Bühne
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Plötzlich bleibt die Stimme weg

Im Spiegel der anderen: Die UdK-Schauspielstudentin Georgia vor dem Auftritt.

Ob Schauspieler, Musiker oder Sänger: viele Künstler kämpfen mit Lampenfieber.

Georgia sitzt in der Maske. Es sind nur noch wenige Stunden bis zur Premiere des Theaterstücks „Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir“ von Nis-Momme Stockmann. Die Schauspielstudentin der Universität der Künste spielt im Ensembleprojekt ihres Jahrgangs eine kühle Bankerin, eine Rolle, die für die zierliche und feinfühlige Studentin eine große Herausforderung ist. Nach außen wirkt Georgia ruhig und gelassen. Doch im Innern jagt eine Panikattacke die nächste. Ihr Hals wird immer trockener. Ihre Hände sind kalt. Soll sie jetzt noch etwas trinken oder nicht? Wie wird ihre Szene verlaufen, die sie soeben mit dem Regisseur noch geändert hatte?

Wie viele Schauspieler, Sänger oder Musiker leidet Georgia an einer starken Form von Lampenfieber, der sogenannten Aufführungsangst. Vor den Bühnenauftritten rast ihr Herz, es bilden sich rote Flecken auf ihrer Haut, sie zittert und schwitzt. Sie hat Angst auf der Bühne zu versagen. „Die Aufführungsangst greift direkt in unseren Körper, in die Muskulatur, ein“, erklärt der Mediziner und Psychotherapeut Helmut Möller, der Begründer des Kurt-Singer-Instituts für Musikergesundheit in Berlin: „Eine eingeschränkte Beweglichkeit und mangelnde Konzentration auf der Bühne können die Folge sein.“

Die Nacktheit auf der Bühne

Zuversichtlich: Der Sänger Doron des Vokalensembles Profeti Della Quinta weiß, wie er seine Aufführungsangst bewältigen kann.

Zuversichtlich: Der Sänger Doron des Vokalensembles Profeti Della Quinta weiß, wie er seine Aufführungsangst bewältigen kann.

Doch woher kommen die Panikattacken, diese nervösen Momente vor und während des Bühnenauftrittes? „Das Komische an der Aufführungsangst ist, du weißt nicht wirklich, wovor du Angst hast“, sagt der 34-jährige Sänger Doron, der im Vokalensemble Profeti Della Quinta mitsingt, ein Ensemble, das sich der Alten Musik widmet. Wie Georgia kommt auch er zum Schluss, dass es wohl Versagensangst sei. „Ich habe Angst davor, die Leute zu enttäuschen, ihre Erwartungen nicht erfüllen zu können“, sagt er. Der Kritik der Zuschauer und Kollegen ausgesetzt zu sein, ist für viele Künstler, die auf der Bühne auftreten, ein großer Stressfaktor. Nicht zuletzt aufgrund der Exponiertheit vor dem Publikum: Es ist ein Gefühl von Nacktheit, findet Doron.

Es handelt sich um ein weitverbreitetes Phänomen bei Performern, erklärt die Psychologin und Musikwissenschaftlerin Ulrike Feld, die am Kurt-Singer-Institut Auftrittstrainings anbietet. Auf der Bühne müsse man in seiner Rolle stimmig und authentisch erscheinen, unangreifbar sein. Gleichzeitig trage man als Darsteller aber auch sein ganzes Inneres nach außen, gebe Gefühl und Leidenschaft in die Aufführung. Kritik treffe deshalb nicht nur das Werk, sondern immer auch den Darsteller als Individuum. Sich davon zu distanzieren sei schwer.

Am Anfang steht ein Trauma

„Plötzlich traf es mich. Ich konnte nicht mehr singen, musste husten und würgen“, schildert Doron sein traumatisches Erlebnis bei einer Aufführung. Die Blockade kam unerwartet und er wusste nicht, wie er reagieren sollte. „Ich machte damals den schlimmsten Fehler, den man machen kann: Ich habe mich beim Publikum entschuldigt“, sagt Doron.

