Gesellschaft
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Berlin liebt dich, Berlin liebt dich nicht

Schwaben, Latte-Macchiato-Mütter, Hunde und die S-Bahn – die Berliner haben viele Feindbilder. Seit einiger Zeit stehen auch Touristen auf der Abschussliste. Ein Überblick.

Rollkoffer rattern über das Berliner Kopfsteinpflaster; verwirrt stehen ihre Besitzer schließlich in Grüppchen mitten auf dem Gehweg, die Köpfe tief über einen Reiseführer gesenkt. Am Wochenende ziehen sie bis in die Vormittagsstunden lauthals grölend, benebelt von einer Bar zur nächsten und fragen Passanten immer wieder das Gleiche: „Can you tell us a cool club?“. Sie schlafen nur wenig und wenn, dann ganz sicher in Hostels, die bis vor wenigen Jahren noch Wohnhäuser waren, in denen sich die Figuren des Berliner Prekariats um die Flurwoche stritten. Schon am frühen Nachmittag sind sie wieder auf den Beinen und bevölkern die Bahnen, die sie zu den Sehenswürdigkeiten – Brandenburger Tor, Bundestag, Starbucks – bringen; Orte, die „echte“ Berliner stolz erhobenen Hauptes meiden. Sonntags fallen sie über den Mauerpark her und geben mit verzückten Gesichtern 40 Euro für eine dreckige, kaputte Vintage-Sonnenbrille aus.

“Touristification” – eine Invasion?

Sie – die Rede ist von Touristen. Und es werden immer mehr. Rund 9,9 Millionen Besucher zählte das Statistikamt im Jahr 2011. Fünf Jahre zuvor waren es noch 7,1 Millionen. Grund genug für einige Berliner (aus irgendeiner deutschen Provinz, im Jahr 2005 zum Studium an die Spree gezogen), all die Spanier, Amerikaner, Italiener und Holländer als persönliche Bedrohung wahrzunehmen. Ist das noch Tourismus oder ist das schon eine Invasion? Auf WG-Partys raunt man sich Schlagworte wie „Touristification“ zu.

Kein Liebesbeweis (Foto: Hipster Antifa Neukölln)

Kein Liebesbeweis (Foto: www.hipster-antifa.com)

Über die Kneipe „Kptn.“ heißt es auf dem Online-Bewertungsportal Qype in schönster deutscher Rechtschreibung: „Hat sich leider zum totalen Turi-Schuppen entwickelt“ und „der Besuch lohnt sich aber, wenn man das Bedürfnis hat, mal wieder Spanisch zuhören“. Die nichtdeutsche Userin casandra2012 hält auch nicht viel von der Bar, die sich im südlichen Teil der Simon-Dach-Straße befindet. Ihre Kritik geht jedoch in eine andere Richtung: „Also, wenn man nicht weiß ist und eine andere Sprache als Deutsch spricht, ist man nicht in dieser Bar willkommen“. Und damit bringt sie das Problem auf den Punkt.

“No more Rollkoffer”

Unter dem Deckmantel von Gentrifizierungskritik ist Fremdenfeindlichkeit in weiten Teilen der Berliner Gesellschaft wieder salonfähig geworden. Das führt teilweise zu den skurrilsten Denk- und Handlungsmustern: So werfen etwa linke Aktivisten in einer Nacht Farbbeutel gegen Thor-Steinar-Läden und in der nächsten beschmieren sie die Fensterfronten vermeintlicher „Touri-Kneipen“.

Vielfältig, bunt, tolerant – das Bild, das Berlin seit jeher anhaftet, hat tiefe Risse bekommen. Gerade in den Epizentren des vermeintlichen Kosmopolitismus in Mitte, Kreuzkölln und Friedrichshain brodelt es. Immer häufiger zeugen Aufkleber und Graffitti-Tags von der Angst vor den Anderen: „T(err)ourists go home!“. „Touristen fisten“. „No more Rollkoffer“. Die Kreuzberger Falckensteinstraße wurde schon 2011 per modifiziertem Straßenschild zeitweise in die Ballermannstraße umbenannt. Im vergangenen Sommer verwüsteten Unbekannte ein neu eröffnetes vegetarisches Bio-Hotel in Friedrichshain. In Neukölln verkündete eine Kneipe per Aushang, dass nunmehr „No entry for U.S. hipsters“ auf der Hausordnung steht. Erwachsene Menschen fremdeln plötzlich wie Säuglinge. Wo soll das hinführen?

Massentourismus wie im Zoo

Die Initiative „Hipster Antifa Neukölln“ setzt sich seit dem vergangenen Jahr für Touristen, Hipster und Zugezogene ein. Ein Plakat mit der Aufschrift „Spot the Touri!“ und Fotos mehrerer Menschen sollten zeigen, dass sich das schwarze Schaf eben doch nicht so leicht an äußerlichen Merkmalen erkennen ließe. Bei einer Podiumsdiskussionen, die die Hipster-Antifa in einer Neuköllner Kneipe organisiert hatte, traten sich die Zuhörermassen gegenseitig auf die Füße – das Thema beschäftigt sie.

„Natürlich kann man verstehen, wenn Leute sagen, durch den Massentourismus fühlten sie sich wie im Zoo“, sagte Jannek Kursky von der Hipster-Antifa vor einigen Monaten gegenüber der taz. „Wo aber kommt die Berechtigung her, für sich ein Biotop zu fordern?“. Er und seine Mitstreiter treten deshalb für ein Umdenken in der Debatte ein. „Wer Teerfarbe gegen Bar-Fenster schmeißt, senkt die Mieten nicht“. Schuld seien nicht die Touristen, sondern das System, das nach den Regeln finanzkräftiger Investoren funktioniere. Aktionen wie das „Kotti-Camp“, bei dem Anwohner auch Zugezogene und Touristen mit ins Boot holten, würden vernünftigere Wege aus der urbanen Krise zeigen.

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Kategorie: Gesellschaft

Angie Pohlers

Angie Pohlers ist in einer verschlafenen mecklenburgischen Stadt inmitten postsozialistischer Architektur und sterbender Kulturlandschaft aufgewachsen. In der heimatlichen Lokalredaktion entdeckte sie ihre Lust am Geschichtenerzählen und die Liebe zu schönen Sätzen. Mit dem Ziel im Kopf, Journalistin zu werden, ging sie 2008 nach Berlin, um dort erst einmal etwas ganz anderes zu machen: Europäische Ethnologie, ein Studium, das ihr den Blick für urbane Themen und Alltagskultur öffnete. Nach einer Stippvisite beim NDR begann sie 2010 als freie Mitarbeiterin der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zu arbeiten. Seit Oktober 2012 studiert sie Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin und freut sich derzeit auf ihr Praktikum beim rbb kulturradio.

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