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Die Kultur der Paranoia

Was die Fernsehserie “Homeland” über die Psyche der USA enthüllt

Überwachen, sammeln und notieren, um zu beherrschen. Unter anderem die eigene Angst: Das ist der Grundgedanke von Carrie Mathison, der Hauptfigur in der amerikanischen Serie „Homeland“. „Ich hab schon mal was übersehen. Das darf nie wieder passieren“. Von 9/11 traumatisiert, unternimmt die von Claire Danes gespielte CIA-Agentin alles, um den erneuten Angriff auf ihr Land zu verhindern. Illegale Überwachung inbegriffen. Schließlich ist ein jeder verdächtig, keine Situation harmlos und alles potentiell gefährlich.

Carrie Mathison ist Hysterikerin, bipolar, psychotisch, krank – und damit ein perfektes Psychogramm des pa- ranoiden Amerika.

Das Prinzip Störung

So wie die NSA die gesamte Welt auf mögliche Feindschaft scannt, sucht sie nach einem Verdächtigen. In Nicholas Brody (Damian Lewis) findet Carrie ihren Gegenspieler. Der US-Marine kehrt nach achtjähriger Al-Qaida Gefangenschaft ins Heimatland zurück, seelisch und körperlich sichtlich mitgenommen, und mit einer dunklen Idee versehen: den amerikanischen Drohnenangriff zu rächen, der im Land seiner Feinde 83 unschuldige Kinder tötete. Darunter der Sohn des Al-Qaida-Anführers, der ihm zum Freund geworden war.

Nicholas Brody ist Ex-Kriegsgefangener, versehrt, rätselhaft, potenziell terroristisch – und damit ein perfektes Abbild der amerikanischen Ängste.

Nicholas Brody (Damian Lewis)

Carries Überwachungsobjekt: US-Marine und potenzieller Terrorist Nicholas Brody (Damian Lewis)

„Das Land der Freien und die Heimat der Tapferen“ – was die amerikanische Nationalhymne seit 1931 stolz verkündet, kann im Jahre 2014 allenfalls leise genuschelt werden. Statt paradiesischer Zustände herrschen paranoide Strukturen – Verfolgungswahn, NSA-Überwachung, Drohnenkrieg, Isolationsideologie. Der Krieg gegen den Terror hat das Land, das sich einst als obercoole Supermacht definierte, in eine ängstliche und zugleich aggressive Nation verwandelt. Die Populärkultur, wie so oft, greift die Realität auf, reflektiert und kritisiert sie mitunter. Ob die Serie „24“ mit Jack Bauer, der Film „Zero Dark Thirty“ oder die im Agentenmilieu der 80er Jahre spielende Serie „The Americans“ – sie eint mit „Homeland“ die Thematik von Terror, Gewalt, Angst und Paranoia.

“Homeland” als Spiegel der Realität

Der Medienwissenschaftler Lars Koch, der mit seinem Forschungsthema „Das Prinzip Störung“ untersuchte, wie sich die reale amerikanische Paranoia in Serien widerspiegelt, meint: „Der Krieg gegen den Terror produziert ein Höchstmaß an Verunsicherung und Deutungsunsicherheit, das sich auf die politischen Akteure und die Gesellschaft überträgt. Dabei verkehrt sich die Sehnsucht nach Sicherheit und Bewahrung von Freiheit gegen sich selbst und wird zur Unsicherheit und Unfreiheit geführt, was durch die Figur der Carrie treffend dargestellt wird.“ „Homeland“ als Spiegel der Realität, als kulturelles Medium, das Ist-Zustände reflektiert, politische Aktionen (Drohnenangriff auf Afghanistan) kritisiert und Fragen aufwirft. Tom Cruise sorgte als „Top Gun“ für den Anstieg der Bewerberzahlen für die US-Navy, das Pentagon bat die Macher von „24“ um die Abschwächung der Folterszenen, weil die eigenen Soldaten im Irak nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen waren: Nicht erst seitdem ist klar, dass die Populärkultur auch das öffentliche Handeln prägt. Kann es also sein, dass „Homeland“ Paranoia nicht nur reflektiert, sondern gar produziert?

Wer uns ähnlich ist, fasziniert uns

„Populärkultur, Geschichten, die medial kommuniziert werden, haben ein Höchstmaß an politischen Effekten, da sie eine narrative Struktur in die Gesellschaft und in unsere Zukunftserwartungen hineintragen. „Homeland“ stellt dar, dass die Dinge unsicher und kompliziert bleiben, was die zirkulierende Verunsicherung in der Gesellschaft fortsetzt“, sagt Koch. Eine empirische Bestätigung der These liefert die Studie der amerikanischen Expertin für Sicherheitspolitik und Stanford-Professorin Amy Zegart. Sie fand heraus, dass in den USA Zuschauer, die regelmäßig Spionagefilme und -serien sehen, Geheimdienste wie die NSA deutlich positiver betrachten als solche, die diese Serien nicht konsumieren.

Sind wir sicher? Oder steht uns der nächste Anschlag kurz bevor? Wer ist unser Freund? Und wer unser Feind? Was sich in Agentin Carries paranoiden Gedanken abspielt, kann sich in den Köpfen der Amerikaner in der Realität verselbstständigen. Die Figur Brody als vermeintlicher Verdächtiger kommt dabei wie eine Bestätigung der Paranoia gerade recht. „Homeland“ hat zahlreiche Preise abgeräumt, ist sowohl bei Publikum als auch bei Kritikern vor allem in Amerika äußerst populär. Nur wer uns ähnlich ist, fasziniert uns erzählerisch. Kein Wunder, dass „Homeland” Obamas Lieblingsserie ist.

 

Titelbild: Agentin Carrie Mathison (Claire Danes)/ Screenshot Stefanie Schneider

Foto: Nicholas Brody (Damian Lewis)/Screenshot Stefanie Schneider

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