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Ich will hier weg

„Die Tauben“ von David Gieselmann wurde am 6. März an der Schaubühne uraufgeführt. Marius von Mayenburg inszenierte die turbulente Farce, in der alle Charaktere psychische Probleme haben.

Reglos sitzen acht Gestalten auf einem langen roten Designersofa auf der noch dunklen Bühne. Vor ihnen Glastische mit Champagnerflaschen, neben ihnen ein riesiger Plastikweihnachtsbaum mit Lichterkette und bunt blinkendem Stern auf der Krone. „All I want for Christmas is you“ wird gesanglich überaus professionell angestimmt. Das Licht geht an, und prompt ist es mit der scheinbaren Besinnlichkeit für den Rest des Stückes vorbei.

Von nun an wird in der Uraufführung „Die Tauben“ von David Gieselmann gelogen, betrogen, geraubt und geschimpft. Das alles auf brüllende, tobende und durchaus hektische Weise. Vor etwa zehn Jahren erlangte David Gieselmann mit seiner Farce „Herr Kolpert“ erstmals Bekanntheit. Bei „Die Tauben“ handelt es sich nun um sein zweites Stück, das an der Schaubühne aufgeführt wird. Er gewann damit den Komödienwettbewerb, den die Schaubühne unter dem Titel „Deutschlands missratene Kinder“ ausgerichtet hatte. Die Kulturstiftung des Bundes förderte das Stück im Rahmen des Theaterprojekts „60 Jahre Deutschland. Annäherung an eine unbehagliche Identität“.

Jeder ist auf seine Weise verrückt

Den Anfang in „Die Tauben“ macht Hauptfigur Robert Bertrand. „Ich will hier weg“ sind seine ersten Worte, mit denen er den Stein der absurden Handlung ins Rollen bringt. Robert ist genervt von seiner Firma und dem Leben mit seiner kaufsüchtigen Ehefrau Gerlinde, die schon fast wahnhaft davon besessen scheint, nach Ligurien auszuwandern. Seinen Mitarbeiter Holger Voss weiht Robert in seinen Plan ein, lässt jedoch offen, wohin und wie er verschwinden will.

Holger, der die Firma übernehmen soll, ist jedoch alles andere als erfreut darüber. Er ist nämlich ein Nervenbündel par excellence, bekommt daher häufig Panikattacken (vor allem wenn das Telefon klingelt), fühlt sich von seinen Kollegen gemobbt und ist fest davon überzeugt, dass man ihn in den Wahnsinn treiben will. Zudem wird er regelmäßig von seiner aggressiven, zu ausufernden Wutanfällen neigenden Frau Natalie zusammengestaucht. Tatsächlich hat Roberts unscheinbarer Sohn Helmar eine Mitarbeiterin darauf angesetzt, den geistig labilen Holger aus der Firma rauszuekeln, um selbst auf den Chefsessel zu gelangen.

Auch der Zuschauer wird wahnsinnig

Bei der Beobachtung des regen Treibens auf der von Nina Wetzel etwas karg ausgestatteten Bühne mit all den psychisch gestörten Charakteren, fragt sich der Zuschauer, ob in diesem Stück überhaupt eine Person existiert, die noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist. Denn selbst Psychiater Dr. Erich Asendorf, den früher oder später alle armen Seelen des Stücks aufsuchen, ist selbst nicht ganz klar im Kopf. Er schläft mit all seinen Patientinnen, kann seine Klienten nicht mehr auseinander halten und ist kurz davor, den Verstand zu verlieren.

So reiht sich in diesem Reigen eine Absurdität an die andere, und der Zuschauer wird allein schon durch die Betrachtung des Ganzen irgendwann selbst fast wahnsinnig. David Gieselmanns turbulente Farce lebt jedoch gerade davon. Es geht hier nicht um eine tiefgründige Handlung, sondern viel mehr um das detaillierte Aufzeigen von menschlichen Schwächen. Dem Zuschauer wird sozusagen das Abbild einer lächerlichen Gesellschaft vorgeführt, in der jeder Einzelne mit seinen mehr oder weniger großen psychischen Defekten zu kämpfen hat. Gieselmann überrascht das Publikum immer wieder mit einer neuen abstrusen Szene, mit der vorher nicht zu rechnen war. So zum Beispiel auch mit jener, als der verschwundene Robert plötzlich, getarnt als französischer Schönling, wieder auftaucht.

Rasantes Tempo mit rasant wechselnden Dialogen

Marius von Mayenburg, Hausautor der Schaubühne, lässt den Schönling in seiner schrillen Inszenierung in knappen Shorts, mit Kniestrümpfen, engem T-Shirt und Perücke auftreten. Bewaffnet mit einem Baguette legt dieser dann zur Freude des Publikums auf lächerlichste Weise eine Tanzeinlage mit gekonnt gespreizten Gliedern ein. Von nun an gibt er sich mit albernem französischem Akzent als Roberts Halbbruder Francois aus.

Die schräge Komödie zeichnet sich durch ein rasantes Tempo und ebenso rasant wechselnde Dialoge aus, die den Zuschauer während des gesamten Stücks so einiges an Aufmerksamkeit abverlangen. Mit Hilfe dieser  Methoden gelingt es Mayenburg von der insgesamt eher flachen Handlung abzulenken und das Publikum dennoch bei Laune zu halten. Zwischendurch legen die multitalentierten Darsteller immer mal wieder eindrucksvolle Gesangseinlagen mit Gitarren-, Xylophon-, oder Mundharmonikabegleitung ein und bringen die Anwesenden damit wirklich zum Staunen.

Insgesamt ein eindrucksvolles Schauspiel

Dem eindrucksvollen und enthusiastischen Spiel jedes einzelnen Darstellers ist es auch zu verdanken, dass der Zuschauer das Theater nicht mit einem Kopfschütteln verlassen muss. Robert Beyer überzeugt in der Rolle des panischen Holger Voss und zeigt dabei vollen Körpereinsatz. Urs Jucker wechselt mit Leichtigkeit zwischen der Rolle des groben Roberts und der des feminin angehauchten Franzosen Francois hin und her. Eva Meckbach beeindruckt in der Rolle der Natalie Voss mit ihren temperamentvollen Wutausbrüchen, bei denen sie sich auch ab und zu mal selbst eine Ohrfeige verpasst. Zudem bringt sie das Publikum mit ihrer hingebungsvollen Gesangseinlage und einer beeindruckend schönen Stimme zum Staunen.

Aufgrund der schauspielerischen Leistung aller Darsteller und der gelungenen szenischen Umsetzung verzeiht man es dem Stück, dass es keine anspruchsvollere Handlung vorweisen kann. Überhaupt ist es verwunderlich, dass ein solch komödiantisches Stück in der Schaubühne präsentiert wird, da man so etwas doch viel eher im Theater am Kurfürstendamm erwartet hätte.

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