Musik
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Su. In Blau, Schwarz und Grün.

Wassersinfonie von Lena Philipp
Wassersinfonie von Lena Philipp

Eine Klangreise durch das Wasser von Fazil Say und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Ariane Matiakh

Es ist eine dieser klaren Frühherbstnächte, die die Konturen in den Schatten hervorheben. Über dem Gendarmenmarkt in Berlin steht der abnehmende Mond. Das Konzerthaus ragt gewaltig in die Dunkelheit. Man kann sie eine romantische Nacht nennen oder eine magische. In diese klare Herbstnacht spielt der türkische Komponist und Pianist Fazil Say gemeinsam mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Ariane Matiakh seine Wassermusik: Water (Su). In Blau, Schwarz und Grün. Die drei Sätze sind eine Klangreise durch das wohl vielfältigste aller Elemente.

Wasser schenkt Leben. Leben kommt aus dem Wasser und geht zum Wasser zurück. Wasser bedeutet Leben. Leben entsteht aus Wasser.“ (Fazil Say)

Im Konzertsaal sind an diesem Abend fast alle Plätze belegt. Das Publikum ist vielfältig. Junge und alte Gesichter werden von den hellen Kronleuchtern vor dem Konzert angestrahlt. Hinzu kommt das Licht einiger Handybildschirme, die den prunkvollen Saal ablichten. Die Platzanweiserin des ersten Ranges rechts fotografiert noch schnell auf eine Bitte hin die Familie in der ersten Reihe. Dann erlöschen die Kronleuchter, es bleibt hell auf der Bühne und das Orchester tritt auf.

Während Matiakh bestimmt die Italienische Sinfonie Felix Mendelssohn Bartholdys dirigiert, einen der drei Teile des Konzertes an diesem Samstagabend, wird der Holzsitz in der dritten Reihe im Rang zunehmend unbequem. Die vier Sätze erzählen distanziert aber präzise vom Weichen der Dunkelheit, der aufgehenden Sonne und dem fortschreitenden Tag und ziehen gemächlich vorbei. Es folgt ein angemessener Applaus. Ein verhaltener Genuss. Der Höhepunkt des Abends steht noch bevor: die Reise durch das Wasser.

1. Satz

Als Say die Bühne betritt lächelt er herzlich. Die Säume und die Knopfleiste seines Hemdes erstrahlen in kräftigem Blau. Wasserblau.

Ebbe und Flut von Lena Philipp

Ebbe und Flut von Lena Philipp

Say setzt sich an den Flügel und spielt einzelne Töne. Lässt das Wasser tropfen, bis es übergeht in eine fließende Melodie, dann in sanfte Wellen. Es beginnt eine Reise und die goldenen Säulen und der glitzernde Stuck des Konzertsaals verschwinden. Auch die harten Sitzreihen und all die anderen Menschen um mich herum sind bald vergessen. Ebbe und Flut. Die Ocean Drum bringt das Wasser zum Rauschen. Ein Glockenspiel klingt im Wind.

Dann lassen dumpfe Trommeln in die aufregenden Tiefen des blauen Meeres abtauchen. Ich schaue mich um in dieser rätselhaften Welt unter dem Meeresspiegel. Sanft höre ich das Klavier aus der Ferne. Das Wasser umgibt mich stetig. Sowie die Streichinstrumente, die Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner, Trompeten, Posaunen. Sie bringen die See zum Wogen. Die Tiefe wirkt plötzlich bedrohlich. Die Kraft des Wassers beängstigend. Das Spiel wird stockend, die Percussions reißen mich aus der gefährlichen Tiefe, lassen mich straucheln. Ich tauche auf, höre die Wellen um mich herum. Nur die Wellen. Die Ocean Drum führt mich in die Stille. Ich verlasse „Mavi Su“, das blaue Wasser.

