Gesellschaft
Schreibe einen Kommentar

Hotel für Stunden

Eine Nacht in einer fensterlosen Kammer mit Holzpritsche und ohne Licht. Jessica Oemisch war nicht etwa im Gefängnis, sondern in einem Hotel in Singapur – wo sie trotz allem ihr persönliches Happy End erlebte.

Wackelnde Bettgestelle und Stöhn-Geräusch: Jessica Oemisch zu Gast in Singapurs Stadtteil Geylang (Foto: Elisa Beldowski)

16 Stunden Flug, zwei geschwollene Knöchel und einen steifen Hals später stehe ich nun vor dem lila eingefärbten Betonpalast „Hotel 81“ in Geylang. Der Stadtteil von Singapur, in dem die unsichtbaren Putzfeen ihre Besen in der Tasche lassen und nicht alles sauber und steril schrubben.

Die Atmosphäre ist hektisch, es wird geschrien und Autos hupen sich ans Ziel. Ein Duft von gebratenem Fleisch und Curry liegt in der Luft. Die leicht bekleideten Frauen am Straßenrand lassen erahnen, was am Abend hier passieren wird und warum Geylang von den Singapuris gemieden wird.

Die Tür des Hotels, in dem ich die kommenden Nächte verbringen werde, bis ich eine Wohnung gefunden habe, öffnet sich. Im kitschigen Foyer, ausgestattet mit pinkfarbenen Kunstorchideen, begrüßt mich der Rezeptionist. Er heißt mich willkommen, wünscht mir einen angenehmen Aufenthalt und begleitet mich zu meinem Zimmer.

Dann der Schock. Fünf Quadratmeter, kein Fenster, kein Licht und eine Holzpritsche. „Enjoy!“ Ruft er mir hinterher und in diesem Moment kann ich mir nur schwerlich vorstellen, wie das funktionieren soll. Egal, billig sollte es sein und ich bin ja keine Prinzessin.

Es ist 22 Uhr Ortszeit, ich liege wie eine Sardine in der Dose auf meiner Holzliege und starre an die Decke. Blöder Jetlag. Lesen ist nicht drin, dazu fehlt das Licht.

In Kampfstellung Orgasmen zählen

Meine Gedanken an Freunde und Familie, die ich in den nächsten Monaten nicht zu Gesicht bekomme, werden von einem lauten „Aaaah!“ und grunzigen „Uuuuh!“ unterbrochen. Wackelnde Bettgestelle und Stöhn-Geräusche überall.

Es pocht an meiner Tür. Weil ich die Tür nicht öffne, wird aus dem Pochen ein Rütteln. Völlig verängstigt stelle ich fest, ich bin dem hier völlig ausgeliefert. Mir schießen die Bilder der leicht bekleideten Frauen am Straßenrand durch den Kopf und der Blick des Taxifahrers, als ich ihm den Namen meines Hotels genannt habe. Es ist auch schwer vorstellbar, dass es so viele laute, Frischverliebte gibt. Ein Stundenhotel – klar und ich bin mittendrin. In dieser Nacht mache ich kein Auge zu, zähle Orgasmen und sitze in Kampfstellung, falls ein Williger in mein Zimmer einbricht.

Am nächsten Morgen ziehe ich aus, das kann nicht die Antwort auf die Freiheit sein. Verängstigt und verstört haben meine geschwollenen Knöchel und mein steifer Hals Gesellschaft von tiefen Augenringen bekommen. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg ins „richtige“ Singapur.

Die folgenden Monate werden die schönsten meines Lebens. Das Gute an meiner ersten Nacht? Alles konnte nur noch besser werden. Die Wochenenden habe ich fast nur in den Bars von Geylang verbracht – ein Geheimtipp.

Jessica Oemisch war Online-Redakteurin für die taz-Beilage “Happy End” – eine Sonderbeilage des Masterstudiengangs Kulturjournalismus an der UdK. Kontakt: jessica.oemisch@udk-berlin.de

FacebooktwitterFacebooktwitter
Kategorie: Gesellschaft

Aufgewachsen in der Händelstadt Halle an der Saale zog es Jessica Oemisch nach dem Abitur hoch in den Norden. In Hamburg studierte sie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften das Fach Medien und Information. Erfahrungen wurden durch Praktika bei Axel Springer, der Mitarbeit beim NDR und dem Nebenjob als Redaktionsassistentin beim Jahreszeiten Verlag gesammelt. Da sie es an keinem Ort wirklich lange aushält, packte sie ihren Rucksack, buchte sich einen Flug nach Asien und verbrachte während ihres Studiums ein halbes Jahr dort. Drei Monate absolvierte die 24-Jährige ein Praktikum in Singapur bei der Konrad-Adenauer-Stiftung im Medienprogramm, um von dort aus weiter zu reisen. In dieser Zeit entwickelte sie Ihre Affinität für asiatische Länder. Der Traumjob? Im Winter von Bali und im Sommer von Hamburg aus als freie Redakteurin für ein Magazin über Filme und Fotografie zu schreiben. Denn zwischen diesen Orten will sich Jessica nicht entscheiden müssen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert