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Vollzeit Kaffeetrinker – Wenn Genuss zum Beruf wird

Kaffee ist Joachims Kühnes Beruf: Jedes Jahr reist der Barista auf der Jagd nach neuen Flavors um die Welt. Er weiß, worauf es bei einem guten Espresso ankommt. Aber auch, dass dahinter eine unfaire Wirtschaft steckt.

Wenn Joachim Kühne Kaffee trinkt, ist er taub, stumm und blind. Zu grelles Licht, Musik oder Lärm, die Farbe des Kaffees: Alles kann ihn bei der Beurteilung des Aromas stören.
„Porzellan ist das beste Material. Da verfälscht nichts den Geschmack!“, sagt der 29jährige Berliner und beugt sich über einen weißen Porzellanbecher, um den Duft eines äthiopischen Arabica zu bestimmen. Dazu bricht er die Kruste des frisch gebrühten Kaffees mit einem Löffel, schiebt sie an den Rand des Cups und atmet scharf ein. Es sieht ein bisschen so aus, als würde er koksen.

Joachim bestimmt das Aroma eines Kaffees.

Joachim bestimmt das Aroma eines Kaffees.

Kaffee zubereiten, schmecken, riechen und beurteilen. Das ist Joachims Beruf. Er kennt alle Eigenschaften des schwarzen Goldes: Von der Süße der Kaffeekirsche, der Art der Röstung bis hin zum sogenannten Flavor: dem Geschmack des fertig gebrühten Kaffees, der von Bergamotte über Schokolade bis hin zu Dill-artigem Aroma reichen kann.

Mit diesem Wissen verdient Joachim seinen Lebensunterhalt. Hauptsächlich in der Berlin School of Coffee in Berlin Wilmersdorf. Hier gibt er nicht nur Kurse über die Zubereitung, Röstung und Verkostung von Kaffee, sondern berät auch zahlreiche Röstereien, welchen Kaffee sie einkaufen sollen. Mehrmals im Jahr reist er durch die Welt, um neue Sorten und Aromen zu finden: Meist verschlägt es ihn dazu nach Lateinamerika und Afrika. Hier leitet er auch Exkursionen, in denen er Kaffeeliebhabern alles über den Rohstoff und seine Herstellung beibringt. Er führt zusammen mit den hiesigen Botschaften Austauschprojekte und Schulungen durch, ist Juror bei Barista-Wettbewerben und nimmt manchmal selbst an Ihnen teil. Diesen Monat noch geht es nach El Salvador.

Wie man zu so einem Job kommt? Joachim lacht. „Tja, das war ein langer Weg. Ich mochte Kaffee überhaupt nicht, bis ich an die Uni kam.“

Reise zum Ursprung

Mit dem vagen Berufswunsch Journalist im Kopf hatte er sich zunächst an der Freien Universität in Berlin eingeschrieben. Hauptfach Philosophie. Um die Miete zahlen zu können, arbeitete er nebenbei in einer Kaffeerösterei: Hier wog er den Kaffee ab und packte ihn ein. Damals bestand die einzige Qualität des Getränks für ihn darin, dass es ihn wach genug machte, um die Vorlesungen an der Uni zu überstehen. Der Geschmack? Na bitter.

Mit der Zeit änderte sich das. Durch die Arbeit kostete Joachim nach und nach die verschiedenen Kaffeesorten – die unzähligen Nuancen des Flavors faszinierten ihn. Er kaufte sich Bücher, las Onlineblogs, experimentierte mit der Zubereitung. Aber das reichte ihm nicht.

Er wusste, dass die Rösterei, in der er arbeitete, ihren Rohkaffee unter anderem von einer Plantage in Nicaragua bezog. Joachim fragte seinen Chef nach der Adresse, packte seine Koffer und flog nach Managua – ohne ein Wort Spanisch zu sprechen.

Als er an der Tür des Verwalters klopfte, staunte dieser nicht schlecht. Ein weißer Mitteleuropäer, der ihm anbot, für fünf Wochen umsonst die Drecksarbeit zu machen. Die Kaffeekirschen pflücken, fermentieren, Alles. Einzige Gegenleistung: Kostenlose Unterkunft und Verpflegung auf der Plantage. Warum eigentlich nicht?

Nach einigem hin und her akzeptierte er den deutschen Studenten. Durch die Arbeit auf der Plantage lernte Joachim nicht nur Spanisch, sondern auch alles über Kaffee: vom Anbau der Pflanze über die Verarbeitung und Verkostung bis hin zu den Schattenseiten der Kaffeewirtschaft. Die Arbeit eines Pflückers ist knochenhart. Joachim schaffte gerade mal ein Drittel des Ertrags, den die professionellen Arbeiter pro Tag ernten können. Diese wurden mit fast zwei Dollar pro Kaffeesack überdurchschnittlich hoch bezahlt und, wie sie ihm erzählten, gut behandelt. Auf vielen Plantagen sieht es anders aus, sagt er. Meist wissen die Anbauer weder wie gut ihr Produkt eigentlich schmeckt, noch wie viel es wert ist: Nur der schlechteste Teil der Ernte bleibt im Herkunftsland. Die gute Ware wird exportiert. Den großen Profit machen die Kaffeehändler in den reichen Abnehmerländern in Europa und Nordamerika.

Die Arbeit auf der Plantage ist hart.

Die Arbeit auf der Plantage ist hart.

Als Joachim nach Berlin zurückkehrte, begann er sich zu professionalisieren. Während er nebenbei noch seinen Bachelor abschloss, trainierte er seine Fähigkeiten als Verkoster und knüpfte Kontakte in die Baristaszene. Bald traf er einen Trainer der Berlin School of Coffee. Er hatte Glück: Der Bekannte war im Begriff, die Schule zu verlassen, um eine eigene Rösterei aufzumachen. Joachim bekam die frei gewordene Stelle. Seit dem ist er Vollzeit-Kaffeetrinker.

Eine eigene Rösterei

In Berlin ist Kaffee ein Trend. Nirgendwo sonst hört man den Satz „Baristas sind die neuen DJs“ so oft. Immer mehr Menschen machen eigene Röstereien auf, nehmen professionelle Beratung in Anspruch und legen auch auf Nachhaltigkeit Wert. Für die großen Industriehändler will Joachim deswegen nach wie vor nicht arbeiten. „Hinter Kaffee steht ein Weltmarkt, und dahinter steckt eine richtige Mafia“, sagt er. Vielen Großröstereien sei es egal, was ein Plantagenbesitzer oder ein Pflücker eigentlich an ihrem Produkt verdient. Auch das Fair-Trade Siegel hält Joachim nicht immer für aussagekräftig. Wer wirklich fairen Kaffee kaufen wolle, müsse sich deshalb selbst intensiv mit dem Produkt beschäftigen und bei kleinen Röstereien einkaufen. Von denen führen nämlich viele Websites, auf denen man die Löhne und Arbeitsbedingungen auf den Plantagen, mit denen sie Verträge schließen, einsehen kann. Viele Besitzer kennen die Arbeiter dort persönlich, genau wie Joachim. Auch seine Freunde überzeugt er regelmäßig davon, lieber ein bisschen mehr für guten und gerecht gehandelten Kaffee auszugeben, als zum Discounter zu gehen. Sein Wunsch für die Zukunft ist es, dass Kaffee nicht nur fairer gehandelt, sondern auch bewusster getrunken wird. Und eine eigene Rösterei. Das wäre auch nicht schlecht.

Bilder: Berlin School of Coffee

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