2. Satz

Die Pauke schlägt fragend in die Stille. Schwarzes Wasser. Das Kontrafagott antwortet tief. Im Wald liegt verborgen ein dunkler See. Tief in seiner Mitte. Düster, undurchschaubar sein Wasser. Die Schläge der Pauke schreiten voran. Es ist dunkel unter den dichten Bäumen. Ein Frosch quakt in die Stille. Ein Uhu antwortet. Ratsche, Flöte. Pauke. Immer wieder Klavier. Das Glockenspiel lässt einen Lichtstrahl durch das Blätterdach blitzen und wirft helle Punkte auf die Wasseroberfläche des Sees. Überraschend lockt das Daxophon schüchterne Tiere aus dem geheimnisvollen Wald. Das Klavier spricht nachdenklich und melancholisch über das gemächliche, klare Streichen der Violinen und Bratschen. Mit den Trommeln sind die Tiere um den See versammelt. Say greift in den Kasten des Flügels und ich tauche in den tiefen See. „Kara Su“, schwarzes Wasser. Begleitet von den unergründlichen Klängen des Waterphons schaue ich mich verwirrt um in der zauberhaften Unterwasserwelt des Waldsees. Hier unten ist das Schwarz des Wassers ein tiefes Blau und grüne Pflanzen schlingen sich mit den Schlägen der Tasten vom Wassergrund in die Höhe. Ich tauche nicht wieder auf.

Am Rande von Lena Philipp

Am Rande von Lena Philipp

3. Satz

Sanft streichen Hände über die an Schnüren hängenden Nussschalen. Es ist plötzlich taghell. Ein Bach schlängelt sich durch grüne Wiesen einer weiten Berglandschaft. Streichinstrumente und Says fließende Klavierklänge. „Yeşil Su“, das grüne Wasser springt durch die Wiesen, während im Hintergrund die grauen Berge unbeweglich stehen. Dann sind Posaunen und hohe Flöten zu hören, die den verspielten Fluss des Bergbachs antreiben. Es erklingen Trommeln und Blasinstrumente, das Bett des Baches wird steinig und das Wasser kommt den Bergen näher. Der Strom wird stärker, nähert sich dem Abgrund. Im Konzertsaal fliegen unzählige Hände über Tasten, Saiten und Felle. Das Wasser wird immer schneller. Dann stürzt es durch die kalte Felsspalte in die Tiefe.

Ein Becken fängt es auf. Mit den friedlichen Klängen von Flöten und Klavier verweilt „Su“ im Becken zwischen den erhabenen Bergen, ehe die Violinen es erneut auf eine Reise schicken. Die verspielten Töne von Says Klavier leiten es hinfort. Schon bald schlängelt es sich wieder gemächlich durch die von grünem Gras bewachsene, flache Landschaft des hohen Gebirges.

Wasser, triadisch von Lena Philipp

Wasser, triadisch von Lena Philipp

Dann bricht die Spannung im Saal. Eine Publikumsreihe nach der anderen steht auf. Der Saal ist sichtlich und hörbar begeistert von dieser außergewöhnlichen Komposition, dieser magischen Reise durch die Farben und Facetten des Wassers.

Nach der Pause ist der Sitz wieder unbequem. Strauss’ sinfonische Phantasie wirkt nach Says Wassermusik geradezu langweilig. Die Spannung fehlt, die Leidenschaft, die Lust zum Experiment und die Liebe zum Detail. Nach dem ersten Satz verlassen die ersten Zuschauer*innen den Saal. Andere ruckeln sich ungelenk auf den Sitzen zurecht. Die Dramaturgie des Abends ist fragwürdig.

Aber die Spannung der Wassermusik klingt nach und über dem Gendarmenmarkt steht noch immer der helle Mond dieser klaren Herbstnacht.

Fazil Says Wassermusik „Water“ (Su) und das gesamte Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, dirigiert von Ariane Matiakh, können Sie am 24. November 2018 im Kulturradio rbb um 20.04 Uhr nachhören. In Berlin auf UKW 92,4 MHz.

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Kategorie: Musik

Marie Hecht

Ein Haus am Meer mit flatternden Tüchern und eine solidarische Gemeinschaft jenseits von eingestaubten Machtstrukturen – davon träumt Marie Hecht. Die gebürtige Dortmunderin hat in Leipzig Kulturwissenschaften studiert. Neben ihrer Arbeit als freie Journalistin schreibt Marie feministische Lyrik, darunter eine Reihe mit dem Titel Radikale Fotze 1-6. Außerdem tanzt sie mit Leidenschaft, spaziert gerne den Maybachufermarkt entlang und arbeitet an einem Dokumentarprojekt zum Thema Permakultur in Portugal. Eine Sache, für die sich Marie wirklich gar nicht begeistern kann: unnütze Geldanhäufung.

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