In ihrer Karriere müssen Musiker und Schauspieler zahlreiche Hürden wie Aufnahmeprüfungen, Vorspiele und Premieren meistern. Das Geprobte muss in einem Augenblick sitzen, Fehler sind inakzeptabel, die Situation nicht wiederholbar. Helmut Möller bedauert diese negative Fehlerkultur unserer Gesellschaft. Fehler seien nicht ein Makel, sondern eigentlich etwas Großartiges, meint er. Sie weisen darauf hin, dass wir etwas noch nicht können, und helfen uns, uns weiterzuentwickeln. Dieses Umdenken in eine positive Fehlerkultur sei wichtig, so Möller, weil negative Rückmeldungen oder Gedanken neurologisch in unserem Gehirn gespeichert werden. In einer ähnlichen Situation könnten diese wieder auftreten und zu einem weiteren Versagen führen.

Obwohl Doron seit seinem traumatischen Erlebnis an Aufführungsangst leidet, weiß er heute, wie er damit umgehen kann. Er hat seine ganz eigene Bewältigungsstrategie entwickelt: Am Vortag des Konzertabends stellt er sich alle möglichen Schreckszenarien auf der Bühne vor und macht sich absichtlich nervös. Kurz vor dem Konzert sei er dann entspannt, weil er wisse, dass es nicht mehr schlimmer kommen könne. Gelassen tritt er dann auf die Bühne. Dort kann er auf die Unterstützung seiner Ensemble-Kollegen zählen.

Zahlreiche Bewältigungsstrategien

Um der Aufführungsangst entgegenzuwirken, ist neben einem unterstützenden Umfeld auch eine intensive Betreuung während der Ausbildung wichtig. Aus dieser Überzeugung heraus gründete Helmut Möller 2002 das Kurt-Singer-Institut für Musikergesundheit, ein Gemeinschaftsprojekt der Universität der Künste und der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“. Dort therapierte er einige Jahre angehende Berufsmusiker, die unter starker Aufführungsangst litten. Seit seiner Emeritierung bietet das Institut nur noch ein stark reduziertes psychologisches Betreuungsangebot an – auch wenn die Nachfrage nach weiterreichenden Angeboten durchaus vorhanden ist.

Gelungene Premiere: Die UdK-Schauspielstudentin Georgia als kühle Bankerin während des Auftritts.

Gelungene Premiere: Die UdK-Schauspielstudentin Georgia als kühle Bankerin während des Auftrittes.

Ulrike Feld plädiert für eine Gleichberechtigung von Körper und Geist: eine psychologische Beratung soll in gleichem Maße angeboten werden, wie die physiologisch-medizinische Betreuung. Sie schlägt ein Kontingent an Einzelberatungsstunden vor, die Studenten bei Bedarf nutzen könnten. Wann und ob überhaupt die psychologischen Betreuungsangebote am Kurt-Singer-Institut ausgebaut werden ist unklar.

Als Alternative bleibt den Studenten nur die Selbsthilfe. So hat sich Georgia ihr persönliches Ritual gegen die Nervosität angeeignet: Kurz vor dem Auftritt verschwindet sie in einer stillen Ecke und entspannt sich durch Thai Chi-Übungen. Am Premiereabend aber schossen ihr wieder Gedanken durch den Kopf:„Was machst du hier? Gleich musst du wieder auf die Bühne, tief durchatmen.“ Im Publikum war davon nichts zu spüren. Die kühle Bankerin trat sicher und überzeugend auf. Obwohl Georgia immer wieder mit ihrer Auftrittsangst zu kämpfen hat, will sie das Ziel, eine erfolgreiche Schauspielerin zu werden, nicht aufgeben. Es gibt immerhin auch große Schauspieler, die ihr Leben lang mit Auftrittsangst kämpfen.

 

Titelbild: Silva Schnurrenberger
Bild 1: Susanna Drescher Fotografie
Bild 2: Bernd Uhlig Fotografie

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Kategorie: Bühne

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