Gesellschaft
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Protestieren, Reformieren!

Autosave-File vom d-lab2/3 der AgfaPhoto GmbH

Warum Revolutionen politisch scheitern, aber die Gesellschaft verändern. 

Der britische Autor George Orwell schrieb 1945 mit der dystopischen Fabel Animal Farm eine Allegorie auf Gesellschaftsverhältnisse nach einer scheinbar erfolgreichen Revolution. Animal Farm erzählt von einem Bauernhof, auf dem sich die Tiere gegen ihren faulen und versoffenen Besitze Bauer Jones auflehnen. Sie vertreiben ihn von der Farm und organisieren sich selbst – sie leben gleichberechtigt im Animalismus zusammen, einem System mit sozialistischen und kommunistischen Zügen. Einige Jahre vergehen, die Tiere sind glücklich, sie fühlen sich frei und friedlich, mit der Zeit werden jedoch die Schweine, die schlausten Tiere auf der Farm, immer größenwahnsinniger und reißen schließlich die gesamte Macht an sich. Von nun an leben die Tiere unter der grausamen Diktatur der Schweine.

Reformationen, Revolutionen, Proteste oder Meutereien gegen bestehende, als Unrecht empfundene Systeme werden schon geplant, seit es Menschen gibt. Sie haben das Ziel mehr Gleichheit und mehr Freiheit zu bringen, alles besser zu machen, die Menschen sollen weniger habgierig und machthungrig sein, sie sollen in Frieden leben. Es gab schon unzählige Revolutionsversuche – trotzdem haben sich am Ende meistens ein paar wenige wieder über die anderen erhoben und im Glauben, es besser zu wissen, die Macht an sich gerissen.

Heute wird wieder überall von einer Revolution geredet, seit Jahren hört man, dass es bald wieder eine große Studentenprotestbewegung geben wird, ab und zu werden ein paar Hörsäle besetzt, Wissenschaftler prognostizieren und philosophieren, es gibt zahllose Bücher und Artikel darüber, wie sich der Kapitalismus selbst zerstören wird oder wie man ihn zerstören kann.
Eine Bilderreihe zu den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg am vergangenen Wochenende zeigt Fotos von Vermummten, die Steine auf Polizisten verwerfen, Polizisten, die auf Demonstranten einschlagen, zerstörte Straßen und brennende Barrikaden. Ganz zum Schluss kommt ein Bild von dem riesigen Saal, in dem die Staatschefs der 20 wichtigsten Industrienationen über die Zukunft der Welt und vor allem der Wirtschaft debattieren. Die Bilder sehen aus, als wären sie auf zwei verschiedenen Planeten aufgenommen worden, dabei fanden diese Szenen nur ein paar Straßen voneinander entfernt statt. Die Mächtigen der Welt zeigen sich wenig tangiert von den – auch gewalttätigen – Protesten der weniger Mächtigen, sie leben, wie es scheint, in einer anderen Realität, in der es völlig in Ordnung ist, dass acht Männer gemeinsam mehr Vermögen besitzen als die gesamte ärmere Hälfte der Welt.

Im Februar 2016 stellt der damalige griechische Finanzminister Yannis Varoufakis seine als Antwort auf die Eurokrise 2010 entwickelte Protestbewegung Democracy in Europe Movement 2025, kurz Diem25, an der Volksbühne in Berlin vor. In seiner Rede warnt Varoufakis vor Ereignissen, die ein Jahr später Realität werden: dem Erstarken rechter Parteien, dem Brexit, und einem Europa, dass sich nach außen mehr und mehr abschottet und innerlich immer stärker zerbricht. Mit Diem25 will Varoufakis diese Entwicklungen aufhalten, er will ein transnationales Europa mit mehr Transparenz, jenseits von einer individuellen Wirtschaftspolitik der einzelnen Staaten und nationalen Parteien.

Die Nichtregierunsorganisation Attac gibt es schon seit 20 Jahren, sie gilt mittlerweile als ein Klassiker unter den sozialen Bewegungen und hat sich auch bei den Protesten gegen den G20-Gipfel engagiert. Die Bilanz, die Thomas Eberhardt-Köster aus dem jahrelangen politischen Aktivismus von Attac zieht, ist durchwachsen: „ Es gibt durchaus positive Veränderungen. Die Finanztransaktionssteuer ist ein Thema, welches von einem Randthema zu einem sehr populären Thema geworden ist. In anderen Bereichen, gerade im Hinblick auf das Erstarken autoritärer Regime und Rechtspopulismus, müssen wir eher gesellschaftliche Rückschritte feststellen.“

Sabrina Zajak lehrt am Institut für Soziale Bewegungen der Universität Bochum, sie beschreibt das politische Engagement der letzten Jahrzehnte als wellenförmig. Konkrete Ereignisse lösen konkrete Reaktionen aus, beispielsweise die Friedensbewegung als Antwort auf den Irakkrieg.

In ihrem Buch Über die Revolution kommt die politische Theoretikerin Hannah Arendt zu dem Schluss, dass der Kern einer jeden erfolgreichen Revolution ein körperlicher sei, sie beschreibt am Beispiel der Französischen Revolution, wie die Armen, die nicht noch ärmer werden konnten, um überleben zu können, gewissermaßen „unter dem Diktat ihrer Körper“ revoltierten. Momentan leben auf der Welt rund 7,25 Milliarden Menschen, laut Schätzungen der UN ist davon heute jeder neunte Mensch unterernährt, man fragt sich, wann das „Diktat der Körper“ stark genug sein wird, um das globale Wirtschaftsmonopol von kapitalistischen Großmächten zu durchbrechen.

Old Major, das älteste und weiseste der Schweine aus Orwells Animal Farm, sagt: Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das konsumiert, ohne zu produzieren. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er ist zu schwach, den Pflug zu ziehen, er läuft nicht schnell genug, um Kaninchen zu fangen. Und doch ist er Herr über alle Tiere. Er schickt sie an die Arbeit und lässt ihnen dafür das bare Existenzminimum, damit sie ihm nicht verhungern, und den Rest behält er für sich.“ Mit diesen Worten stiftet er die Tiere zu ihrer Revolution gegen die Menschen an.

Betrachtet man die Revolutionen, Reformationen und Proteste, die in den letzten Jahrhunderten stattgefunden haben, scheint es tatsächlich oft so zu sein wie am Ende bei Orwell – die ehemaligen Revolutionäre werden selbst zu Unterdrückern, und die Vorstellung von einer freien Gesellschaft war nichts als eine Utopie. Stellt man sich die Welt heute jedoch ohne diese Bewegungen vor, wäre sie trotzdem einen ganz andere. Vielleicht ist der Erfolg einer Reformation weniger ein konkret politischer, als vielmehr der, einer Gesellschaft geistig eine neue Richtung zu geben.

Foto: Walt Jabsco/Flickr 

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