Gesellschaft
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Zurück zur Natur

Ein Streifzug durch den geschlossenen Spreepark im Plänterwald. Früher Berlins größter und ständiger Rummelplatz.

Absperrgitter, dahinter drei verwaiste Kassenhäuschen. Der weiße Anstrich blättert und hat sich wie das Laub vor meinen Füssen zu porösen Haufen auf dem Boden versammelt. Ein klarer Nachmittag Ende Oktober. Ich habe den Eingang zum ehemaligen Vergnügungspark im Plänterwald gefunden. Mein Weg vom S-Bahnhof hat mich durch dichten Wald geführt. Landschaftsschutzgebiet. Die Sonne scheint ungehindert zwischen den blanken Ästen hindurch und läßt die wenigen Blätter, die sich noch am Holz festkrallen, kostbar leuchten. Die baufälligen Buden am Eingang verraten nichts über die Erwartung, mit der Besucher hier früher anstanden. Eine Fensterscheibe am mittleren Häuschen ist zerbrochen. An der feuchten Innenwand entdecke ich eine verschimmelte Preistafel: 29 DM Eintrittspauschale. So hoch war der Preis, um in der ‘Dinoworld’ in eine vorzivilisatorische Zeit einzutauchen oder sich im Riesenrad dem Nervenkitzel von Geschwindigkeit und freiem Fall auszuliefern.

Seit November 2001 ist der Spreepark geschlossen. Nachdem sich der insolvente Pächter mit den teuersten Fahrgeschäften nach Peru abgesetzt hatte, übernahm der Berliner Liegenschaftsfonds die Haftung. Jetzt wird in dem 30 Hektar großen Areal ein stiller Kampf zwischen Natur und Kultur ausgefochten.

Bilder vom verwilderten Park im Playboy

Mit fünfzehn anderen Besuchern warte ich auf Christopher Flade. Er kennt den Park seit seiner Kindheit. “Dieser Rummel war immer was besonderes!”, begrüßt er uns. “Man konnte hier Dinge fahren, die es nirgendwo sonst gab.” Flade träumt von der Wiedereröffnung des Spreeparks. Um Geld für die renovierungsbedürftigen Fahrgeschäfte zu sammeln, führt er jedes Wochenende Berliner und Touristen durch das Sperrgebiet. Ein Kanadier mit Profifotoausrüstung schwärmt, der Ort sei für ihn ein authentisches Stück DDR. Bilder vom verwilderten Park habe er schon im Playboy gesehen. DDR-Authentizität im Playboy? Flade lächelt: “Es kommt öfter vor, dass sich auf den umgestürzten Riesenechsen nackte Models räkeln! Aber mit authentischer Ostgeschichte hat das nix zu tun!” Die geschundenen Sauriernachbildungen geben Flade recht. Im Vergleich zur DDR hatten sie eine wesentlich kürzere Laufzeit. Für ein paar ältere Besucher, die den Park tatsächlich aus DDR -Tagen kennen, ist der Ausflug eine Reise in die eigene Vergangenheit. 1969 wurde er zum zwanzigsten Jahrestag der DDR eingeweiht. Von dieser Zeit erzählen nur noch die Kassenhäuschen und das Riesenrad.

Die restlichen Fahrgeschäfte stammen aus den 90er Jahren. Eines davon ist die Wildwasserbahn. Von weitem sehen die gelben Wagen so aus, als wären die Fahrgäste eben erst ausgestiegen. Ruhig liegen sie im algengrünen Wasser. Aus der Nähe grinsen mich Smileys an, die mit schwarzer Farbe auf die zerborstenen Rücklehnen gekritzelt wurden. Lachend kommentieren die Gesichter den Zustand der Bahn: Zwölf Jahre ist es her, dass die letzten Besucher ihre Rücken bei rasanter Fahrt in die Plastikschalen gepresst haben. Jetzt klebt in den Wagen eine zentimeterdicke Dreckschicht. Die zerschlagene Scheibe des Kassenhäuschens und die herausgerissenen Armaturen im Inneren zeugen von mutwilliger Zerstörung, die dem natürlichen Verfall zuarbeitet.

Vergessene Requisiten, die sich in lebendige Stilleben verwandeln

Ein Trampelpfad führt durch dichtes Gestrüpp, vorbei an hohen Bäumen und verwitterten Imbissbuden. Wir passieren das frühere Westerndorf: Windschiefe Blockäuschen, die sich fest an den Boden schmiegen. Die Schwingtüren des Saloons sind verzogen und aus den Angeln gerutscht, sein bemoostes Dach hat sich bis zur Erde abgesenkt. Nach einer Biegung stehen wir plötzlich vor einem Tümpel. Ein verlassenes Schwanenboot treibt auf braunem Wasser, die Sitzbänke von Unkraut überwuchert. “Im Frühjahr brüten Enten im Schwanenbauch!” erzählt Christopher Flade. Vergessene Requisiten, die sich in lebendige Stilleben verwandeln. Der Park erwacht von ganz allein, denke ich, bestäubt vom Vergessen.

Hinter dem Boot reckt sich das Riesenrad empor. Die rot, grün, blau und gelb gestrichenen Eisengondeln sind verrostet, bei einigen die Türen verbogen. Aber im Auf und Ab des Windes strahlen sie unverwüstliche Eleganz aus. Immer wieder muss der Sicherheitsdienst Leute aus den Gondeln holen. Das unblockierte Rad verführt viele zum Einsteigen. Wird es windstill, hat man Pech. “Erst kürzlich”, sagt Flade, “musste eine 90-jährige befreit werden, deren Gondel sich nicht mehr abwärts bewegte.”

Die Zukunft des Parks ist ungewiß. Erst im Juli 2013 ist die lange geplante Zwangsversteigerung geplatzt. An Interessenten fehlt es nicht, hat es nie gemangelt: Der Verein für Permakultur in Deutschland zählte dazu, sogar die Betreiber des russischen Gorki-Parks. Aber die Auflagen sind hoch. Und das Land zögert. Die Pleite mit dem letzten Betreiber wirkt nach.

Unterdessen erobert sich die Natur ihren Platz zurück. Der Park lädt ein zur Safari durch Zivilisationsreste und bleibt ein Ort, der von der Illusion lebt.

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