Gesellschaft
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Ins Gedächtnis asphaltiert

Ihre Fotografien ähneln klassischer Straßenfotografie. Großformatige Schwarzweiß-Aufnahmen, die zunächst einmal gefällig wirken. Hinterfragt man die Motive, distanziert sich die Ausstellung jedoch klar von jeder Ästhetik, jedem Kunstwollen. „Blutiger Boden“ ist eine dokumentarische Aufarbeitung der zehn Morde an türkisch und griechisch stämmigen Männern sowie einer Polizistin, die zwischen 2000 und 2007 von der Terrororganisation NSU verübt wurden. Der Titel der Ausstellung bildet eine Analogie zu der nationalsozialistischen Propagandaformal „Blut und Boden“, der Vorstellung, dass ein gesunder Staat nur auf Basis „reinen“ Blutes existieren könne. Mit ähnlicher Ideologie mordete die NSU – skrupellos, hasserfüllt und kaltblütig.

Die Ausstellung katapultiert den Zuschauer direkt an den Ort des damaligen Geschehens. Wohnsiedlungen, Parkplätze, Ladenlokale, Bushaltestellen. Immer wieder sticht der nackte Asphalt ins Auge. Wie einen Protagonisten lässt Schmeken ihn zum zentralen Objekt ihrer Aufnahmen werden. Es ist der Boden, auf dem einst zehn Menschen aus Nürnberg, München, Köln, Rostock, Dortmund, Heilbronn und Kassel Opfer des rechtsradikalen Terrors wurden. Von den eigentlichen Protagonisten – Tätern und Opfern – fehlt jede Spur. Schmekens Aufnahmen entstanden zwischen 2013 und 2016, viele Jahre nach den Attentaten. So wirkt er ungreifbar, der im Raum schwebende Tod. Fußgänger passieren die Tatorte, es ist längst Normalität eingekehrt. Höchstens die Wasserpfützen erwecken den Anschein einer Blutlache. Hierfür bedarf es jedoch dunkler Fantasie.

Von einer Aufnahme wird der Zuschauer in die nächste übergeleitet. Die insgesamt 37 Fotografien, von denen jeweils drei bis vier einem Opfer zugeordnet werden, kleben förmlich aneinander. Der Zuschauer wird mit der Dichte an Ereignissen konfrontiert, obwohl er nur auf Straßenabschnitte blickt. Fast wie eine Filmsequenz hängen die Fotografien auf Augenhöhe. Die Spotlights im Ausstellungsraum bestrahlen lediglich die Fotografien, ansonsten ist es düster, keine Fenster, kein Tageslicht.

Regina Schmeken arbeitet seit 1977 mit dem Medium der Schwarzweißfotografie. Sie brilliert mit ihren Reportagen über Politik und Gesellschaft, der Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Wirklichkeit. Ihr Oeuvre, das insbesondere in ihrer 30-jährigen Laufbahn als Fotografin bei der „Süddeutschen Zeitung“ entstand, lässt erkennen, dass ihr die Verknüpfung von Journalismus und Fotokunst gelingt.

Auch in ihrer Ausstellung „Blutiger Boden“ weiß sie einen Bogen zwischen Motiv und Perspektive zu schlagen. Ihre Kamera positioniert sie zumeist auf den Boden, den „Ort der Hinrichtung“, wie sie ihn betitelt. Und doch wirken ihre Aufnahmen distanziert. Es bedarf viel Vorstellungskraft, sich in die Ereignisse der vergangenen Jahre hinein zu denken. Der kürzlich zu Ende gegangene Prozessmarathon um Beate Zschäpe hat die Gräueltaten der NSU immer wieder ins kollektive Gedächtnis gerufen, und doch wirkte er schon während seiner überlangen Dauer wie eine verjährte Akte.

Mit ihrer Ausstellung rückt Schmeken das Thema noch einmal in den Fokus der Aufmerksamkeit. Sie zwingt den Besucher förmlich zur Auseinandersetzung. Ihre Fotografien offenbaren weder Details, noch geben sie Antworten auf das Geschehene. Wo sich die Fotografie sonst so gerne ihrer selbsterklärenden Wirkung bedient, hinterfragen  Schmekens Arbeiten sie. Ihre Ausstellung soll ein Stück weit Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit leisten. Aufklärungsarbeit, die angesichts der in Vergessenheit geratenen Geschehnisse bitter nötig ist. Und doch liegt es am Betrachter, sich dieser Herausforderung zu stellen. Anderenfalls blickt er nur auf großformatige Schwarzweißfotografien alltäglicher Straßenszenerien.

Foto: Tatort Köln Keupstraße, wo am 09.06.2004 22 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. © Regina Schmeken, 2013

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