Gesellschaft
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Tegel: Flucht hinter Gittern

© JVA Tegel

In der JVA Tegel gehören Drogen zum Alltag. Viele Gefangene versuchen so, das Alleinsein zu verdrängen, sich von den Gitterstäben abzulenken.

„Bei dieser Langeweile kommt man auf die dümmsten Gedanken“, sagt Gregor*. Die anderen drei Männer nicken. Ihr vollgestelltes Büro in Tegel misst keine 15 Quadratmeter – Zigarettenqualm macht es noch beengender. Rechts an der Wand lächelt ein kleines Mädchen aus einem Foto heraus. Ob es weiß, dass sein Bild direkt neben einem vergitterten Fenster hängt? Gregor sitzt lebenslänglich wegen Anstiftung zum Mord. Zweieinhalb Jahre JVA hat er schon hinter sich. Der 52- Jährige und seine Kollegen von der Gefangenenzeitung Der Lichtblick kämpfen für bessere Haftbedingungen. Ihre Redaktion befindet sich in Teilanstalt II. Dort, wo es Schutzzellen gibt, in denen auch verschuldete Gefangene sitzen, die sich vor ihren Dealern fürchten. Freizeit in Tegel heiße für viele Drogenkonsum.

Am schlimmsten sei die Langeweile an Wochenenden

„Wir sind hier in einer Männergesellschaft. Ficken kann hier ohnehin so gut wie keiner. Wer draußen Drogen genommen hat, wird hier drin bestimmt nicht aufhören“, sagt Tobi*. Er ist seit viereinhalb Jahren wegen Wirtschaftsstraftaten hier. Zum zweiten Mal. Die erste Strafe sei leichter gewesen, da habe er noch keine Kinder gehabt. Nun ist er 41, hat eine achtjährige Tochter und einen fünfjährigen Sohn. Im Knast könne man das Leben verlernen, sagt er. Am schlimmsten sei die Langeweile an Wochenenden, weil die Türen innerhalb der Teilanstalten schon um 16.45 Uhr verriegelt werden. Bis morgens sitze man hinter den Gitterstäben, die kaum einen Gedanken, außer den an die Freiheit, zulassen. „Da kann man wie ein Tiger zwei Schritte auf, zwei Schritte ab laufen oder eben in die Glotze gucken.“ Sie alle würden gerne mehr Sport machen. Doch die Wartelisten seien lang. „Eine Bibelgesprächsgruppe macht da auch keinen Sinn. Was soll denn der Scheiß?“

Das Budget lasse der Anstaltsleitung keinen großen Spielraum

90 000 Euro stehen der größten deutschen Anstalt des geschlossenen Männervollzugs pro Jahr für Gruppenangebote zur Verfügung. „Unser Schwerpunkt liegt bei Angeboten, die die sozialen Kompetenzen
der Gefangenen verbessern können“, sagt Lars Hoffmann, Sprecher der JVA. Das Budget sei für 935 Haftplätze angemessen, lasse aber keinen großen Spielraum zu. Die Anstaltsleitung müsse sich entscheiden: Volleyball oder Suchtberatung? Allein die Deutschkurse für Nichtmuttersprachler kosten 350 00 Euro. Dass die Gefangenen diese Angebote nicht als Freizeitbeschäftigung ansehen, weiß Hoffmann. Auch, dass viele es deswegen vorziehen, an gar nichts teilzunehmen. Wolf* kann sich kaum halten vor Lachen. Er ist 45, seit sechs Jahren in Tegel wegen Betruges. „Da war mal dieser Typ, der so hoch gelobt wurde. Ganze vier Knackis waren bei seiner Lesung. Und dann hat er auch noch auf Arabisch vorgelesen.“ Die Gefangenen hätten lieber einen Striptease oder ein Rockkonzert, meint er.

Gekifft werde von 80 Prozent der Insassen

„Manchmal stinkt das auf den Fluren dermaßen nach Gras, aber die Beamten gehen dran vorbei.“ Tobi schaut Wolf an. „Ja, man kann sich hier frei entfalten. Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass jemand jetzt auch diese Modedroge Christal Meth reingekriegt hat.“ Wer die Preise nicht bezahlen könne, versuche es über die Ärztestellen mit Psychopharmaka. Gekifft werde sowieso von 80 Prozent der Insassen. „Wird einer mit einem Joint erwischt, passiert eigentlich gar nichts. Ab zehn Gramm aufwärts kommt der jenige auf A4, die Dealer-Station, wird abgesondert.“ Gregor grinst. „Oder die sagen ‚Mach den Rest fertig!’ und dann gehen sie wieder.“ Auf rund 132 000 Quadratmetern bleibe so einiges unbemerkt. „Wenn’s hier Drogen gibt, ist es ruhig. Ist doch klar.“

„Das ist Unsinn!“, sagt Hoffmann. „Drogen werden nicht toleriert.“ Drogen gäbe es auch bei 24 Stunden Einschluss. Knast, das sei der Spiegel der Gesellschaft. „Wenn wir 100 Gramm finden, wissen wir, dass wir andere 100 Gramm nicht gefunden haben.“ Seitdem es statt der Turmwache eine technische Überwachung gibt, werde öfter etwas über die Mauer geworfen. Hoffmanns Stimme wird leiser. 50 000 Besuche im Jahr, den ganzen Tag über fahren Transporter ein und aus. Kein Wunder, dass Übergaben stattfinden, meint er.

Alkohol helfe gegen das Alleinsein

„Was zu rauchen oder mal zu Silvester ein Grämmchen Koks. Das ist so das Normale unter den Leuten hier.“ Mesut* ist 40, seit zwei Jahren sitzt er wegen gefährlicher Körperverletzung. Alkohol werde auch getrunken. Vor allem in der Vorweihnachtszeit – um das Alleinsein zu verdrängen. Gregor streicht sich eine lange graue Strähne aus dem Gesicht. „Wenn man keinen Beamten seines Vertrauens hat, muss man selber ran.“ Tobi erklärt: „Angesetzt wird mit Weißbrot und Früchten.“ Gregor klatscht lachend in die Hände: „So ein Quatsch! Traubensaft mit Hefe und viel Zucker, und dann ist alles schick.“ Bei ihm auf der Station gebe es einen, der alle drei Monate erwischt wird. Manchmal mit 15 Litern. Für jeden Liter bekomme er dann einen Tag Bunker. Einen Tag Fernsehentzug, völlig isoliert, garantiert ohne Rausch. Im Bunker können die Gitterstäbe nicht verschwimmen.

* Namen von der Redaktion geändert

Foto: © JVA Tegel

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