Gesellschaft
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Sex around the clock

Abseits der belebten Wege und Wiesen suchen „Cruiser“ in Berliner Parks nach schneller Liebe

Jeden Tag schlendern hunderte Spaziergänger durch den Berliner Tiergarten, konzentriert ziehen Jogger ihre Bahnen. Doch auf den Kieswegen rund um die Löwenbrücke sind auch Männer unterwegs, die auf etwas anderes aus sind als auf Erholung. Um sie zu erkennen, braucht es nur einen geübten Blick. Mischa Badasyan (27) weiß inzwischen, wonach er Ausschau halten muss. „Ich erkenne es am Tempo, wie jemand läuft und sich umschaut. Und an der Körperhaltung – Hände in den Taschen und so etwas. Dann weiß ich, der sucht was.“

Was diese Männer suchen? Schnellen, unverbindlichen Sex. In Berlins Schwulenszene ist der Tiergarten vor allem als „Cruising-Area“ bekannt. Rund um die Uhr kann man hier quasi im Vorbeigehen Gleichgesinnte finden. Oft braucht es nicht mehr als einen kurzen Blickkontakt, ein Nicken, und schon verschwinden die eben noch Fremden gemeinsam im Gebüsch. Smalltalk unerwünscht.

Ursprünglich bedeutet das Verb „to cruise“ im Englischen „eine Seereise machen“ oder einfach nur „herumfahren“. Heute bezeichnet es eine ursprünglich aus der Not heraus geborene Strategie. In Zeiten, als Sex ohne Trauschein verpönt und die Wohnsituation in europäischen Großstädten beengt war, blieben jungen Paaren für intime Momente oft nur „die geheimen Orte“, weiß Jens Dobler, Archivleiter des Schwulen Museums Berlin. „Diese Orte mussten uneinsehbar, weitläufig und vielleicht auch etwas unheimlich sein, eben wo man nachts nicht einfach hinging.“ So wurden Parks wie der Tiergarten zu heimlichen Liebeszonen. Mit der Heirat hatte das Versteckspiel für heterosexuelle Paare meist ein Ende. Für Homosexuelle blieb die Situation bis zur Abschaffung des Paragraphen 175, des sogenannten „Schwulenparagraphen“, 1994 unverändert.

Heute muss schwuler Sex nicht mehr im Verborgenen stattfinden. Doch die Treffpunkte von damals existieren noch immer. In beinahe allen Berliner Parks werde man als „Cruiser“ fündig, erzählt Badasyan, besonders beliebt aber seien aktuell der Tiergarten, die Hasenheide und der Volkspark Friedrichshain. Mit seiner Performance „Save the Date“ ergründet der Künstler im Selbstversuch die Auswirkung von unverbindlichem Sex auf die menschliche Psyche. Dafür trifft sich Badasyan ein ganzes Jahr lang jeden Tag mit einem neuen Sexdate. Anfangs nutzte er zur Kontaktaufnahme entsprechende Internetseiten, doch inzwischen findet er seine Partner ausschließlich über das Cruising. Das lange Hin- und Herschreiben in Chats habe ihn zu viele Nerven gekostet, gibt er zu. Cruising sei das Gegenteil von dem, was momentan in den sozialen Netzwerken abläuft: „Es ist ehrlicher und direkter, man kann dort nichts vortäuschen.“ Auch weiß man bei Dates aus dem Internet nie, wen man sich in die Wohnung holt. Cruising, so Badasyan, sei vergleichsweise sicher. „Und wenn doch mal Spaziergänger dazwischen platzen, drücken die einfach die Augen zu und gehen weiter. Aggressionen habe ich noch nie erlebt.“

Der Reiz des Cruising, so Badasyan, liegt bis heute im Unerwarteten. „Ich mag diese Orte, weil sie voller Geheimnis sind. Authentische Sexualität würde ich dort aber nicht suchen.“ Denn im Grunde sei alles nur ein großes Theaterstück mit wechselnden Darstellern, die sich zu immer neuen Gruppen zusammenfinden. „Es wirkt wie ein Tanz mit einer eigenen Choreografie“, findet Badasyan. Im Vordergrund stehe immer der Spaß, doch man müsse aufpassen, dass dieser Tanz nicht zur Sucht wird. Denn für Cruiser schwinge eben immer diese Hoffnung mit, dass der Eine – der Beste, Schönste, Interessanteste – um die Ecke kommt. Wenn nicht heute, dann vielleicht morgen.

Titelbild: RecycledStarDust via Flickr unter CC BY-NC-SA 2.0, Bearbeitungen vorgenommen
Erschienen in der taz. die tageszeitung im Juli 2015. Eine Sonderbeilage der KulturjournalistInnen der UdK Berlin zum Thema “Stadt, Raum, Grün”.

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