Kunst
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Macht und Mimesis – Satire als Protestform

Ein Soldat der Apfelfront

Runter von der Couch, raus auf die Straße: 2011 war ein Jahr der Proteste und so wurde „der Demonstrant“ vom Time-Magazine zur Person des Jahres gewählt. Künstler haben da ihre eigenen Methoden. Wie ihre Performances Politiker, das Finanzsystem oder Rechtsradikalismus entlarven sollen.

Verzerrung, Übertreibung und Überidentifikation: Es ist eine spielerische Ästhetik. Als Kommunikationsguerillas, Culture-Jammer oder Ad-Buster prüfen Künstler bestehende Verhältnisse auf ihre Legitimation und legen die Frage nach Alternativen nahe. Ihr Handwerkszeug ist Dekonstruktion. Indem sie den dominanten Habitus der Konsumwelt, des Militärs und der Wirtschaftselite auseinanderdividieren und grell überspitzt wieder zusammensetzen, wird deren eigentlicher Kern brennglasartig gebündelt. Die Mimesis, also die Nachahmung und das Wiedererkennen, lässt demnach mehr begreifen, als das bloße Original.

Etwa die Berliner Formation „redesigndeutschland“ hinterfragt die ästhetische Verarmung des modernen Lebens indem sie es noch stärker vereinfacht. Möbel werden auf aalglatten Standard reduziert, Portraitfotos von hunderten Menschen mit Fotoshop auf ein Gesicht retuschiert und sogar die Sprache auf schnörkelloses „Rede-Deutsch“ heruntergebrochen. Die „Ad-Busters“ persiflieren dagegen die Konsumgesellschaft, indem sie Werbeplakate und Logos geringfügig verfremden. Waschmittelwerbung am Straßenrand wird so zu Psychopharmaka-Satire: „Prozak washes your blues away“. Forderungen großer Konzerne werden von den „Yes Men“ aus den Vereinigten Staaten ad absurdum geführt. Sie geben sich als deren Vertreter aus und fordern etwa auf Wirtschaftskonferenzen, mit Wählerstimmen handeln zu dürfen. Die „Clandestine Insurgent Rebel Clown Army“ (CIRCA) marschiert im Gleichschritt, wo politische Institutionen Macht demonstrieren, taucht mit Fantasie-Uniformen an der Wall-Street auf und ahmt übertrieben spiegelbildlich die Gesten der Polizisten nach. „Die Armee ist eine Persiflage auf militante Institutionen und reagiert als künstlerische Protestform autark. Sie gibt sich einen Auftrag, zum Beispiel bei G8, Angela Merkel aus Heiligendamm zu befreien“, sagt die Berliner Clown-Soldatin Mascha. „Der Clown glaubt fest an seine Mission. Er ist nicht lustig.“ Durch ihn werde aber deutlich, wie absurd die Realität ist. Mit dieser selbstentlarvenden Kraft spielt auch Titanic-Herausgeber Martin Sonneborn. Er ist Vorsitzender der „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiativen“, kurz die Partei „Die Partei“ (das ist kein Fehler), die den rein rhetorischen Duktus der Politiker vorführt. Die Parteimitglieder kopieren ihre trockene Ästhetik, stellen einen eigenen Kandidaten zur Frankfurter Bürgermeisterwahl, überkleben NPD-Wahlplakate mit eigenen NPD-Wahlplakaten (der ohnehin schon abartige NPD-Wahlspruch „Gas geben“ wurde mit einem Foto des verunglückten Jörg Haider kombiniert), fordern ein Atommüll-Endlager am Prenzlauer Berg und tauchen zum Staatsbesuch in Georgien auf. „Durch einen Übermittlungsfehler haben die Georgier gedacht, wir wären schon mit 30 Sitzen im deutsch Bundestag verstreten“, beschreibt Sonneborn, der mit 25 uniformierten Partei-Mitgliedern in 49 Euro-Anzügen aus Voll-Nylon anreiste. „Wir haben einen Kranz am größten georgischen Kriegs-Mahnmal niedergelegt, ich habe einen Kniefall hingelegt. Außerdem habe ich mich für den Bruch des Hitler-Stalin-Paktes entschuldigt. Sie haben mir Absolution erteilt und gesagt: Macht nichts. Gaumardschos. Das bedeutet so viel wie Prost.“ Die mit der Partei „Die Partei“ befreundete Gruppe „Front Deutscher Äpfel“ fordert in ihren Happenings „Südfrüchte raus!“ und zeichnet dadurch ein schärferes Bild von ihrem Namensgeber Holger Apfel, dem Bundesvorsitzenden der NPD, der für die „Rückführung von Ausländern in ihre Heimatländer“ steht. Die Apfelfront bedient sich frei aus dem ästhetischen Repertoire der Nationalsozialisten: Ihre Funktionäre spielen auf Kundgebungen Wagners Walkürenritt, marschieren in schwarzen Uniformen mit roten Armbinden im Gleichschritt und proklamieren in bellenden Reden die Reinhaltung des deutschen Obstbestandes. „Wir beziehen uns auf das dritte Reich, weil wir sehen, dass Nazis heute wie Autonome aussehen. Wir versuchen künstlerisch darzustellen, wie sie sich die perfekte Gesellschaft vorstellen.“, so „Generalstabs-Adjutant Thor Rode“.

So fantasievoll solche Aktionen auch sein mögen, es bleibt immer die Frage, nach der politischen Kraft von Kunst im Raum. Auf jeden Fall haben es die Performance-Gruppen geschafft, Absurditäten noch deutlicher zu zeichnen, denn sie dekonstruieren den Gestus der übermächtigen, bestehenden Verhältnisse spielerisch − und im Unterschied zur Politkunst der 70er und 80er Jahre ohne moralinsauren Beigeschmack. Sie nutzen humorvoll die Karikatur für den eigenen Zweck: Ungerechtigkeit schärfer sehen zu können und laut zu rufen, „Gibt es wirklich keine Alternativen zum Status Quo?“ Dann bleibt noch die Frage, ob es sich hier überhaupt um Kunst handelt. Die Yes Men bezeichnen sich ausdrücklich nicht als Künstler. Natürlich gibt es den Anspruch an die Kunst, für sich zu stehen, also nicht für politische Zwecke eingesetzt zu werden. Auf der anderen Seite bedienen sich die Aktivisten eindeutig künstlerischen Mitteln. Der Übergang zwischen Satire und Performance ist fließend. Die künstlerische Intervention wird zur politischen Aussage, das Statement fließt in die Performance, in die grelle Überzeichnung der Realität. Der Verzerrspiegel funktioniert als künstlerischer Rahmen, in dem die Wirklichkeit erst richtig klar erscheint. Die Front deutscher Äpfel, Die Partei und die Clowns-Arme geben so eine Antwort auf die Frage des Poststrukturalisten Roland Barthes: „Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?“

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