Gesellschaft
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Verschlossene Türen aufschießen

Klassenzimmer oder Knast? Sicherheit hat ihren Preis. Foto: Mark Holloway

Nach dem jüngsten Amoklauf rüsten Schulen baulich auf – doch totale Sicherheit ist nicht realisierbar

Ein Kommentar von Maja Hoock

 

Knast oder Klassenzimmer? Nicht jeder Schüler fühlt sich bei Polizeikontrollen und Security-Checks wohl. Foto: Mark Holloway

Knast oder Klassenzimmer? Nicht jeder Schüler fühlt sich bei Polizeikontrollen und Security-Checks wohl. Foto: Mark Holloway

“Guns for girls” steht auf dem Shirt einer Demonstrantin in Denver. Wenige Wochen nach dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut, bei dem Adam Lanza 26 Menschen und sich selbst erschossen hat, geht diese Frau mit hunderten anderen auf die Straße, weil es schwieriger werden soll, Sturmgewehre zu kaufen. Zeitgleich werden Schulen zu Hochsicherheitstrakten umgebaut. Dabei zielt eine bauliche Aufrüstung, wie auch die mit mehr Waffen, am Problem vorbei.

Die Sandy-Hook- Schule wurde noch kurz vor dem Attentat “sicher” gemacht: Besucher mussten klingeln und über Kameras identifiziert werden, um nach halb zehn eingelassen zu werden. Doch Lanza hat die Eingangstüre aufgeschossen. Auch Metalldetektoren bringen nichts, wenn ein Schütze sich gewaltsam Zugang verschafft. Ein Panik-Knopf, der die Polizei alarmiert und den Schülern signalisiert, sich zu verstecken, ist leicht realisierbar. Viel mehr als Handys und die gute alte Schulsirene bringt das allerdings kaum. Bauliche Maßnahmen verschaffen eine trügerische Sicherheit, denn sie sind zu umgehen, solange es keine Orwell’sche Total-Kontrolle gibt.

Doch auch Prävention ist schwer umsetzbar. Wir stehen vor Amokläufen, wie einst die verängstigten Kolonialherren, die den Begriff von Malaysia nach Europa brachten. Irrationale „Wilde“ rasten in ihrer Ehre gekränkt „Amuk“-schreiend und tötend in eine Menschenmasse. Ebenso wenig rational ist erklärbar, weshalb Schüler ihre Klassenkameraden und Lehrer töten. Weder Mortal-Combat-Schießen noch Surfen auf Gewalt-Porno-Seiten macht junge Männer – Amokläufer sind zu 97 Prozent männlich – zu Mördern. 1871, lange vor dem ersten Computer, schoss Julius Becker in seinem Saarbrücker Gymnasium auf zwei Mitschüler. Seitdem gab es weltweit rund 100 „School Shootings“, die meisten in den USA.

In der Debatte um Sicherheit wird vergessen, dass es bei Gewaltakten nicht um einzelne Ausfälle in der Gesellschaft geht, sondern Menschen seit ehedem dazu fähig waren, angebliche Hexen zu verbrennen, Volksstämme auszurotten oder Juden, Homosexuelle und Zigeuner zu vergasen. Es gab Berserker, Massenmörder und Folterknechte. Weil diese Möglichkeit des Bösen nicht begreifbar und darum beängstigend ist, führt man kurzsichtige Debatten um Killerspiele und Sicherheitstüren. Es war nach dem Amoklauf in Aurora im Gespräch, Batman-Kostüme für Kinogänger zu verbieten, da der Mörder eines in der Art trug. Doch gegen Wahnsinn helfen weder Kleiderordnungen noch Baumaßnahmen.

Man sieht beim Vergleich vergangener Amok-Taten, dass Einsamkeit und Demütigungen eine Rolle gespielt haben und Rache ein Motiv ist. Dass es ein absolutes Waffenverbot geben muss, um die Auslebung dieser Rachegelüste zu verhindern, liegt auf der Hand. Es ist aber auch klar, dass der Lehrplan entscheidend erweitert werden muss: Wichtig ist die philosophische Auseinandersetzung mit den Fragen „Wie wollen wir in Zukunft leben?“ und „Was bedeutet eigentlich Fortschritt?“ Setzen wir uns im Unterricht, aber auch in politischen Debatten, Zeitungen und im Fernsehen dauerhaft damit auseinander, kann sich vielleicht etwas ändern. Eine amoksichere Schule bleibt dagegen bloße Augenwischerei.

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Kategorie: Gesellschaft

Maja Hoock will keine prätentiösen Kultur-Texte lesen. Falls sie welche schreibt, darf sie keinen Nachtisch haben. Gut findet sie die Feuilletonisten, die flanieren können. Tucholsky, Hessel, ihr habt gut hingesehen.

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