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Bin ich ein Postmigrant?

Die Akademie der Autodidakten schafft Jugendlichen den Zugang zum Theater

Wie soll ich mich denn bezeichnen? Muss das sein, dass man sich zuordnen muss? Und: Bin ich ein Postmigrant, oder was?  Die Jugendlichen im Übungsraum des Theater Ballhaus Naunynstraße huschen geübt zwischen einer Projektorwand, die sie wie einen Touchscreen verschieben können, und Regisseurin Simone Dede Ayivi hin und her, während sie diese Fragen stellen.

Im neuen Theaterstück “We play” geht es darum, zu bestimmen, was in unserer Gesellschaft mit dem Personalpronomen “wir” im Allgemeinen gemeint ist. Wer sind “wir” überhaupt, wie identifizieren sich Gruppen innerhalb dieses “wir”, was sind Migranten, wer gehört zu dieser Gruppe und wer gehört nicht dazu? Schließlich stellt sich das Stück auch die Frage, ob so eine Einteilung der Individuen überhaupt möglich ist. Angesichts der wachsenden Akzeptanz nationalsozialistischer Ideen in Europa beschäftigt sich “We Play” auch mit den Gefahren, die der Ausschluss anderer zwecks der Identifikation als “Gruppe” in einer Gesellschaft birgt. Die Premiere findet am 15. Dezember um 20 Uhr statt.

Was zieht Jugendliche hierher?

“Das Stück kommt aus uns selbst heraus”, erzählt Mia Kaspari, eine der jugendlichen Schauspielerinnen. Das Besondere sei, dass sie die Texte selbst entwickeln. Während gemeinsamer Gespräche haben sie die Kategorisierungspraxis, also die Verwendung von klassifizierenden Personenbezeichnungen wie etwa “Migrant” und “Postmigrant” ausprobiert und hinterfragt. Die sich dabei entwickelnden Diskussionen wurden zuerst auf Tonband aufgenommen, danach transkribiert und schließlich in eine für ein Theaterstück passende Form gebracht. “Ich konnte relativ frei über persönliche Sachen reden, da war so ein totales Vertrauen vorhanden”, erzählt Joschla Weiß. Das war eine neue, positive Erfahrung für sie. Auf das Projekt gestoßen ist die 33-Jährige (ab und an nehmen auch Erwachsene an den Projekten teil) während eines Praktikums im Haus. Für Marett Klahn ist klar, weshalb sie hierher kommt: “Wegen der schönsten und klügsten Regisseurin.” Die Stimmung innerhalb der Gruppe ist ausgelassen und freundschaftlich.

Die Idee der Akademie: Ein Perspektivwechsel

Eine der Hauptideen der “Akademie der Autodidakten” sei, Postmigranten einen Zugang zum Theater zu schaffen, erzählt der Leiter Volkan Türeli. Der Alltag in dem Beruf des Schauspielers gestalte sich für diese oft schwer – oft würden sie durch die Zuweisung in bestimmte Rollenbilder stigmatisiert. Bei der Entwicklung der Theaterprojekte legt die Akademie Wert darauf, mal die Perspektiven zu wechseln. Die meist transkulturellen Themen werden hier von denen entwickelt, die davon betroffen sind, etwa den Jugendlichen (laut Gesetz gehören dazu junge Erwachsene von 15 bis 27 Jahren), die oft keinen akademischen Abschluss haben. Betreut werden die Theater- und Filmprojekte von Künstlern  aus dem Netzwerk des Ballhaus Naunynstraße. Das Programm der Akademie ist vielfältig – es werden Musik-, Schauspiel- und Filmworkshops angeboten. Das Videoformat “Kiez-Monatsschau – Nachrichten aus der Naunynstraße” ist besonders erfolgreich. Vor Kurzem bekam das Theater des Ballhauses eine neue Leitung, Theaterchefin Shermin Langhoff wechselte an das Maxim Gorki Theater und dafür übernahmen Wagner Carvalho und Dramaturg Tuncay Kulaoglu die Leitung. Von diesen verspricht sich Türeli eine Erweiterung des Themenspektrums, vor allem “Afrothemen”sollen mehr Raum im Programm einnehmen.

Bild: Jugendliche während eines Theaterstücks, Quelle: Pressematerial der Akademie der Autodidakten.

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Kategorie: Bühne

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