Gesellschaft
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Don’t Panic!

Jeder kennt es, dieses Gefühl: Schnelle Atmung, Herzklopfen, Schwitzen, Zittern. Um es auszudrücken, brauchen wir fünf Buchstaben, eine Silbe, ein Wort: Angst. Es ist ein Wort, das jeder Durchschnittsdeutschsprecher versteht – seit dem Frühmittelalter: Laut Friedrich Kluges „Etymologischem Wörterbuch der deutschen Sprache“ gibt es das Wort Angst seit dem 8. Jahrhundert in seiner heutigen Bedeutung. Es hat sich vom indogermanischen „anghu“ (beengend) über das althochdeutsche „angust“ entwickelt, das auch mit den lateinischen Wörtern „angustus“ beziehungsweise „angustia“ (Enge, Bedrängnis) und „angor“ (Würgen) verwandt ist.

So viele Zeilen für ein Gefühl

Angst, eine Ur-Emotion des Menschen, kommt also von Enge. Norbert Fries, Professor am Institut für deutsche Sprache und Linguistik an der Humboldt Universität zu Berlin, stellt Gefühlsbezeichnungen wie Angst, Furcht, Neid und Liebe in seiner Theorie über emotionale Bedeutungen jeweils als Szene dar: Angst sei ein dynamischer Prozess, der unangenehm ist und uns beengt, ausgelöst durch Ereignisse, die wir nicht oder nur begrenzt beeinflussen können. „Wir wollen etwas dagegen unternehmen, aber wissen nicht was, auch weil wir den Auslöser der Angst oft gar nicht kennen. Angst ist im Unterschied zu Furcht auf nichts Spezielles gerichtet. Den Auslöser der Furcht kennen wir:

Wenn wir uns vor einem Hund fürchten, denken wir, er könnte uns beißen; wenn wir vor einem Hund Angst haben, finden wir den Zustand unangenehm, in den er uns mit seiner Anwesenheit versetzt.“ So viele Zeilen für ein Gefühl! Die deutsche Sprache reduziert es auf fünf Buchstaben und bringt es auf den Punkt. Das wissen auch die Engländer zu schätzen. Über die Philosophie ist das deutsche Wort als Lehnwort in den englischen Sprachgebrauch geschwappt, etwa bei Bridget Jones, die ihre Angst vor dem Älterwerden beschreibt:

„As women glide from their twenties to thirties, Shazzer argues, the balance of power subtly shifts. Even the most outrageous minxes lose their nerve, wrestling with the first twinges of existential angst: fears of dying alone and being found three weeks later half-eaten by an Alsatian.“

Doch wie kommt es dazu, dass sich ein Wort in einer fremden Sprache verankert? Markus Egg, Professor am Institut für Anglistik und Amerikanistik an der Humboldt Universität zu Berlin, sagt, dass es eine bewusste Entscheidung sei, ein Wort aus einer anderen Sprache zu übernehmen. Ein Lehnwort schließe eine Benennungslücke; es sei ein Begriff für etwas, das man mit der eigenen Sprache nicht so gut benennen könne. Das Gefühl an sich sei ja dem Englischen nicht fremd. „Eigentlich brauchen sie kein weiteres Wort: anxiety, fear, anguish – alles bedeutet Angst. Das Lehnwort wurde aber aus dem Deutschen übernommen, weil es in bestimmten Situationen einfach besser passt. Im Englischen wird damit insbesondere Existenzangst und irrationale Angst beschrieben.“

Wenn man ein Wort aus einer Sprache übernimmt, transportiert das auch immer klischeehafte Vorstellungen von einem Land. Denken wir statt an die Angst zur Abwechslung mal an die Liebe: Die Italiener sagen dazu Amore – und für sie ist es das Normalste auf der Welt, sie so zu nennen. Wenn wir Deutschen amore hören oder sagen, assoziieren wir damit sofort diese „Latin-Lover-Romantik“. Genauso verkörpert das Lehnwort Angst für Engländer typische Eigenschaften der deutschen Sprache: Es hat vier Konsonanten hintereinander, klingt hart und peitschend und ist für das englische Ohr unangenehm, ja angsteinflößend. „You don’t need to speak German to know the meaning of angst“, sagt der schwedische Rapper Promoe.

Doch das Klischee schlägt zurück: In den 1980er Jahren kam im Englischen der Begriff „German Angst“ auf, um die Deutschen und ihre Angst vor Veränderung zu bezeichnen: Uns Deutschen eilt der Ruf voraus, reformscheue, selbstgrüblerische Wesen zu sein, die sich die Angst zur Weltanschauung gemacht haben.

Die Studiengangsleiterin unseres Masterstudiengangs „Kulturjournalismus“ und ehemalige „taz“-Chefredakteurin Bascha Mika gab uns am ersten Studientag den Leitsatz „Don’t panic!“ mit auf den Weg. Keine Panik. Oder: Keine Angst! In unserer taz-Beilage vom 3. Februar stellen wir den Lesern verschiedene Ängste von Hypochondrie bis Paranoia vor und versuchen, sie vielleicht auch ein Stück weit zu bewältigen – wir hysterischen Deutschen … Wie heißt es bei Elias Canetti? „Es ist besser, die Angst auszusprechen, als sich weiter mit ihr zu tragen. Am besten ist es, sie aufzuschreiben, ohne sie auszusprechen.“

Foto: Arne Siegmund

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