Medien
Schreibe einen Kommentar

Finger-Scans und Luftballons

Die Ausstellung „Prototype: Exhibition in the Cloud“ ist downloadbar, ortsbezogen und so immer wieder anders. Doch der Zugang zum Thema “Netzkultur” bleibt dabei stets künstlerisch, klug und unterhaltsam. Dieses ambitionierte Gemeinschaftsprojekt der Digitalen Klasse der UdK Berlin und der New Yorker Parsons New School for Design ist aktuell bei designtransfer, der Galerie der Fakultät Gestaltung an der UdK, zu sehen.

Der Umgang mit Daten steht im Mittelpunkt der meisten ausgestellten Werke. Felix Worsecks Skulptur „Attracting Countries“ und Melanie Bosserts „The World‘s Best Spintop“ sind zwei gänzlich unterschiedliche Projekte, bei denen die Visualisierung von großer Datenmengen im Mittelpunkt steht.

Worsecks Arbeit, die den Untertitel „Eine ortsgebundene Datenskulptur“ trägt, befasst sich mit dem Thema Migration. Die kreisrunde Konstruktion besteht aus zwei übereinander liegenden Plexiglasringen mit einem Magneten in der Mitte. Dieser Magnet steht jeweils für das Land, in dem die Skulptur ausgestellt wird, aktuell also für Deutschland. An den Plexisglasringen sind 100 Nadeln mit Bindfäden befestigt. Sie stehen für die Migranten im jeweiligen Land, je eine Nadel repräsentiert ein Prozent der in Deutschland lebenden Einwanderer. Für die 36 Prozent der in Deutschland lebenden Migranten türkischer Herkunft stehen demnach 36 Nadeln, für die zwei aus den USA stammenden Prozent genau zwei

Daten werden zu Kunst: Viele der ausgestellten Arbeiten sind interaktiv. (Foto: designtransfer)

Daten werden zu Kunst: Viele der ausgestellten Arbeiten sind interaktiv. (Foto: designtransfer)

Nadeln. Welches Land die jeweiligen Nadeln repräsentieren, lässt sich anhand von Gravuren im Plexiglas nachvollziehen. Ein Computerprogramm ermöglicht es, vor Ort virtuelle Prototypen für andere Skulpturen zu erzeugen, bei denen dann etwa Großbritannien oder Belgien als „attracting country“ im Mittelpunkt der Skulptur fungieren können.

Datenvisualisierung trifft Bildhauerei

Auch Melanie Bosserts „The World‘s Best Spintop“ setzt sich mit der Visualisierung von Daten über verschiedene Länder auseinander. Anhand unterschiedlicher Informationen über Politik, Gesundheit, Bildung, Wirtschaft und Lebensqualität errechnet Bossert per Algorithmus die Formen von Kreiseln, die jeweils ein Land symbolisieren. Per 3D-Drucker lassen sich die virtuell errechneten Kreisel schnell und günstig herstellen. Je besser die Datenwerte, desto länger dreht sich der gedruckte Kreisel dann tatsächlich. Das Thema Datenvisualisierung, das sich im Journalismus schon seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit erfreut, funktioniert auch im Bereich der Bildhauerei blendend, wie die Arbeiten von Bossert und Worseck zeigen.

Eine zweite Arbeit Worsecks, die in Zusammenarbeit mit Dylan Entelis entstanden ist, thematisiert dagegen nicht die Visualisierung von Daten, sondern ihre Anhäufung. „Guidepost“ ist ein direkt am Eingang zur Ausstellung platzierter schwarzer Kasten, von dem sich der Besucher ein Exponat empfehlen lassen kann. Gesteuert wird er über fünf nebeneinander liegende Knöpfe. Wird einer dieser Knöpfe gedrückt, setzt sich ein Drucker in Bewegung. Auf dem zum Vorschein kommenden Zettel werden fünf Kategorien angeboten: „data visualization“, „world affairs“, „DNA“, „myth“ und „visual culture“. Über die Knöpfe kann der Besucher die Kategorie auswählen, die ihm am meisten zusagt. Weitere fünf Kategorien erscheinen, wieder muss eine ausgewählt werden. Auf der Basis dieser Entscheidungen wird eine Empfehlung gedruckt, welches Exponat den jeweiligen Besucher besonders interessieren könnte. Namen und Fotos von Künstler und Ausstellungsstück, sowie eine Beschreibung des Exponats und eine schematische Darstellung, wo genau im Ausstellungsraum dieses zu finden ist, kann der Besucher per Ausdruck gleich mitnehmen. Ein Service, wie man ihn sonst nur von Google AdSense, den Amazon-Empfehlungen oder dem rechten Rand der Facebook-Startseite kennt.

