Kunst
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Die Bilder ziehen lassen: Herlinde Koelbl im Portrait

Wohnzimmer gesammelt: Herlinde Koelbls Sicht auf die deutsche Stube, 1980

Wohnzimmer gesammelt: Herlinde Koelbls Sicht auf die Deutsche Stube, 1980

 Mal vier, mal 14 Jahre: Für ihre Projekte nimmt sich Fotografin Herlinde Koelbl viel Zeit. Wenn eine Serie wie gerade „Kleider machen Leute“ in Japan zu Ende geht, muss sie sich daran gewöhnen, nicht mehr ständig nach Motiven dafür zu suchen.

Hier kennt niemand Herlinde Koelbl. Und trotzdem starren sie alle an. Als ich mit der Fotografin das kleine, hölzerne Grillrestaurant in Tokyo betrete, schaut man erst auf und dann sich an. Das ist eigentlich nicht besonders japanisch, denn hier liebt man Understatement und das Untergehen in der Masse. Darum ist Herlinde Koelbl angereist. An kaum einem anderen Ort der Welt trägt man so viele Uniformen wie hier und darum will sie Geishas, Büroangestellte, Gärtner, Schulkinder und Wrestler in Uniform und Zivilkleidung portraitieren. Ihre Frage: „Wie verändern sie sich?“

Die Restaurantgäste haben ihre Scheu überwunden. Am schmalen Holztisch, der rund um den offenen Grill und die zahllosen Sake-Flaschen läuft, schiebt Herlinde Koelbl einen gusseisernen Teller mit gegrillten Hühnerknorpeln zur Seite. Sie lächelt ironisch, denn die Situation ist komisch: mit Leuten an einem Tisch zu sitzen, sich sprachlich kaum verständigen zu können und sich doch immer wieder anzusehen. Ab und an taucht sie ein Stück rohen Kohl in die Sesamsauce und steckt es ganz in den Mund. Dass sie erst am Tag zuvor angekommen ist, 12 Stunden im Flugzeug saß, acht Stunden Zeitverschiebung hinter sich hat und den ganzen Tag mit drei Kameras durch Tokyo gewandert ist, merkt man ihr nicht im Geringsten an. Amüsiert redet sie über die fremde Stadt, sie findet Gefallen an den disziplinierten Japanern, fragt sich aber doch, ob es nicht auch Momente gibt, wo die strengen Konventionen vergessen werden. Sie hat viel entdeckt and diesem Tag, einen Straßenumzug mit japanischen Trachten, ist spontan mitgelaufen. Herlinde Koelbl ist auf eine Straßenabsperrung geklettert und hat von oben mit ihrer alten, kastenförmigen Leica fotografiert. Die japanischen Trommler haben wiederum sie fotografiert.

„Ah, wirklich, Fotografin sind sie“, fragt eine japanische Dame nach vorne gebeugt in holprigem Englisch. Die Gruppe um sie macht große Augen. „Und dafür extra hier her geflogen?“ Auch das Äußere scheint sie zu beeindrucken. Dass eine erwachsene Frau einen orangefarbenen Pullover mit himmelblauer Steppweste und engen Jeans trägt, ist in Japan etwas Besonderes, denn hier sind kräftige Farben Kindern und Jugendlichen vorbehalten. Herlinde Koelbls herbstlaub-farbenes Haar ist so hochgesteckt, dass es in großen duftig-sommerlichen Locken ihr sommersprossiges Gesicht umspielt. Wache blaue Augen schauen herausfordernd unter hochgezogenen Augenbrauen hervor. Sie hat Grübchen, ihr Mund ist in der Farbe des Haares und des Pullovers geschminkt. Sie umfasst ihren Tonbecher heißen Sake mit beiden Händen, sie sind fleckig, knochig und verraten ihr Alter. Sie ist bereits über 70.

