Kunst
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Gefesselt in Tempelhof

Foto: Javier S. Sañudo

Bei Shibari, der Kunst des japanischen Bondage, geht es nicht zwangsläufig um Erotik oder Sex. Ziel ist es vielmehr, ein ästhetisches Kunstwerk aus Mensch und Seil zu erschaffen. Nicht selten erleben Fesselnde und Gefesselte rauschhafte Momente.

Eine große Truhe steht im flackernden Rotlicht des Nachtclubs, verzerrte Elektrobeats untermalen die Szene. Langsam hebt sich der Deckel und ein einzelnes weißes Frauenbein reckt sich nach oben. Eine zweite Frau ganz in Schwarz betritt die Bühne. Mit dem federbesetzten Hut und den Plateaustiefeln sieht sie aus wie der gestiefelte Kater. Ihr Gesicht ist von einer japanischen Theatermaske bedeckt, starr und weiß. In ihren Händen hält sie Seile, die sie in einer komplizierten Abfolge an Hüfte, Oberschenkel und Knöchel des emporgereckten Beines knotet und an einem Flaschenzug befestigt. Dann zieht sie am Seil und wie schwerelos hebt sich eine Frau aus der Truhe. Um ihren Körper winden sich die hellen Seile in kunstvollen Mustern, alle Muskeln sind entspannt. Ihre Augen sind geschlossen, sie strahlt eine meditative Ruhe aus. Die Frau in Schwarz zurrt noch ein paar Knoten fest, stolziert um das verschnürte Objekt und bringt es dann mit einer einzigen Handbewegung zum Schwingen. Wie eine trudelnde Blüte im Wasserstrom wirbelt die gefesselte Frau um die eigene Achse, die Menge applaudiert.

Die Frau mit der Maske und dem Hut ist CoCo Katsura, Bondage-Künstlerin aus Tokio. Seit zwei Jahren lebt sie in Berlin. Sie tritt regelmäßig auf Ausstellungseröffnungen, Tattoo Conventions und anderen Kulturveranstaltungen auf. „Die meisten Menschen denken, Bondage hätte automatisch was mit Sex und BDSM zu tun, aber das muss nicht sein. In meiner Kunst zeige ich nie nackte Brüste oder Ähnliches. Ich möchte, dass es subtil und ästhetisch aussieht, nicht unbedingt erotisch und schon gar nicht pornografisch.“ Shibari heißt die Kunst des japanischen Bondage. Hierbei geht es nicht zwangsläufig um Erotik oder Sex. Ziel ist es vielmehr, ein ästhetisches Kunstwerk aus Mensch und Seil zu erschaffen. Dies braucht Zeit und Ruhe, nicht selten erleben Fesselnde und Gefesselte transzendentale Momente.

Nach der Performance sitzt CoCo mit gekreuzten Beinen auf dem Fußboden des Backstage-Raums und nippt an ihrem Tee. Auf ihrer Hand leuchten tätowierte Kirschblüten in Rot. Ihr langes schwarzes Haar trägt sie im Nacken zu einem lockeren Knoten gebunden, unter ihrem blondierten Pony blitzen schwarzgeschminkte Augen hervor. Sie trägt  dunkle Kleidung, bis auf die bunten Socken, die aus ihren geblümten Latschen hervorlugen.

Neben ihren Auftritten bietet CoCo auch regelmäßig Workshops an, in denen man die Kunst des japanischen Bondage erlernen kann. „Einige Leute mögen das Gefühl, komplett die Kontrolle zu verlieren, oder an jemand anderes abzugeben, das ist für sie Nervenkitzel. Bei den meisten aus der BDSM Szene ist das wohl so.“ Die Japanerin selbst sieht Bondage als etwas ganz anderes. „Für mich ist es Kunst und vor allem eine Art der Therapie. Eine Massage für Körper und Geist.“

Die Anfänge des japanischen Bondage liegen im Dunkeln. Eine Theorie sieht den Ursprung in der Fesselung von Gefangenen, eine andere Theorie besagt, diese Bondageform stamme aus den mittelalterlichen Klöstern Japans. Dort habe man Fesselungen zur Unterstützung der Meditation vorgenommen, sowohl für den Gefesselten, als auch für den Fesselnden, ähnlich wie das Rechen der Zen-Gärten. Wahrscheinlich fanden Fesselspiele in Japan erst ab dem 19. Jahrhundert den Weg in die Schlafzimmer.

Selbst fesseln lässt CoCo sich nicht mehr, stattdessen lässt sie sich Haken durch die Haut stechen und an Seilen in die Luft ziehen. Body-Suspension heißt diese Form der Körperkunst. „Natürlich verspüre ich Schmerzen, wenn die Haken durch meine Haut gestochen werden, doch sobald ich hänge, bin ich völlig frei und befinde mich in einer sehr schönen Welt. Körper und Geist sind untrennbar verbunden, deshalb brauchen manche Menschen eine extreme körperliche Erfahrung, um ihren Geist zu befreien, ähnlich wie beim Yoga.“

Was genau die Teilnehmer ihrer Workshops beim Bondage fühlen, wisse sie nicht. Da es für jeden eine komplett andere Erfahrung sei, frage sie nur selten. „Manche fühlen sich frei und entspannt, manche haben sogar transzendentale Erfahrungen, während sie gefesselt sind und in der Luft hängen.“ Für CoCo Katsura selbst ist es hauptsächlich ein Job, der oft auch stressig sein kann. Doch sobald sie selbst bewegungslos an Haken in der Luft schwebt, spürt sie nichts mehr davon. „Ich bin wie in Trance, fühle mich sehr ruhig, es ist als befände ich mich in einer weißen Welt. Alles ist sauber und weiß.“

Foto: Javier S. Sañudo

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