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Kein Schnappschuss – ein Bewegungsfluss

In der Ausstellung „technical matters“ zeigt die Galerie Deschler den Künstler Jay Mark Johnson. Seine Bilder sind fotografierte Bewegungszeit.

Im Galerieraum tanzt eine Asiatin inwärts an der Ecke entlang. Sie schmiegt sich  im Bewegungsfluss, spreizt anmutig im Sprung ein Bein nach hinten, sie hinterlässt Bewegungsspuren – hingebungsvoll eingeschrieben auf einer glänzenden Fläche Fotopapier.

Die Bilder von Jay Mark Johnson, die in der Galerie Deschler im Rahmen der Ausstellung „technical matters“ aus-gestellt werden, zeigen Frauenkörper in asiatischen Bewegungsmustern – beim Tanz und Tai Chi – die mit einer modifizierten Panoramakamera auf-genommen wurden. Die Kamera steht still und nimmt durch einen vertikalen Schlitz auf, vor dem sich eine Bewegungsfolge abspielt. Die Bewegung vor dem Schlitz wird auf dem Belichtungsstreifen von links nach rechts geschrieben, so dass das Bild, das daraus entsteht, in seiner Horizontalen keinen Raum abbildet, sondern Zeit. So sieht man wellenartig verlängerte Körperteile, die im Bild durch die Luft schweifen, anmutig den Raum streichelnd, wenn sich die Tänzerin langsam bewegt, wie beim Tai Chi. Man sieht Fußspitzen, die sich spitz ziehen, expressionistisch verzerrt. Aber auch isolierte Hände, die körperlos im Raum zu schweben scheinen, wenn blitzartig die Hand vor dem Belichtungsschlitz vorbeigezogen wurde. Körperlos im Raum, obwohl das Bild keine gewöhnliche Raumordnung zeigt – die Fotografien erzeugen eigentümliche Irritationen. Sie erreichen, was Fotografie im Gegensatz zum Film eigentlich gar nicht kann: einen Bewegungsverlauf zeitlich darstellen. Kein Schnappschuss – ein Bewegungsfluss. Bilder, die ein Paradox kreieren,  in denen Dynamik in Luft gerinnt, bei denen die Sehgewohnheiten von Bewegtbildern dem statischen Kunstwerk eingeschrieben sind.

Der Zeit Raum geben. Jay Mark Johnsons "Priscilla Sunday"

Die Bilder, die im Eingangsbereich der Galerie Deschler zu sehen sind, heißen „Priscilla“ in verschiedenen Variationen. Sie tragen den Namen der Tänzerin. Der in L.A. und Venedig lebende Künstler Jay Mark Johnson hat Priscilla Sunday im Rahmen seiner Serie „motion studies“ aufgenommen. Besonders eindrucksvoll ist „Priscilla Electric Lodge #47-1“, das im Eingangsraum über Eck angebracht ist. Ein Spiel mit der Ecke als Bruch der Bewegung in knapp vier Metern Breite. Ein Bild, in dem der Zeit Raum gegeben wird. Und der Bewegung Bild.

Die Ausstellung „technical matters“ hebt Künstler hervor, die mit innovativen technischen Mitteln Kunst erschaffen – ein Schwerpunkt der Galerie Deschler. Anlässlich des „4. Europäischen Monats der Fotografie“ stellt die Galerie in „technical matters“ diejenigen Künstler aus, bei denen dieses technische Mittel die Fotografie ist. Neben Jay Mark Johnson sind außerdem Tony Conway und Stefan Roloff zu sehen, sowie der Künstler Holger Bär.

Ähnlich wie Jay Mark Johnson verwendet Holger Bär ein spezifisches technisches Instrument, um seine Bilder herzustellen. Jedoch erzeugt er eine völlig andere Ästhetik. Die Verbindung zur Fotografie findet bei Holger Bär im Ursprungsbild statt: ein digitales Foto wird mit Hilfe einer „Malmaschine“ Pixel für Pixel in Öl auf Leinwand trans-poniert, so dass ein pointillistisch gemaltes Werk entsteht. Seit seiner Zeit als Student an der Kunstakademie arbeitet Bär an der technishcen Entwicklung seiner automatisierten Malapparate.

Die kleinen Farbpunkte ergeben in ausreichender Entfernung leuchtende Park- und Stadtlandschaften, vereinzelt auch Menschen. Tritt man dichter an die Bilder heran, sieht man feine Ölkleckse, in dichter Textur, fast plastisch, die präzise aufgetragen sind. Man be-wundert die geduldige Hand des Künstlers, wenn man nicht weiß, dass einen Maschine zwischengeschaltet ist, die den Pinsel für den Künstler führt.

Holger Bärs Malmaschine malt pointilistisch Schicht für Schicht in Fleißarbeit.

Holger Bärs Malmaschine, die die Illusion von Hand- und Fleißarbeit erzeugt, wirft Fragen auf, genau wie Jay Mark Johnsons Panoramakamera. Findet die Beobachtung unserer Umwelt immer durch den Blick eines technischen Apparats statt? Vermittelt uns ein Medium unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit? Die beiden Künstler kommunizieren mit den Betrachtern ihrer Werke vermittelt durch Medien. Schlitzkamera und Malmaschine sind zwischengeschaltet. Wie unverstellt begreifen diese Künstler unser Handeln in der Welt?

Jay Mark Johnsons fotografische Drucke könnten auf einen undifferenziert flüchtigen Blick auch Vorlagen für eine Posterdruckserie sein. Holger Bär hat´s leichter: pointillistische Ölkleckse erwecken unwillkürlich den Eindruck vermeintlich hoher Kunst.

Beide Techniken stellen subtil in Frage, wie Medien unsere Wahrnehmung beeinflussen. Die Sprache der Künstler kann nur mit dem bewussten Willen zum Verstehen entschlüsselt werden.

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Kategorie: Archiv