Gesellschaft
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Cool wie Heino

Für Japaner ist Heino exotisch, obskur und wahnsinnig cool - wie fast alles, was aus Deutschland kommt.

Deutschland gilt in Japan als angesagt– Bloß ist damit nicht Deutschland gemeint

Der Begriff „German Angst“ begegnet einem im Ausland besonders, wenn Deutsche sich vom Landsmann zu Hause abgrenzen wollen: „Dass die so überängstlich sind sieht man schon daran, dass es in der ganzen Welt einen Begriff dafür gibt“, heißt es da und meint: „Seht her, ich bin Kosmopolit und kein zaudernder Panikmacher.“ Heimische Wörter in fremden Sprachkulturen verraten viel über unsere Außenwirkung. (Jemand „is fressinglike a swine“, wenn er keine Tischmanieren kennt.) Im „kulturkampf“ konkurrieren mehrere Kultur-Muster, etwa das Bild des langweiligen, depressiven „weltschmerz“- Deutschen mit dem des interessanten, rätselhaften Denkers, das in Japan gar einen neuen Modetrend inspiriert hat.

Jugendliche mit engen Jeans, blonden Emo-Frisuren und „Möbelhaus“-T-Shirtsempfinden das ferne Land des Atomausstiegsals hip. Seine geheimnisvolle Sprache wirkt anziehend, denn Englisch ist schnell entschlüsselt, was dagegen „Glücksbär“ und „Heißer Feger“ auf ihrer Brust heißt, bleibt nebulös. Auchstecktder Verkäufer im japanischen „Antiek-“Laden nicht nur inTweed-Anzug und Ballonmütze im Stil der Berliner 20er-Jahre, sondern verkauft auch deutsche Schautafeln zur Herzfunktion, bayrische Holzkreuze und altdeutsche Kochbücher.

Diese begehrten Lifestyle-Elemente findet man abends in den angesagtesten Bars wieder, wo man unter röhrendem Hirsch – ich übertreibe nicht – Heino hört und in gewissen Kreisen sogar auf Deutsch über Heidegger spricht.  Sowohl der Schlagersänger als auch der Philosoph passt zum japanischen Szene-Image der ehemaligen „Kartoffeln“: obskur und tiefgründig, also das Gegenteil der pinken Popkultur, die in Japan dominiert. Die deutsche Bar wird zum „gesamtkunstwerk“ (ebenfalls ein Wort-Export), kein Hofbräuhaus für alte Leute, sondern Szenetreff im Downtown-Kiez. Kryptisch tönt es im 24. Stock zwischen Neontafeln und Karaoke-Höllen „Liebe ist das Gold des Leeebens“ undich ernte ich viel „wow“, als ich sage, woher ich komme. Dass am Sehnsuchtsort Berlin kein Hipster T-Shirts von Möbelhäusern trägt und Heino hört, dass der „Tiefgang“genauso hinter grellem Pop und Konsum verschwindet, wie in Japan, und der Höhepunkt zeitgenössischer Philosophie ein Talkshowauftritt Richard David Prechts ist, verschweige ich. Man findet nicht Deutschland spannend, sondern ein Abziehbild seinerVergangenheit. „Yes, it’scool“, sage ich und bestelle eine „Berliner Club Mate“.

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Kategorie: Gesellschaft

Maja Hoock will keine prätentiösen Kultur-Texte lesen. Falls sie welche schreibt, darf sie keinen Nachtisch haben. Gut findet sie die Feuilletonisten, die flanieren können. Tucholsky, Hessel, ihr habt gut hingesehen.

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