn der Gesprächspartner weiß, dass ich gehörlos bin und sich keine Mühe macht, sich mit mir zu unterhalten, weil es zu ‚anstrengend‘ ist“, schreibt Klink.

“Gebärdensprache ist meine Muttersprache”

Cindy Klink wächst bilingual auf. Ihre Eltern sind beide gehörlos und kommunizieren mit ihr und ihren beiden Geschwistern in der Gebärdensprache. „Meine Oma hat sich irgendwann gewundert, weshalb ich den Fernseher immer lauter aufdrehe und warum ich ihre Rufe nicht höre“, schreibt Klink. Als ein Hörtest zeigt, dass ihre Enkelin, so wie ihr Sohn, taub ist, setzt Klinks Großmutter alles daran, ihr sprechen beizubringen. Cindy ist heute froh darüber: „Gebärdensprache ist meine Muttersprache.“ Doch da sie “beruflich nicht an der Kante sitzen möchte“ sei es wichtig für sie auch in Lautsprache zu kommunizieren.

Cindy Klink bewegt sich zwischen zwei Welten. Ihre Schwerhörigkeit ist erblich bedingt, sie wächst in einem Umfeld mit vielen Gehörlosen auf. Durch Hörgeräte kann sie ein wenig hören, doch es ist mit Anstrengung verbunden. Im Kindergarten wird Klink wegen ihrer Behinderung gemobbt. Kinder stempeln sie als „Freak“ mit „komischen bunte Ohren“ ab. Ihre Hörgeräte machen sie zur Außenseiterin, sie erlebt körperliche Übergriffe und Ausgrenzung. Sie beginnt sich zurück zu ziehen, hat keine hörenden Freunde. Doch auch von Gehörlosen erfährt sie Diskriminierung. Eben weil sie etwas hören kann: „Mit dem einen Fuß bin ich in der Welt der Hörenden und mit dem anderen Fuß in der Welt der Gehörlosen. Man weiß nie, zu welcher Kategorie man gehört, und man wird von der einen und von der anderen Seite nicht wirklich akzeptiert.“

In ihrem Buch schreibt Cindy Klink offen und schonungslos von ihren Mobbingerlebnissen, von der Gewalt, die sie erfahren hat. Sie nutzt die neue, analoge Plattform im Gegensatz zu ihren Videos, um ihrer Wut über Erlebtes Luft zu machen, aber auch um Wissen über ihre Behinderung zu publizieren. Vorurteile hätten ihr schon häufig im Weg gestanden mit Hörenden in den Austausch zu kommen. Und manchmal, da hat auch sie keine Lust sich zu erklären: „Ich weiß das ich einen Sprachfehler habe und man mich durch das Lispeln nicht wirklich ernst nimmt. Ich bin gern unter Leuten, aber nur wenn man mich sieht und wenn man sich gerne mit mir unterhält.“

Übersetzungen in Gebärdensprache gibt es noch zu wenige

Im Internet bekommt sie viel Zuspruch für ihre Videos. Auf ihrem Kanal finden sich bislang vorrangig Übersetzungen zu deutschen, melancholischen Liedern. Sie wähle Songs aus, die sie berühren, erklärt sie. Durch Musiker, die ihre Videos auf ihren Facebookseiten teilten, bekommt sie 2016 schlagartig viele Zuhörer*innen, inzwischen ist Klink mit den Songs in Gebärdensprache auch aufgetreten: „Am Anfang wollte ich damit Gehörlose erreichen, da ich nicht dachte, dass es die Hörenden interessiert.“ Heute bekommt die Youtuberin fast täglich Nachrichten, dass Menschen durch ihre Videos inspiriert seien die Gebärdensprache zu lernen. Eine Tatsache, die Gehörlose zwiespältig aufnehmen, meint Klink: „Aus meiner Sicht kann ich nur sagen: Jeder der die Gebärdensprache lernt, hat meinen Respekt.“ Doch sie kenne Gehörlose, die es seltsam fänden und den Aufwand nicht verstehen können, die Gebärdensprache als ihre eigene Kultur begreifen.

Vereinzelt gibt es bei Konzerten, etwa von Revolverheld oder AnnenMayKantereit, und bei Festivals bereits simultan Übersetzungen in Gebärdensprache. Cindy Klink wünscht sich mehr davon: „Ich würde gerne mal Comedyshows besuchen, aber ich weiß schon, dass ich sie überhaupt nicht verstehen würde und wenn das ganze Publikum lacht, finde ich es schade, dass ich nicht weiß, worüber gelacht wird,“ so Klink. „Bei Konzerten sei es anders, denn da spüre sie die Musik: „Ich würde sie aber auch gerne verstehen.“  Cindy Klink kann sich gut vorstellen, häufiger Lieder zu übersetzen. Gerne würde sie das mal mit einer Band live auf der Bühne machen – und natürlich weiterhin bei YouTube.

Cindy Klink „Hören wird überbewertet, 91 Seiten, Hirnkost KG 2018, 12 Euro

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