Gesellschaft
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Ist hier ein Angstraum?

Niedrige Decken, schlechte Beleuchtung, abgeklebte Fenster. Warum manche Orte in Berlin besonders bedrohlich erscheinen – und was dagegen getan wird. Ein Selbstversuch.

Bahnhof Neukölln. Ich drücke ich mich an einer Gruppe Männer vorbei, durch die Enge des Durchgangs näher als ich will. Scheine und irgendetwas anderes wechseln den Besitzer. Jemand spricht mit sich selbst, ein anderer fragt mich laut nach Geld. Einen Monat später wird mir beim Umsteigen das Portemonnaie gestohlen. Ein paar Tage darauf warte ich nachts lieber eine halbe Stunde auf einen Bus als den Weg über diesen Bahnhof zu nehmen und dort umzusteigen.

Bunt aber finster

„Den Begriff Angstraum benutze ich nicht“, sagt Stadtsoziologin Talja Blokland. „Ich glaube nicht, dass man sagen kann: Hier sind fünf Kriterien und jetzt ist da ein Angstraum.“ Doch der Begriff taucht regelmäßig auf, vor allem in Lokalzeitungen. Lösungsvorschläge sind meistens ähnlich: mehr Licht, Pflanzen zurückschneiden, graue Betonflächen verschönern.

Ich treffe Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (mbr) am  S-Bahnhof Schöneweide. 2006 haben Graffitikünstler dort den Fußgängertunnel mit Botschaften für Toleranz und gegen die ansässigen Neonazis umgestaltet. Heute findet man trotzdem keine bemalte und freundliche Passage, sondern eine Unterführung mit drückend niedriger Decke. Bunt, aber finster. An einem Aufgang sind alle Lampen ausgefallen, niemand hat sie repariert. Stechender Uringeruch, NPD-Aufkleber an der Wand. „Es bringt nichts, da was hinzubauen und dann nichts in Erhaltung zu investieren. Man könnte hier noch so viel gestalten, zum Beispiel schönere Aufgänge.“, klagt Müller. Und noch etwas fehlt: Videokameras.

Laut Berliner Kriminalitätsstatistik liegt der Anteil von Straftaten im öffentlichen Nahverkehr bei 4,8 Prozent. Tendenz sinkend. Aber in Zahlen klingt das viel: 23 745 Fälle waren es 2012, meistens Taschendiebstahl. Vor allem seit der Berichterstattung über U-Bahnschläger wird der Ausbau der Videoüberwachung vorangetrieben, obwohl die Aufnahmen dieser Straftaten deutlich zeigen, dass Kameras die Opfer nicht schützen.

Auch Talja Blokland ist skeptisch: „Der beste Ansatz, das Sicherheitsempfinden zu steigern – es muss durch Menschen passieren, da nur Menschen diese Rolle der Kontrolle erfüllen können. Ich glaube nicht, dass man das durch Technik ersetzen kann. Glaube ich einfach nicht.“

 Das Gefühl von relativer Vertrautheit

Dass soziale Kontrolle durch Menschen ein wirksames Mittel gegen Angst ist, wusste schon die Journalistin Jane Jacobs. 1961 formulierte sie die Idee der „eyes on the street“. Wer gesehen wird, fühlt sich sicherer, schreibt Jacobs. Deswegen sollten Gebäude zur Straße hin orientiert sein, dies steigere die Sicherheit für Anwohner und Passanten. Abgeschottete Gebäude hingegen vermitteln das Gefühl, dass niemand auf die Straße schaut und erhöhen das Unsicherheitsempfinden. Aufbauend auf diesen Studien hat Talja Blokland Menschen im Wedding befragt. Ergebnis: Die Alltagsnutzung von Geschäften steigert das Sicherheitsempfinden – und das, obwohl die Händler angaben, gar nicht unbedingt auf die Straße zu achten. Es ist also nicht die tatsächliche Kontrolle, die uns beruhigt, sondern die Idee davon. Dieses Gefühl relativen Vertrauens entsteht, wenn Personen einander immer wieder begegnen, doch dafür braucht es Gelegenheiten. Späti, Bäcker oder im Idealfall: Gemüsehändler. Denn die sind meistens draußen, immer mit den Augen auf der Straße.

Die Brückenstraße in Schöneweide, wo sich Neonazikneipe und –geschäft befinden, liegt still. Es ist Abend, überall sind die Türen zu und die Rollläden geschlossen. Kein Gemüsehändler weit und breit. Einzig der Dönerladen an der Ecke hat noch geöffnet. Er machte letztes Jahr Schlagzeilen, als ein Angestellter einen jungen Mann beherzt gegen drei Neonazis verteidigte –  mit einem Dönerspieß. Bis die Polizei kam.

Es fehlen Fenster

Ich gehe mit anderen Augen durch die Stadt. Ich fange an, Plätze zu sehen, an denen man mich nicht sehen kann. Ich sehe die abgeschlossenen Innenhöfe, die zugeklebten Fenster der Spielhallen. Manche Gegenden haben sich durch neue Geschäfte und Zuzug zum Wohlfühlkiez gewandelt, der Preis dafür waren steigende Mieten und Verdrängung. Es muss doch einen Mittelweg zwischen Drogendealern und Gentrifizierung geben.

Jetzt will ich es noch mal wissen und verordne mir einen Spaziergang zum Bahnhof Neukölln. Was fühlt sich hier so seltsam an? Es gibt doch sogar einen Gemüseladen. Der aber hat seine Fenster abgeklebt, die rechte Außenwand hat sogar gar keine Fenster, denn das Gebäude war früher eine Lagerhalle. Matratzen-Outlet und Wettcafé an der Kreuzung sind genauso abgeschottet. Aber unwohl, sagt der Händler, der seine Mangos sortiert, fühle er sich nicht. Ratlos laufe ich zum Bahnhof und fahre nach Hause. Was tut man gegen Angsträume?

Die Strategie der BVG und S-Bahn ist und bleibt die Ausweitung der Videoüberwachung. In den nächsten Jahren werden die Zugabfertiger an den S-Bahnhöfen zwar laut Unternehmen nicht entlassen, aber abgezogen und anders eingesetzt. Das spart auch Geld. Nur zwanzig der 166 S-Bahnstationen in Berlin werden zukünftig mit Eisenbahnern besetzt sein. Sicherheitsteams werden zwischen den Bahnhöfen pendeln. Den Rest übernimmt die Technik.

  • Abgeklebte Fenster schotten Gebäude ab. Sie können das Unsicherheitsempfinden steigern, weil man draußen nicht gesehen wird.

Fotos: Agnes Monka

Foto 13: Sascha Kohlmann

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1 Kommentare

  1. Ich habe mich schon oft gefragt, warum ich mich in den Vororten von London (z.B. Clapham) zu jeder Zeit unbeschwerter bewege als in manchen Gegenden Bochums. Vermutlich hat es viel mit den gardinenlosen Fenstern und den kleinen 24h-Shops zu tun.

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