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Die Zukunft liegt am Ostkreuz

Am Ostkreuz hat sich ein Mehrspartenhaus der Subkultur etabliert. Ein Rundgang.

Am Ostkreuz hat sich ein Mehrspartenhaus der Subkultur etabliert: Neben skurrilen Filmen bietet das Kino Zukunft auch Konzerte, Ausstellungen und Theater an. Ein Rundgang

Unweit der S-Bahn liegt versteckt zwischen Autohäusern und einem Bürgergarten das unscheinbare Kino Zukunft. Auf diese Seite des Ostkreuz verirren sich nur wenige Touristen oder Feierwütige. Die unmittelbare Umgebung wirkt unbelebt. Doch hinter dem mit Kinoplakaten beklebten Eingangstor verbirgt sich ein kleiner Biergarten, durch den ein Steg zum Kino führt. Im kalten November flüchtet man gern vor dem Regen in die warmen, dunklen Räume des Zukunft. Dort erwartet den Besucher eine unaufdringliche Abgeramschtheit. Frische Blumen auf den Couchtischen konkurrieren mit abgewetzten Sofas und dunklen Wänden, es riecht nach frischem Zigarettenrauch und Whiskey.

Kino ohne Popcorn

Hinter der Bar versteckt sich der Kinosaal, der gerade einmal dreizehn Sitze beherbergt. Kuschelig warm wird es während der Vorstellungen dank der nicht vorhandenen Klimaanlage. Die gezeigten Filme tun ihr übriges, um einen ins Schwitzen zu bringen. Im Sommer läuft auch das Freiluftkino Pompeji, welches durch die allseitige Ummauerung an die frühen Freiluftkinos in den USA erinnert. Damals wich man mangels Klimaanlagen zwangsweise auf Vorführungen im Freien aus. Das Programm reicht von deutschen Produktionen über Berliner Kurzfilme bis zu internationalen Produktionen wie „Shame“ mit Michael Fassbender; letztere stets in Originalfassung mit Untertiteln. Obskure Dokumentarfilme wie „Fuck for Forest“ teilen sich die Leinwand mit Tragikomödien wie „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“.

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Eröffnet im Januar 2012, ist das Zukunft das jüngste Kino Berlins

Doch in dem labyrinthartigen Gebäude, das früher den DDR-Filmverleih Progress beherbergte, versteckt sich noch viel mehr: Das Zukunft ist gleichsam Lichtspielhaus, Kneipe, Konzertstätte, Club und Galerie, und neuerdings sogar Theater. Ein beinah übermannendes Angebot, könnte man meinen. Tatsächlich ist dies Gebäude so verwinkelt, dass die meisten Gäste zunächst kaum weiterkommen als bis zur Bar am Eingang. Nur mit einer gesunden Portion Neugierde findet man in die hinteren Räume, die die Galerie beherbergen. Dort stellen junge Künstler aus und halten Lesungen. Eine unauffällige dunkle Tür führt hinab in den Konzertkeller, treffenderweise Tiefgrund genannt.

Mehrspartenhaus für ein wachsendes Nischenpublikum

Man könnte das Zukunft als gegenwartsorientertes und zukunftsgewandtes Mehrspartenhaus der Subkultur betiteln, was auch das kämpferische Motto des gerade entstandenen Theaterprojekts verdeutlicht: „Kein Geld und keine toten Autoren!“ Eröffnet im Januar 2012, ist das Zukunft das jüngste Kino Berlins. Trotzdem wirkt es geradezu so, als sei es schon immer da gewesen. In Zeiten, in denen es Theater und kleine Kinos schwer haben, sich zu halten, ist das Zukunft erstaunlich erfolgreich. Sicherlich verdankt das Kino diese rasche Etablierung den bereits erfahrenen Betreibern Werner Gladow und Stefan Käding, die auch die Tilsiter Lichtspiele am anderen Ende Friedrichshains organisieren – und der Fixierung auf ein Nischenpublikum, das sich gerne auch mal ungemütlichen Filmen, alternativem Theater und härterer Musik aussetzt.

Insgesamt laufen im Tilsiter und vor allem im Zukunft hauptsächlich Filme, die es niemals auf die Leinwand eines Multiplex-Kinos schaffen würden – und das macht das Zukunft so attraktiv. Hier laufen die Art Filme, über die man nach der Vorstellung noch stundenlang diskutieren kann, zum Beispiel bei einem Bier in der Kino-eigenen Kneipe. Begleitet wird man dabei oft von experimentellem Live-Jazz, den die Musiker zwischen Klavier und Sofas gedrängt spielen.

Beim Bezahlen der Getränke dann ein Bruch mit dem Retro-Ambiente: Der bärtige Barmann zückt ein iPad, das als digitale Kasse genutzt wird. Auf die verwunderte Reaktion darauf reagiert er mit einem gewinnenden Lächeln: „Tja, wir sind eben die Zukunft!“

Kino Zukunft, Laskerstraße 5, 10245 Berlin

Photos: Kajsa Philippa Niehusen

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Kategorie: Film

Aufgewachsen in der Nähe von Hamburg, Studium der Nordamerikastudien am John F.Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin mit Auslandssemestern an der University of Nottingham und University of California, Santa Barbara. Besondere Begeisterung für den Film und das Filmen und die amerikanische Kultur(-geschichte).

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