Gesellschaft
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Ganesha im Großstadtdschungel

OLYMPUS DIGITAL CAMERADie Hasenheide in Neukölln ist einer der größten Drogenumschlagplätze der Stadt. Alle zehn Meter steht ein viel zu junger Typ mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und tritt in der Januarkälte von einem Fuß auf den anderen. Ich gehe an einigen der fast noch Jugendlichen vorbei und höre jedes Mal ein gemurmeltes „Kann ich dir weiterhelfen?“ oder „Möchte die junge Dame Gras kaufen?“ Entgegen kommen mir Frauen mit Kopftuch und Kindern an der Hand, arabisch aussehende Jungs mit Sporttasche über der Schulter, bettelnde Obdachlose und zugedröhnte Touristen. Bunte Leuchtreklamen säumen die Straßenseite. Hier gibt es  türkische Spätis, afrikanische Callshops und asiatische Imbisse neben Spielotheken, und Shisha-Cafés. Aus jedem Ladenlokal schallt Musik, die Türen stehen offen. Leute reden und lachen laut, auf Deutsch, Türkisch oder Hebräisch. Sie unterhalten sich auf der Straße, auf Englisch, Französisch, Russisch und auf vielen anderen Sprachen, die ich nicht identifizieren kann.

Auf der anderen  Straßenseite liegt der düstere Parkeingang zur Hasenheide, matschig und nicht gerade einladend zu dieser Jahreszeit. Es ist Abend und ich stehe frierend am Tor und warte auf Herrn Vaidyanathan, den Geschäftsführer des Sri Ganesha Hindu Tempels. Sri Ganesha bedeutet „Der Glanz Ganeshas“ – doch nach Glanz sieht es hier bisher nicht aus. Neugierig schaue ich über den Metallzaun und spähe in die Dunkelheit. „Drinnen sieht es viel schöner aus!“ ruft mir im Vorbeigehen ein junger Mann zu. Im Dunkeln ist nichts von einem Tempel zu erkennen, lediglich das knallbunte Schild weist auf die Existenz eines solchen hin.

Hanumaiah Vaidyanathan kommt nach 15 minütiger Verspätung angehastet. „Kommen Sie, kommen Sie, hier ist es ja viel zu kalt und dunkel. Tut mir leid, dass ich zu spät bin – und falsch geparkt habe ich auch!“ Ohne sich groß mit Begrüßungen aufzuhalten, geht der ältere Herr schnurstracks voran. Mit seiner direkten Art, dem schelmischen Lächeln und der angenehm tiefen Stimme ist der Diplomingenieur mir auf Anhieb sympathisch. Wir stapfen gemeinsam durch die Dunkelheit, einen Kiesweg hinauf.

Ein eigenes Tempelgebäude gibt es tatsächlich noch nicht, erklärt mir Herr Vaidyanathan. Dieses befindet sich noch in der Entstehungsphase, 2009 wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Bedingt durch die physikalischen Eigenschaften des Bodens dauern die Bauarbeiten jedoch länger als geplant und verschlingen mehr Geld als angenommen. Es gibt zu viel Bauschutt aus Kriegszeiten im Boden, das Fundament muss viel tiefer ausgehoben werden als gedacht, zusätzliche Verstärkungen müssen angebracht werden. Da der Bau des Tempels sich den religiösen Regeln nach ausschließlich aus Spenden finanziert und fast eine Millionen Euro kosten wird, geht die Arbeit nur langsam voran.

Das Tempelgelände wurde vom Sri Ganesha Hindu Tempel e.V.  für 80 Jahre gepachtet, umfasst ca. 5600 m² und liegt direkt am Volkspark Hasenheide. Der Tempel selbst soll eine Grundfläche von 19 x 19 Metern aufweisen und sechs Meter hoch sein. Hinzu kommt ein 18 Meter hoher Hauptturm, reichlich mit Figuren verziert, als Eingangstor zur Straße hin. Ein zweiter, etwa 12 Meter hoher Turm soll aus dem Tempel herausragen und den Schrein des Tempelgottes Ganesha markieren.

Doch statt eines reich verzierten Tempels erblicke ich in der Dunkelheit nur eine große, langgestreckte Halle. 1896 als Freiluftsporthalle gebaut, wurde sie allerdings nie wirklich  genutzt und lag lange Jahre verlassen da. Stattdessen dient sie nun provisorisch als Kulturzentrum und Tempel, bis der richtige Gebäudekomplex fertiggestellt ist.  Von außen sieht dieser provisorische Hallen-Tempel düster, kalt und wenig einladend aus. Als würde das langgestreckte Gebäude – es hat Ähnlichkeit mit einer Reithalle – sich zwischen den vereinzelten Bäumen verstecken wollen.

In der Halle ist es dann warm dank der riesigen Heizstrahler, die von der Decke hängen. Der Fußboden ist mit überlappenden orientalischen Teppichen ausgelegt. Trotz der Neonstrahler ist das Licht warm und einladend. Die hohe, hölzerne Decke sieht immer noch verdächtig nach Reithalle aus und schwebt düster über allem. Ein knalloranger Teppich mit leuchtend grünen Pfauen auf sonnengelbem Hintergrund hängt an einer der Wände. Daneben steht ein goldener Baldachin, gut zwei Meter hoch und mit aufwendigen Ornamenten versehen. Ob er aus Plastik ist, kann ich nicht sagen, besonders stabil sieht er nicht aus. An den Wänden findet sich eine Galerie von hinduistischen Göttern, manche als Bilder, manche als Stauen. Sie sind mit schreiend bunten Blumen und Glitzergirlanden geschmückt. Zwischen ihnen entdecke ich eine rote Kinderschaukel aus Plastik. Trotz oder eher wegen der eklektischen Zusammenstellung der Inneneinrichtung ist es hier richtig gemütlich.

