Gesellschaft
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Triptychen des Terrors

Verschleierte Frauen, die an einem verlassenen Gebäude vorbeilaufen, eine Pfütze am Rande einer befahrenen Landstraße und ein älterer Mann, der auf den Bus wartet ­– Szenen, die auf den ersten Blick keine große Aufmerksamkeit erregen. Auf den zweiten Blick: unheimliche Schatten und Spiegelungen, Pfützen, die auch Blutlachen sein könnten. In der Ausstellung im Martin-Gropius Bau sind Regina Schmekens Fotografien umgeben von dunkelgrauen Wänden und gelbem Licht, das direkt auf die Bilder strahlt. Die Atmosphäre wirkt bedrohlich. Die alltäglichen und doch hintergründigen Szenen ziehen den Betrachter in den Bann. Obwohl auf keiner einzigen Fotografie eine Spur von Gewalt zu sehen ist, hält man ihre Präsenz jederzeit für möglich.

Die Besucher sind vorgewarnt. Im ersten der drei Räume werden die wichtigsten Informationen zu den Menschen verachtenden Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ zusammengefasst. Die Ausstellung „Blutiger Boden. Die Tatorte des NSU“ bedarf kaum weiterer Erläuterungstexte. Zwischen 2013 und 2016 besuchte die Fotografin Regina Schmeken die Tatorte des NSU und hielt sie auf dreiteiligen schwarz-weiß Fotostrecken fest – Triptychen des Terrors. Insgesamt neun Migranten und eine Polizistin wurden von der neonazistischen terroristischen Vereinigung, die 1999 aus rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven gebildet wurde, ermordet.

Die Fotografien sprechen für sich. Sie werden nur durch knappe Bildunterschriften ergänzt: „Halit Yozgat (21), 06. April 2006, Kassel“. Sie bezeichnen Name und Alter des Opfers, Zeit und Ort des Verbrechens. Auf jeweils drei Fotografien wird das gleiche Motiv aus unterschiedlicher Perspektive abgebildet. Ein Triptychon zeigt ein verlassenes Haus mit gläsernem Schaufenster. Wahrscheinlich das Internetcafé, in dem Halit Yozgat, das neunte und jüngste Todesopfer des NSU, ermordet wurde. Eines der drei Bilder zeigt eine kleine steinerne Treppe, die ins Haus führt. Die Tür ist aus Glas, in dem sich hohe Bäume spiegeln. Ein anderes zeigt dasselbe Haus, diesmal aus der Vogelperspektive. Plötzlich geht es nicht um einen Alltagsblick, sondern um eine Tatortaufnahme. Unwillkürlich sucht man das Opfer. Stattdessen zeigt das dritte Bild die gleiche Szene aus einer Opferperspektive: so würde ein zu Boden fallender Mensch, vielleicht in seinem letzten Augenblick, die Treppe sehen, gestochen scharf in allen Details.

Regina Schmeken ermöglicht dem Betrachter die Perspektive von Täter, Zeuge und Opfer zugleich. Sie setzt ihren gekonnten Umgang mit Licht, Schatten und Reflexionen ein, um zu zeigen, wie der Terror die Wahrnehmung des Alltags unwiederbringlich verändert.

Die Ausstellung lädt dazu ein, genauer hinzuschauen, auch wenn es sich um scheinbar harmlose Alltagsszenen handelt. Im Falle der NSU-Morde wurde zu lange weggeschaut. Auch daran erinnern diese beunruhigenden Bilder.

Foto: Tatort des Mordopfers Halit Yozgat (21), 06.04.2006 in Kassel – © Regina Schmeken, 2015

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