Gesellschaft
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Charakter kann man nicht bauen

Bernhard Bueb fordert Charaktere in Schulen. Richtig so! Denn pädagogisch korrekte Wohlfühlarchitektur hin oder her: Erst muss das Schulsystem richtig funktionieren, bevor man sich an der Inneneinrichtung verkünstelt.

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Was wohl Bernhard Bueb zur Silberdrachenwelt sagen würde? In der Erika-Mann-Grundschule in Berlin-Wedding werden futuristische Sitzgruppen auf den Gängen, bunte Spinde und von der Decke hängende Tücher als schulintern identitätsstiftende Silberdrachenwelt verkauft. Ein Berliner Architekturbüro hat sich das vor zehn Jahren in einem Partizipationsprozess mit Schule und Schülern ausgedacht – die Kinder sollten ihre eigenen Ideen mit einbringen, um sich in ihrer Schule zu Hause zu fühlen.

Die Vorstellung ist nett – eine Schule, in der sich alle wohlfühlen. Lobenswert, dass sich Bildungseinrichtungen überlegen, wie sie schöner werden können, so dass die Kinder stolz auf das Alleinstellungsmerkmal „ihrer Schule“ sind. Und die Erika-Mann-Grundschule, die bestimmt nicht die besten Ausgangsbedingungen hatte, überzeugt tatsächlich mit einem ungewöhnlichen Zusammenhalt und der Identifikation der Schüler mit ihrer Schule.  Aber, und da kommt Bernhard Bueb ins Spiel, wo Kinder etwas lernen sollen, da kommt es noch auf ein, zwei Dinge mehr an als ein schön gestaltetes Treppenhaus oder ein Raumkonzept nach den fünf Elementen. Selbst Hundertwasser-Schulen garantieren keine Lernerfolge.

Bueb, der ehemalige Schulleiter des Eliteinternats Schloss Salem, wurde von der Bild-Zeitung nach seiner Streitschrift „Lob der Disziplin“ 2006 zum „strengsten Lehrer Deutschlands“ gekrönt.Man kann von dem konservativen Pädagogen halten, was man möchte, seine Thesen als polemisch abtun oder ihn dafür feiern, die Abkehr vom Alt-68er Kult in der Pädagogik eingeläutet zu haben – eines muss man ihm zugutehalten: In der von ihm ausgelösten Debatte um Bildungskultur ging es endlich einmal tatsächlich um Schüler, Lehrer und Bildung, die primären Größen, die uns im Bildungsdiskurs interessieren sollten.

Was können und sollen Kinder in unseren Schulen lernen? Und können die Lehrer das vermitteln? Buebs Position: Mit ein bisschen Disziplin und einer guten Schulleitung geht alles. Bueb spricht im Tabujargon, von „Führung“, die eine Schule absolut nötig habe. Es brauche Charaktere, die eine Schule prägen, die eine gemeinsame Vorstellung von Bildung und Schulgemeinschaft schaffen.

Letztlich fordert Bueb, dass man sich in der Schule wieder auf die Menschen konzentrieren sollte, die dort lernen und arbeiten. Darauf kann man sich leicht einigen. Am Bildungssystem ändert sich ohnehin nur sehr langsam etwas. Und den Luxus, sich Gedanken um eine Wohlfühl-Schularchitektur zu machen, kann man sich eigentlich erst leisten, wenn ansonsten im Bildungssystem soweit alles stimmt. Davon sind wir weit entfernt, das wissen wir nicht erst seit PISA.

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Ein Raum aus der Silberdrachenwelt in der Erika-Mann-Grundschule noch ohne Gebrauchsspuren.

Zu lösen sind Bildungsprobleme nicht mit Silberdrachenwelten, so gut sie auch gemeint sein mögen. Ja, die asbestverseuchten Schulen aus den 60er und 70er-Jahren gehören renoviert. Und seit die Ganztagsschule sich immer mehr durchgesetzt hat, möchte man keinem Kind zumuten, in miefigen Aufenthaltsräumen mit Sperrmüllmöbeln und schlecht beheizten Klassenzimmern das Schul-Dasein fristen zu müssen.

Doch in erster Linie sollten Investitionen ins Bildungssystem Vorrang haben. Bauliche Verschönerungsmaßnahmen können schwerlich übertünchen, dass Lehrer überarbeitet sind und Sozialarbeiter fehlen, weil kein Geld da ist, um genügend Personal zu finanzieren. Darunter leiden die Schüler deutlich mehr, als wenn das Treppenhaus erst ein paar Jahre später gestrichen wird. Kurz gesagt: es sollte lieber in die Ausbildung der „Charaktere“ investiert werden, von denen Bueb spricht – wäre die Schulleiterin der Erika-Mann-Grundschule, Karin Babbe, nicht eine so engagierte Rektorin, die Silberdrachenwelt allein hätte der Schule kaum den pädagogischen Vorzeigestatus eingebracht.

Selbst die Montagsstiftung Urbane Räume, die sich die Entwicklung des „Lernraumes Stadt“ und damit die architektonische Entwicklung an Schulen zur Aufgabe gemacht hat, weiß das, und hat in ihren Grundsätzen festgelegt, dass eine gute Architektur ohne eine gute Schule keinen Sinn macht. Die Stiftung formuliert eindeutig, was dazu gehört: „eine engagierte, entschiedene Schulleitung“ sowie ein „breitgeteilter Grundkonsens und eine gute Zusammenarbeit im Kollegium“ – ganz im Sinne Bernhard Buebs also. Man kann nur hoffen, dass Lehrer und Politiker das auch so sehen.

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Kategorie: Gesellschaft

Julia Hackober wurde in Bad Mergentheim/Baden-Württemberg geboren. In Eichstätt und Malmö studierte sie europäische Kultur und Politik. Neben dem Studium sammelte sie journalistische Erfahrungen unter anderem bei RadioTON Heilbronn, dem Berliner Stadtzmagazin Zitty sowie der Süddeutschen Zeitung. Augenblicklich schreibt Julia für das Modeportal styleproofed.com.

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