Vor 35 Jahren, also recht spät, hat sie begonnen, professionell zu fotografieren. „Ich habe mit Wohnzimmern angefangen“, erzählt sie mir beim zweiten Gang, wieder gegrilltes Hühnchen, jetzt aber Schenkel, bloß keine Knorpel mehr. In den Siebziger Jahren wollte sie zunächst Modedesignerin werden. Als sie dann Bilder machte, wollte sie zunächst niemand veröffentlichen. „Keiner konnte sich vorstellen, dass es jemanden interessiert, wie andere leben“, sagt sie überlegt mit langgezogenen Vokalen, wie es für die Menschen aus der Nähe von München üblich ist. Die Idee war schlicht, sie hat Bauern, Künstler und Fabrikarbeiter in ihren Wohnzimmern fotografiert und sie einem Satz dazu sagen lassen. Und das mit so großer Beharrlichkeit, dass ein Spiegel der deutschen Einrichtungskultur und den Menschen dieser Zeit zustande gekommen ist. „Später hat der Stern die Bilder gedruckt und sie wurden überall diskutiert, denn es war wirklich etwas Skurriles und Neues. Dann wurde sehr schnell ein Buch mit der Serie veröffentlicht und der Verlag, der sie nicht publizieren wollte, hat sich schwarzgeärgert. Das war schon eine Genugtuung.“ Und der Beginn ihrer Arbeiten, in denen sie über Jahre Motive sammelt und miteinander in Verbindung setzt. Sie fotografierte nicht einen Mund, sondern 130, nicht einen Menschen in Uniform und Zivil, sondern 70, und nicht einmal Angela Merkel, sondern immer wieder über 15 Jahre. Darum wissen wir heute, wie sie sich die Kanzlerin mit ihrem politischen Erfolg optisch verändert hat und wie sich ihre Mundwinkel nach unten gezogen haben. „Das unterscheidet mich von anderen Fotografen. Ich gehe tief in ein Thema hinein und koste es aus. Das erfordert Neugierde, Geduld und Disziplin, zahlt sich aber aus.“

Dabei fällt es Herlinde Koelbl oft schwer, eine Foto-Reihe nach so langer Zeit abzuschließen. „Es ist Wehmut dabei, wenn etwas zu Ende geht, das ich sehr gerne gemacht und wobei ich viel entdeckt habe“, sagt sie. „Solange ich an einem Projekt arbeite, gehört es nur mir, mit den Gedanken, die ich mir dazu mache und meiner Beschäftigung mit dem Thema. Wenn das Buch gedruckt und die Ausstellung eröffnet ist, geht etwas weg. Ja, es ist weg. Jeder kann es betrachten und hat seine eigene Meinung dazu. Es ist wie ein Kind, das gegangen ist. Man muss es laufen lassen.“ Um den Schmerz möglichst klein zu halten, fängt die Fotografin schon ein neues Projekt an, bevor das alte zu Ende ist. Darum fliegt sie direkt nach den Aufnahmen in Tokyo weiter nach Äthiopien. Wieder sechs Stunden Zeitverschiebung, dazu ein Temperaturunterschied von 20 Grad. Aber sie denkt praktisch. „Ich habe 30 Kilo Handgepäck, hoffentlich kommen meine Kameras durch die Grenzkontrolle.“

 Info: Die Fotografin, Journalistin und Dokumentarfilmerin Herlinde Koelbl (*31.10.39 Lindau) lebt in der Nähe von München. Sie arbeitet weltweit für ihre Ausstellungen und Interview-Projekte, unter anderem für Die Zeit, Stern und New York Times. Außerdem veröffentlichte sie 15 Fotobände, darunter Klassiker der Fotografie wie „Jüdische Porträts“, „Starke Frauen“ und „Spuren der Macht“. Zu letzterem drehte sie auch einen Dokumentarfilm, der zeigt, wie sich Politiker und Wirtschaftsgrößen in ihren Erfolgsjahren optisch verändert haben. Dafür bekam die Trägerin des „Bundesverdienstkreuzes am Bande“ den Deutschen Kritikerpreis und die Goldene Kamera. 2003 kam ihr Film „Rausch und Ruhm“ in die öffentliche Diskussion, da er den Autor Benjamin von Stuckrad-Barre ungeschönt bei seinem Drogenentzug zeigt. 2009 wurden Herlinde Koelbls Arbeiten aus 30 Jahren als Werkschau im Berliner Martin-Gropius-Bau präsentiert. Das jüngste veröffentlichte Buch „Kleider machen Leute“ hat sie in Tokyo fertiggestellt.

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Kategorie: Kunst

Maja Hoock will keine prätentiösen Kultur-Texte lesen. Falls sie welche schreibt, darf sie keinen Nachtisch haben. Gut findet sie die Feuilletonisten, die flanieren können. Tucholsky, Hessel, ihr habt gut hingesehen.

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