Gerade findet die „Puja“, die Ehererweisung statt. „Om namah shivaya“ tönt das melodische Mantra durch den Raum. Zwischendurch wird die Glocke geläutet. Überall funkelt es und über allem thront strahlend lächelnd der elefantenköpfige Tempelgott Ganesha auf seiner kitschigen Lotusblüte. Mit den verschlungenen roten Ornamenten auf seinem Rüssel, seiner goldenen Krone und dem dicken Bauch wirkt er so gelassen und heiter, dass ich verstehen kann, weshalb Ganesha der beliebteste von allen ist.

„Ganesha ist ein neutraler Gott und wird von allen verehrt. Egal wo Sie hinkommen, zu einer Hochzeit, zur Einweihung eines Tempels, zu einem Geburtstag, erst wird zu Ganesha gebetet. Denn er ist der Vernichter der Bösen und der Gott der Weisheit.“ erklärt mir Herr Vaidyanathan bereitwillig. Bei den über 30 Millionen hinduistischen Göttern, den verschiedenen Strömungen und komplizierten Reinkarnationen ist es nicht immer einfach, alle Menschen unter einen Hut zu bekommen. „Wir wollen die Menschen nicht auseinanderdividieren, sondern integrieren. Und um die Menschen zusammenzubringen, müssen wir einen Gott wählen, der dazu in der Lage ist, und das ist Ganesha.“

Ganesha ist auch bei den Deutschen sehr bekannt und beliebt. Der Tempel und das Kulturzentrum in der Hasenheide sollen nicht nur für die ca. 6000 Hindus aus Indien, Nepal, Bangladesch oder Sri Lanka, die hier in Berlin leben, eine Anlaufstätte sein. Vielmehr versteht sich der Sri Ganesha Hindu Tempel als Ort der interkulturellen Begegnung und ist offen für alle Menschen, egal welchen Glaubens, egal welcher Herkunft. Heute sind viele afghanische Hindus da, vor allem Frauen und Mädchen. “Hier kommen auch viele junge Muslime hin und an großen Festen sind sogar bis zu 30 Prozent der Besucher Deutsche“, sagt Herr Vaidyanathan. „Ist schon etwas komisch, wir schicken Soldaten nach Afghanistan und die kommen in unseren Tempel.“ Er lacht rasselnd, „Man muss den Menschen einfach das Gefühl geben, dass sie hier herzlich willkommen sind.“

Lächelnd sagt mir jeder der Anwesenden „Namaste“ und legt die Hände zum Gruß zusammen. Dann habe ich plötzlich ein Stück Banane und frische Kokosnuss in der Hand. Freundliche Hände reichen mir auf einem kleinen Pappteller Safranreis mit Nüssen und Rosinen, dazu gibt es Khir, süßen Milchreispudding. Zum Abschluss trinken wir aus Plastikbechern Masala Chai, schwarzen Tee mit Gewürzen, Milch und unglaublich viel Zucker.

Neben der täglichen Puja und den Festen an religiösen Feiertagen bietet der Tempel auch Raum für eher weltliche Veranstaltungen, wie Geburtstage oder Hochzeiten. Auch Eheberatung findet im Sri Ganesha Tempel statt. Menschen, die Probleme mit Alkohol haben, sind ebenfalls herzlich willkommen, ebenso wie ältere Menschen und Bedürftige. Es scheint, als würden der Kulturverein und der daran angegliederte Tempel sich um alles und jeden kümmern. „Wenn die Menschen sich kennen, dann gibt es auch weniger Hass und weniger Feindseligkeit. Nur, wenn die Menschen sich nicht kennen, gibt es Probleme“, erklärt mir Herr Vaidyanathan. Deshalb sei jeder im Tempel willkommen. Auf die Frage, ob es denn jemals Probleme mit den Berlinern gegeben hat, erwidert er:  „Wir sind sehr gut angenommen worden von der Berliner Bevölkerung und auch in der Gegend hier. Es gibt keinerlei Probleme und keine Störungen. Stattdessen sind die Menschen neugierig und kommen zu uns.“

Der Sri Ganesha Hindu Tempel hat in der Hasenheide in Neukölln einen wunderbaren Standort gefunden. Menschen aller möglicher Länder und Kulturen kommen hier zusammen. In diesem Schmelztiegel hat der Tempel keine Probleme, akzeptiert zu werden. So befremdlich die Idee eines hinduistischen Tempels in Berlin vielleicht auf den ersten Blick für einen Europäer erscheinen mag, hier in der Hasenheide ist er gut aufgehoben. Laut und vielfältig geht es auf den Straßen Neuköllns zu, bunt und lebendig spiegelt der Mikrokosmos des Tempels den Bezirk wider. Ein Kaleidoskop von Sprachen, Religionen und Kulturen machen den Bezirk zu einem Zentrum interkultureller Begegnung, genau wie der Tempel es ist. Dazu gehören eine gehörige Prise Chaos und bunt zusammengewürfelte Dinge, die nur auf den ersten Blick nicht zusammenpassen zu scheinen. Kirchen gibt es hier, auch die Minarette einer Moschee sind in der Ferne zu erkennen. Und hoffentlich bald auch ein blitzeblanker, wunderschöner Ganesha Tempel; inklusive einem reich verzierten 18 Meter hohen Turm und zwei steinernen Elefanten vor dem Eingangstor, um Neukölln noch etwas mehr Farbe zu verleihen.

Fotos: Magdalena Schmieding

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