Musik
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Der Rauschmacher am Spreeufer

Autor: Martin Linkov Originallink: MU-9D5cqm-bBRkM8-bBQPCv-9D2jDX-boVVGA-bBQxxz-boW6QS-boW1z3-bBR8xk-bBQfhF-boWzTS-boVLiW-boWdo7-bBQmki-boVmxG-bBQXXt-9D5efW-boVQZ9

Seine erste Droge war zweifelsohne die Musik. Seitdem ist der DJ L. dem Rausch auf der Spur. Für sich und für sein Publikum.

“Es gibt für mich nichts Schöneres, als die Leute in Trance zu versetzen. Ich mache die Filmmusik, die musikalische Untermalung für den Rausch der tobenden Masse”. L. nimmt einen Schluck Cappuccino, zieht seine Kapuze ab und macht es sich auf seinem Sofa gemütlich. Berlins Silvesterkater ist vorüber. Auch L. blickt recht frisch in den Tag. Momentan trinkt er keinen Alkohol, raucht nicht und nimmt auch sonst keine Drogen. Er nennt es Detox. “Nur Koffein ist gerade angesagt”, grinst er und schlürft genüsslich aus seiner Tasse. Nach kräfteraubenden DJ-Auftritten auf exzessiven Silvesterpartys ist L. wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen und hat sich vorgenommen, etwas zu verändern: “Ich werde dieses Jahr vor allem bewusster konsumieren, insbesondere Alkohol und Drogen.”

Viele sagen so etwas, wenige jedoch ziehen es auch durch. L. gehört vermutlich zu den letzteren. Ohne Selbstdisziplin hätte der 25-Jährige nicht so schnell so viel erreicht. Mittlerweile hat er jedes Wochenende mindestens einen Auftritt, meistens zwei, auch im Um- und Ausland. “Jeder will etwas sein, keiner möchte etwas werden,” sagt Goethe. “In Berlin will fast jeder DJ sein, in jeder WG gibt es mindestens einen”, scherzt L. “Ich habe wirklich hart für meinen Traum gekämpft und viel Zeit investiert. Man muss wirklich gut sein, wenn man aus der Masse hervorstechen will, gerade in Berlin.”

L. ist dem Rausch schon länger auf der Spur. Seine erste Droge war zweifelsohne die Musik. “Musik hat mich schon immer begleitet. Schon als kleiner Hosenscheißer bin ich durch die Wohnung getanzt und habe mit Kochlöffeln auf Töpfen herumgehämmert. Mit zehn Jahren bekam ich dann Schlagzeug-Unterricht. Bisher habe ich nichts gefunden, was ich so sehr genieße wie Musik.” Bald darauf machte L. die erste richtige Suchterfahrung. “Ich bin mit einem Computer aufgewachsen und wurde ziemlich bald ein krasser Nerd. Fünf Jahre war ich extrem süchtig nach einem Ego-Shooter. Damals war Zocken meine Droge. Während des Abiturs habe ich es geschafft, mit dem Spielen aufzuhören. Nie wieder hat mich etwas auch nur annähernd so süchtig gemacht.”

“Das therapeutische Potential von Drogen lässt sich, zumindest in meinem Fall, nicht abstreiten”

Nach dem Abitur fing L. an, Dinge “nachzuholen”. “Ich hatte das Gefühl, ich muss da draußen jetzt was erleben. Ich war fast jede Nacht weg, auch unter der Woche.” Mit 22 Jahren kam L. das erste Mal mit synthetischen Drogen in Berührung. “Ich hab irgendwann angefangen, mich für Drogen und Rauschzustände zu interessieren. Ich habe eine ganze Menge über Drogen gelesen. Für mich war vor ein paar Jahren der drogeninduzierte Rausch viel zu faszinierend, um sich ihm nicht hinzugeben. Mittlerweile denke ich da etwas anders drüber. Letztendlich muss ich sagen, dass ich auf den Großteil meiner Drogenerfahrungen hätte verzichten können, außer auf die mit MDMA. Ecstasy hat mir geholfen, zwischenmenschliche Barrieren zu überwinden und Defizite meiner emotionalen Intelligenz zu mindern, die sich während meiner Zockerzeiten verhärtet haben. Das therapeutische Potential lässt sich, zumindest in meinem Fall, nicht abstreiten. Davon abgesehen hatte ich unglaublich schöne Momente mit dieser Droge, die sich fest in mein Bewusstsein eingebrannt haben.”

Mittlerweile ist es Abend und L. steht in der Küche. “In letzter Zeit koche ich oft für meine Freunde. Das macht mir großen Spaß.” Auf gutes, selbstgekochtes Essen legt er großen Wert. “Wenn man nur Tiefkühlpizza isst, hat man auch nur power wie eine Tiefkühlpizza.” Normalerweise trinkt L. vor seinen Auftritten Alkohol, um ein wenig die Anspannung zu lösen. Heute trinken nur seine Freunde. Er selbst genießt momentan die Klarheit: “Es ist ein tolles Gefühl morgens ohne Alkoholfahne, schleimigen Husten oder verklebter Nase aus dem Club zu kommen. Das gönne ich mir jetzt erst mal.” Wie lange, sagt er nicht.

“Musik fängt dort an wo die Worte enden”, sagt Goethe, “Du fühlst dich, wie wenn du auf einer Welle reitest”, sagt L. Entscheidend ist für ihn der Energieaustausch zwischen ihm und dem Publikum auf der Tanzfläche, inmitten der Basswellen, Blitzlichter und Nebelschwaden. Ob nun mit Drogen oder ohne: Das exzessive Bewegen löst in den Tanzenden etwas Ursprüngliches aus – sie sind “völlig losgelöst von der Erde”, wie Peter Schilling singt. L. entzündet genau dieses Gefühl. “Wenn die Mädels in der ersten Reihe sich am DJ-Pult festhalten, völlig im Rausch, sich mit geschlossenen Augen dem Beat hingeben, dann murmel ich vor mich hin: Ja, genau deswegen mache ich das.”

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