Die Datenwolke aus Luftballons trägt die Farben des Landes, in dem sie ausgestellt wird. (Foto: designtransfer)

Die Datenwolke aus Luftballons trägt die Farben des Landes, in dem sie ausgestellt wird. (Foto: designtransfer)

Eine “Cloud” aus hunderten Ballons

Um das Sammeln von Daten geht es auch in Daniel Dalfovos Skulptur „Data‘s Celebratory Takeoff“. Hunderte heliumgefüllter Ballons in den Nationalfarben des Landes, in dem das Projekt aktuell gezeigt wird, tragen jeweils einen kleinen Zettel mit sich, der den Besucher nach Name, Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus, Interessen und persönlicher Mitteilung befragt. So entsteht in der Ausstellung eine schwarz-rot-goldene Cloud gefüllt mit persönlichen Daten. Die Überbleibsel ihres blau-weiß-roten Äquivalents aus der vorangegangenen New Yorker Ausstellung stehen dem interessierten Besucher zum ganz persönlichen Data-Mining zur Verfügung.

Bei Katrin Wolfs „Artist Pointer“ geht es um die Preisgabe persönlicher Daten. Eine kleine Plexiglashand mit ausgestrecktem Zeigefinger deutet immer in Richtung der Künstlerin, ganz egal, wo in der Welt diese sich befindet. Dieses Spiel mit der Künstlersignatur wird durch GPS-Tracking ermöglicht. Andreas Pickers „Signature Piece“ betreibt ein ähnliches Spiel. Diese per Kurbel angetriebene Maschine zeichnet die Unterschrift des Künstlers mit einem Stift auf Papier nach. Beide Arbeiten stellen die Frage nach der Authentizität des Künstlers im digitalen Zeitalter und beantworten diese auf denkbar unterschiedliche aber äußerst zeitgemäße Weise.

Fingerabdrücke gegen Einheitsbrei

So richtig persönlich wird es dann aber bei den Werken von Gaspar Battha und Johannes Gierschner. Bei Batthas „Stamp.Lamp“ handelt es sich um eine Deckenleuchte, deren Ausführungen so einzigartig wie ein Fingerabdruck sind; das verrät auch der Untertitel „Design with Unique Fingerprint“. Ein Scanner für Fingerabdrücke errechnet vor Ort und sekundenschnell das Design für eine Lampe, die sich mit einem Bausatz von Ikea selbst zusammensetzen lässt und gleichzeitig ausgerechnet das Einheitsdesign des schwedischen Möbelriesen unterwandert. Der ausgestellte Prototyp basiert übrigens auf dem Fingerabdruck der Freundin des Künstlers.

So anrührend diese Anekdote ist, Johannes Gierschners „Me:Morial“ ist noch ein bisschen rührender. Der Arbeit liegt der Gedanke zugrunde, dass es zwar eine ganze Menge offizieller Gedenkstätten auf dieser Welt gibt, viele Menschen, die einen Ort des Gedenkens verdient hätten, aber niemals eine solche Gedenkstätte gewidmet bekommen werden. „Me:Morial“ soll hier Abhilfe schaffen. Für dreißig Euro kann man sich auf der Website des Künstlers eine robuste, handgemachte Plakette bestellen, in deren Design ein individueller QR-Code integriert ist. Die Plakette kann an einem selbst gewählten Ort platziert werden, der so zur Instant-Gedenkstätte wird. Der QR-Code verweist auf eine Internet-Seite, auf dem die Geschichte dieses Ortes zu lesen ist. Gierschner selbst hat so den Hof seines Großvaters zum „Me:Morial“, das in diesem Falle „Otto:Morial“ heißt, gemacht. Nur Ausnahmsweise ist die Plakette nun in der Ausstellung zu sehen, danach wandert sie wieder auf den Hof des Großvaters, dem Gierschner mit dem Text auf der dazugehörigen Website ein weiteres wunderbares Denkmal setzt.

Die Ausstellung zeigt, dass die Beschäftigung mit Netzpolitik mehr sein kann als das Unterzeichnen von Online-Petitionen gegen PIPA, ACTA, SOPA und Co. In der Interaktion mit den vielen, gänzlich unterschiedlichen Exponaten kommt das Nachdenken über digitale Umwälzungen und die Veränderungen, die diese mit sich bringen, ganz von allein und macht dabei auch noch sehr viel Spaß.

„Prototype: Exhibition in the Cloud“ ist noch bis zum 1. Februar bei designtransfer (Einsteinufer 43-53 / Berlin) zu sehen. Der Eintritt ist frei.

FacebooktwitterFacebooktwitter
Kategorie: Medien

Lea Katharina Becker hält das Semikolon für das attraktivste aller Satzzeichen; außerdem mag sie digitale Kultur, vegetarisches Essen und Rap-Musik. Sie absolvierte Praktika bei ZEIT ONLINE, taz und DE:BUG und studiert seit Oktober 2012 Kulturjournalismus an der UdK Berlin. Neben ihrem Bachelor-Studium der Europäischen Medienwissenschaft in Potsdam arbeitete sie als Redaktionsassistentin bei der rbb-Fernsehsendung "Brandenburg aktuell" und als freie Redakteurin für das Web-Video-Format Berlin Sessions. Derzeit ist sie als freie Journalistin im Print- und Online-Bereich tätig. Seit April 2013 ist sie zudem als studentische Hilfskraft bei designtransfer, der Galerie und Transferstelle der Fakultät Gestaltung an der UdK Berlin, angestellt. Dort kümmert sie sich vorwiegend um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert