Kunst
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Wer ist der Anthropozän?

Im Haus der Kulturen der Welt soll ein neues Zeitalter anbrechen. Ein Küchentischgespräch zur Ausstellung “The Anthroposcene Observatory”

 

“Und, was ist der Anthropozän?” Das Mädchen mit der grünen Hornbrille sieht mich erwartungsvoll an. „Wie sieht er aus?“ „Ja“, stimmt der junge Mann ein, der gerade den Topf mit den kochenden Nudeln umrührt, „Und wo kommt er her?“, will er wissen.

Es ist eine Wohngemeinschaft in Berlin. Jungakademiker, Überlebenskünstler und dieser eine Typ, von dem niemand weiß, wen er hier eigentlich kennt. Der Küchentisch im Kollektiv ist Plattform und Diskussionsforum. Ich komme gerade von einer Ausstellung im HKW zurück: The Anthroposcene Observatory. Bei den Küchentischbesetzern, die sich auf die Fahne schreiben, am Puls der Zeit zu leben, ruft der Begriff jedoch keine Assoziation hervor. „Was gab’s denn zu sehen?“.

Eine neue Epoche

Eine Antwort ist nicht einfach. Es gab wie beiläufig, zufällig hängende Bilder; transparent, durchscheinend. Ein Gebirge, eine Radkappe, Blumenwiesen. Mystische Erzählung von Menschen, die wie fleischgewordenen Seismographen ein Erdbeben vorhersehen können. Ein Video von blinkenden, leuchtenden Kabeln. „Aha“, ratlose Gesichter blicken mir stumm entgegen. Endlich greift das Hornbrillen-Mädchen sich ans Herz, „Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert!“, sagt sie und tippt das Wort ins Google Suchfeld. Sie liest vor:

Unter dem Namen Anthropozän („Das menschlich gemachte Neue“) wird die Benennung einer neuen geochronologischen irdischen Epoche vorgeschlagen. Sie soll den Zeitabschnitt umfassen, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist”.

Ein Nicken geht durch die Reihen. Natur und Technik, Mensch und Planet, ineinander verschlungen, mehr denn je in einem Austausch begriffen. Der Kerl, den niemand kennt, protestiert und zitiert den amerikanische Komiker George Carlin: „Wir sind so überheblich! Dem Planeten geht es gut, die Menschen sind am Arsch! Der Planet ist seit 4,5 Milliarden Jahren hier. Er wird uns wie eine Erkältung abschütteln“.

Entsagung an das Bekannte

“Wie dem auch sei“, sagt der Nudel-Koch, „wie war die Ausstellung selbst?“ Nun wird es noch schwieriger. Laut Anthropozäntheorie hat die menschengemachte Technik auch die menschliche Ratio und Denkstrukturen verwandelt; herkömmliche Methoden der Wissensgewinnung sind an ihre Grenzen geraten. Wer A sagt muss nicht mehr B sagen; Zeit ist nicht linear; eigentlich stimmt gar nichts mehr und alles was wir wussten , hat keinen Gehalt mehr. Da verwundert es auch nicht mehr, dass die Ausstellung selbst zum Ausdruck des Paradigmenwechsel geworden ist. Sie ist die Entsagung eines linearen Erkenntnisgewinns wo Fragen auch Antworten verlangen. Deswegen kann auch ich meine Küchentischgegenüber in ihrer Verständnislust nicht befriedigen. Die Ausstellung entfaltet ihre Bedeutung wie ein Gebirge, bruchstückhaft, um die Ecke, Stufe für Stufe, Schritt für Schritt.

Keine faulen Besucher, bitte!

Vom Besucher wird erwartet, dass er sich einbringt. So ein Paradigmenwechsel entzieht sich eben auch althergebrachten Museumsgewohnheiten. Keine Erklärung, keine weitere Informationen, die den Besucher durch die verschieden Hallen des HKW tragen könnten. Das kleine Booklet, das die Veranstaltung begleiten soll – sinnlos, hilflos, macht alles nur noch schlimmer. Zumindest für denjenigen, der sich nicht die Mühe gemacht hat, den Begriff „Anthropozän“ schon im Voraus zu begreifen. Der unbefleckte Besucher wird dieser Tage bestraft; für ihn verwandelt sich das HKW in ein Dadaistisches Verwirrspiel, ohne Ziel und Zweck und Richtung und Willen. Oder, wie ein ratloser Besucher angesichts einer Panoramaleinwand voll wirrer Farbkleckse flüsterte: „Als hätte sich eine weiße, übergewichtige Akademikerin in Farbe gewälzt und über die Leinwand gerollt“.

Was also ist der Anthropozän? Ich möchte der Küchentischrunde sagen: „Er ist der schwebende Mond im Teleskop, der Tornado über dicht gedrängten Bäumen, helle und dunkle Kornfelder in einer schier endlosen Ebene. Der Dunst über einer Stadt, die staubige Gesteinsform. Er ist all das menschliche in der Natur, er ist die Einmischung, der Einfluss der Spezies Mensch“. Ich denke es, sage es aber nicht. Denn der Anthropozän ist scheu, er entzieht sich jeder Erklärung. Zumindest im Haus der Kulturen der Welt.

Das Anthropozän Projekt im HKW

© Franziska Knupper

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Kategorie: Kunst

Nach einem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und Universitetet i Oslo als auch einem Studium der Anglistik und Philosophie in Bonn und der Pariser Sorbonne Nouvelle ist Franziska Knupper derzeit Masterstudentin an der Universität der Künste Berlin. Sie arbeitet als freie Übersetzerin und Autorin für das Palestine Israel Journal, das Aesthetica Magazine sowie den Deutschlandfunk.

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