Kunst
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Zu Besuch bei einer schrecklich netten Familie

Die Konrad Fischer Galerie zeigt Verstörendes hinter unscheinbaren Fassaden

Der Mann mit der Kamera in der Hand öffnet die Haustür. Ein langer dunkler Flur tut sich vor ihm auf, er geht ihn hinab. In der Küche rechts von ihm wäscht eine schwarz gekleidete Frau mit trägen Bewegungen Geschirr, ihr Blick ist abwesend aus dem Fenster gerichtet. Der Mann wendet sich ab und steigt eine enge Treppe hinauf. Das Kamerabild wackelt, man kann seinen keuchenden Atem hören. Ein Stockwerk höher im Badezimmer kauert unter dem dampfenden Wasserstrahl der Dusche eine gekrümmte Gestalt. Im Raum nebenan sitzt ein regungsloser Kinderkörper, von einer schwarzen Plastikfolie umhüllt. Das gesamte Geschehen ist in gelbliches, schmutziges Licht getaucht. Mit ein wenig Phantasie meint man den muffigen Geruch erahnen zu können, der in den Räumen steht. Was nur hat sich in diesem Haus zugetragen? Was verbirgt sich hinter der nächsten Tür?

Szenen wie aus „The Blair Witch Project“

Was auf den Betrachter wirkt wie ein Ausschnitt aus dem Horrorfilm „The Blair Witch Project“ zeigt einen Rundgang durch die Installation „Die Familie Schneider“ des deutschen Künstlers Gregor Schneider. Dieser hatte 2004 im Londoner Stadtteil Whitechapel zwei benachbarte Reihenhäuser von der Anordnung der Möbel bis zum Inhalt des Kühlschranks vollkommen identisch ausstatten lassen. Die Walden Street Nummer 14 und 16 wurden zu Spiegelbildern ihrer selbst – ebenso wie ihre Bewohner. Eigens für das Projekt engagierte Zwillingspärchen führten zeitgleich in beiden Häusern dieselben Tätigkeiten aus. Vor elf Jahren standen die Besucher auf der Straße Schlange, um für 20 Minuten im Inneren der Installation umherstreifen zu dürfen. Doch nicht alle von ihnen nutzten die volle Zeit – zu beklemmend sei das Gefühl in den tristen Räumen gewesen. Zu groß der Drang, nach draußen zu stürmen.

Heute kann der Rundgang durch beide Häuser als Video-Verdopplung in der Konrad Fischer Galerie in Berlin Mitte erlebt werden. Auf zwei nebeneinander hängenden Projektionswänden bahnt sich der Mann mit der Kamera immer wieder aufs Neue seinen Weg durch die verwinkelten Räume der Walden Street 14 und 16 und versucht, das Geheimnis ihrer unheimlichen Bewohner zu lüften. Der Betrachter in den sicheren Galerieräumen kann ihm dabei folgen.

In einer Foto-Serie aus hunderten kleinformatigen Schwarzweiß-Aufnahmen hat Gregor Schneider seine Installation bis ins kleinste Detail festgehalten. Eng gehängt befinden sie sich an den Wänden der Galerie und zeigen identische Szenen aus beiden Häusern. In der Mitte der Ausstellung gewährt die Raumskulptur „Nursery“ (Kinderzimmer) dem  Besucher einen Blick in eine kleine, mit kitschiger Blumentapete ausgekleidete Kammer. In einer ihrer Ecken steht ein Vorrat an Lebensmitteln.

Nur ein winziges Stück vom Abgrund entfernt 

Aber was hat es denn nun auf sich mit Familie Schneider? Auf den ersten Blick nichts Besonderes. Gregor Schneider zeigt uns alltägliches Geschehen hinter den Fassaden zweier gewöhnlicher Reihenhäuser. Wenn da nicht eine Reihe von Anspielungen wären: Was hat es auf sich mit dem Kinderzimmer, das einer Gefängniszelle gleicht? Mit dem reglosen Körper unter der Plastikfolie? Mit der Aura von Verwahrlosung, die seine Installation durchzieht? Nichts ist gewiss nach einem Besuch in der Walden Street. Was bleibt ist aber die Ahnung, sich nur ein winziges Stück von einem großen Abgrund entfernt befunden zu haben. Ein Abgrund, wie er sich ebenso gut auch hinter den Fassaden anderer Reihenhäuschen verbergen könnte.

In Gregor Schneiders Arbeiten wird die Behausung eines Menschen zum Sinnbild seiner seelischen Abgründe. Für seine Installation „Totes Haus u r“ schuf der heute 46-Jährige aus seinem Elternhaus in Mönchengladbach-Rheydt ein verwirrendes Raumlabyrinth mit absenkbaren Decken und vibrierenden Wänden. Bei der Biennale 2001 in Venedig wurde er dafür mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. 2013 kaufte Schneider das Geburtshaus Josef Goebbels, ließ es entkernen und den Bauschutt vor einer Galerie in Warschau abladen. Im Dezember 2014 war die Arbeit „Geburtshaus“ auch vor der Berliner Volksbühne zu sehen.

Gregor Schneider, der unheimliche Baumeister

Gregor Schneider baut mit Räumen wie in einem Setzkasten umher. Er zieht Wände auf und reißt sie wieder ein, verdoppelt und spiegelt. So lange bis aus Häusern Skulpturen geworden sind und ihr Innenleben genauso verschachtelt ist wie das ihrer Bewohner. Deren Taten haben in den Räumen Spuren hinterlassen. Unter dem Anschein von Gewöhnlichkeit sind sie zunächst verdeckt, doch von Gregor Schneider werden sie wieder spürbar gemacht.

In den kargen Räumen der Konrad Fischer Galerie gelingt es, jene beklemmende Stimmung seiner Arbeiten auf den Besucher zu übertragen. Und so macht sich Erleichterung breit, wenn man schließlich wieder hinaus auf die scheinbar harmlose Straße treten darf. Das Verstörende spielt sich eben immer hinter unscheinbaren Fassaden ab. Auch die Häuser der Walden Street haben bestimmt noch so einiges zu verbergen – immerhin ist der Stadtteil Whitechapel bekannt als Schauplatz der Jack-the-Ripper-Morde. Es ist also vielleicht kein Wunder, dass sich Familie Schneider ausgerechnet dort niedergelassen hatte.

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