Bühne
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Gelangweilte Übernahme

© Christina Hauschildt

Die Berliner Polizei tigert um das Haus, von innen kracht und blitzt es durch die Fensterscheiben: Die Volksbühne Berlin ist eröffnet, nachdem ihr die Volksbühne am Rosa-Luxemburg Platz weichen musste. Vielleicht nimmt der „Berliner Theaterstreit“ mit der nun unwiderruflichen Eröffnung erst mal ein Ende, vielleicht aber auch nicht, Erwartungen sowie Enttäuschungen sind hoch gesteckt.

Intendant Chris Dercon und Programmdirektorin Marietta Piekenbrock haben ein Wochenende unter dem Namen „Samuel Beckett / Tino Sehgal“ angesetzt. Es sollen sich der verstorbene Gottvater des absurden Theaters und der Lieblingsschwiegersohn der Performance zur höchst umstrittenen Neueröffnung die Klinke in die Hand geben.

Nach den esoterisch-vagen Programmtextankündigungen („Die Sinne schärfen. Sich ins Detail versenken. Das Gesamte vom kleinsten Teil denken. Lauschen. Flüstern. Klein werden. Raus aus dem Totalzusammenhang. Kommt zusammen!“, so twitterte die Volksbühne), wird das Haus oder gleich das Konzept Theater nun in alle Einzelteile zerlegt. Was ist Theater? Zuerst mal Raum, Licht, Ton – das sehen wir im Foyer und im Bühnenraum bei Licht- und Musikshow von Sehgal und Ari Benjamin Meyers. Aber auch Sprache und Bewegung, wie sie Anne Tismer später sehr souverän vorführt. Und Begegnung, wie sie Sehgal herstellen will.

Das ganze Haus ist offen, begehbar, voller Menschen. Die Foyers, Parkett, Bühne, Bar sind gleichmäßig Schauplatz verschiedener Interventionen. Als die – immer selbe! – Theaterklingel ertönt, strömen die Zuschauer in den Saal: Lichtstreben werden durch den Raum gejagt, es blitzt und schallt, ähnlich wie zuvor im Foyer, bis sich schließlich der große Lüster über sein Publikum senkt. Nach den zehn Minuten Technikeinlage werden die ZuschauerInnen durch MitarbeiterInnen vertrieben, die die Bestuhlung aufbauen. Und nun? Auf den Gesichtern liest man „War’s das schon?“. Verwirrung entsteht, doch was folgt aus ihr?

Die eineinhalb Stunden danach fühlen sich wie eine sehr verfrühte, künstlich langgezogene Theaterpause an. Zwei Videos von Beckett aus den 70er und 80er Jahren spielen in der Sackgasse der Seitenfoyers, Sehgals Begegnungsszenen sind über vier Stunden auf das ganze Haus verteilt. Sehgals Werken „Ann Lee“ und „Ann Lee & Marcel“, zum Teil aus seinen früheren Stücken recycelt, wird durch die ständige Geräuschkulisse in den Foyers, die in Theaterpausen aber nun mal gang und gäbe ist, die Kraft genommen. Sie verebben irgendwo zwischen Nebensache und müdem Mitmachtheater. Die leicht hypnotisierenden Darstellerinnen beeindrucken, deren Geschichten von der Ankunft als Avatarfiguren aus der zweiten und dritten, nun in der vierten Dimension mit echten Menschen, ergänzt durch Videos von Philippe Parreno und Pierre Huyghe, sind so schnell vorüber, dass ihre Themen gerade beginnen zu schwingen, als Text und Film wieder von vorne beginnen.

Was auf einem Konzeptpapier sicher stimmig erscheinen mochte – tabula rasa machen, mit einem Knall eröffnen, die Vergangenheit ins Jetzt holen, Bezüge herstellen, Räume öffnen, Verwirrung stiften, neugierig machen – will in der Volksbühne nicht vom Plan, Papier, von der Idee ins Echte, ins Erlebnis, in Gefühltes überspringen. Die von Walter Asmus inszenierte Beckettsche Wortlastigkeit im schwarzen Raum, die nur Sprache zulässt und punktuelles Licht, fordert zuerst heraus, und strengt dann vor allem an. Anne Tismer bringt die Worte zum Glühen, und doch ist die Erleichterung nach Becketts Einaktern „Nicht ich“, „Tritte“ und „He, Joe“ deutlich zu spüren. Die einzigen Lacher der Veranstaltung bleiben ein gut getimter Nieser und ein zögerliches Handyklingeln – ein Zeichen für einen für Volksbühnenverhältnisse sehr humorlosen Abend.

Ist das Jetzt erst recht als Spielzeitmotto ausgeschrieben, oder warum wird das Haus mit einem Ereignis eröffnet, das in den meisten Momenten an eine Galerievernissage erinnert, das anders als durch „Event“ oder „Happening“ schwer zu übersetzen ist? Wenn der Vorwurf, Dercon sei doch ein Museumsmacher und kein Theaterkenner, und man würde aus einem Sprechtheater nun einen „Eventschuppen“ (Berliner Unwort des Jahres 2017?) machen wollen, derart laut erklingt, warum spielt er allen Kritikern derart in die Hände?

Überraschend ist vor allem die fehlerhafte oder fehlende Dramaturgie des gesamten Abends – hat die Volksbühne geglaubt, dass es eine Dramaturgie nicht brauche, solange die Kunstwerke überragend sind? Es braucht sie aber, die Raumkonzeption scheint für sich stillverhaltende Museumsbesucher mehr gedacht zu sein als für laut schnatternde Theatergänger auf der Suche nach der nächsten Weinschorle.

Die etwas schale Ratlosigkeit gegen Ende des Abends, den viele verfrüht verlassen, verwandelt sich später in herbe Enttäuschung. Nicht ob seiner Zerstückelung, fehlenden Kommunikation, weniger noch ob der Inhalte. Ich hätte bloß so gerne etwas gefühlt.

Foto: Christina Hauschildt

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Kategorie: Bühne

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