Gesellschaft
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Meine Wanderung in eine andere Welt

Farsi Übersetzung von Azar Pajuhandeh hier.

Amir Arsalan Shiri ist 25 Jahre alt und Iraner. Vor einem Jahr ist er zum Studieren nach Berlin gekommen. Um sich seinen Traum zu erfüllen, musste er einige Hürden überwinden. Ein Protokoll

Dieser und andere Beiträge erschienen als Kurztexte in der taz im Rahmen des Mentorenprojekts „Printjournalismus“.

Als ich zum ersten Mal sagte, dass ich in Deutschland studieren möchte, waren meine Eltern nicht begeistert. Sie kannten nur die deutschen Autos, Hitler und die Fußballmannschaft. In Iran wissen die Leute nicht viel über Deutschland und Iraner haben meistens auch nicht so viel mit Ausländern zu tun. Bei uns leben höchstens Afghanen oder Russen im Norden des Landes, aber auch nur sehr wenige. Mein Vater hat mir gesagt: „Ich schenke dir mein Geschäft und wir suchen dir eine schöne Frau, wenn du hierbleibst.“ Aber ich wollte gehen.

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in Berlin leben und studieren könnte. Es fing alles vor etwa sechs oder sieben Jahren an, als ich anfing zu merken, dass die Realität in Iran durch die Politik und die Medien gefiltert wird. Alles, was wir zu sehen bekommen, ist konstruiert. Es gibt keine Kritik, keine Meinungsfreiheit und das Internet wird auch stark kontrolliert. Ich wollte etwas Neues sehen, mir selbst ein Bild von der Welt machen. Deshalb wollte ich erstmal raus. In Iran wäre mein Leben vorbestimmt gewesen, das wollte ich nicht. Ich würde dort auf jeden Fall besser leben als hier, wo ich zwei Nebenjobs machen muss, um mich finanzieren zu können. Aber das ist es mir wert.

Bevor es richtig losging, musste ich einiges erledigen. In Iran ist der Militärdienst verpflichtend. Das hat mich zwei Jahre meines Lebens gekostet. Außerdem wollte ich noch mein Bachelorstudium fertigmachen. Ich habe in Schiras und Isfahan Informatik studiert. Um in Berlin studieren zu können, brauchte ich ein Visum. Das bekommt man allerdings nur, wenn man 10.000 Euro in bar vorzeigen kann. Also musste ich erstmal Geld sparen. Meine Eltern haben mir sofort gesagt, dass sie mir kein Geld geben würden, weil sie ja skeptisch waren. Also habe ich gearbeitet und gespart. Meine Mutter hat mir eine lange Unterhose mit vier Taschen genäht, um die 10.000 Euro darin zu verstauen. Ich musste das Geld am Flughafen vorzeigen, als ich eingereist bin. Da war ich ein wenig verunsichert, weil ich dem Beamten erklären musste, dass ich das Geld in meiner Unterhose hatte.

Amir und seine Freunde aus Berlin Jelena und Mitja

“Ich habe meine Eltern gut auf Europäer vorbereitet”

Aber bevor es überhaupt so weit war, musste ich Deutsch lernen. Meine erste Deutschstunde werde ich nie vergessen. Unser Lehrer kam rein und er hat sofort angefangen, Deutsch zu sprechen. Die Sprache klang für uns richtig fremd. Wir haben uns alle totgelacht, wir verstanden kein Wort. Ich hatte diese Sprache noch nie gehört. Nach einem Jahr Deutschunterricht konnte ich das Niveau B1 für das Visum nachweisen. Es hat mir sehr geholfen mit deutschen Touristen zu reden. Und so habe ich auch Mitja und Jelena, meine besten Freunde hier in Berlin, kennengelernt. Iraner sind sehr gastfreundlich, wenn sie mal auf Ausländer treffen. Ich habe oft deutsche Touristen nach Hause eingeladen, um meine Eltern auf meine Abreise vorzubereiten. Sie hatten davor noch nie etwas mit Europäern zu tun gehabt. Auf einmal fand es meine Familie nicht mehr so schlimm, dass ich nach Deutschland wollte. Sie haben gemerkt, dass das auch nur Menschen sind; sie essen, sie schlafen, alles ganz normal. Meine Eltern hatten zwar kein schlechtes Bild von Deutschland, aber einfach ein falsches, weil sie keine Ahnung hatten. Jetzt, nachdem sie Deutsche kennengelernt haben und ich ihnen von meinem Leben hier erzähle, haben sie ein gutes Bild.

Wie weiß man, wann man angekommen ist?

Und dann war ich auf einmal in Berlin. Die ersten Monate hier waren wie ein Traum. Ich konnte nicht glauben, dass ich in Deutschland war. Alles war so extrem unterschiedlich. Ich wusste, dass ich in Berlin war, aber ich konnte nicht richtig leben, nur mitschwimmen. Es hat lange gedauert, bis ich wirklich gefühlt habe: „Okay, jetzt bin ich hier“. Alles war anders als in Iran, vor allem die Menschen. In Iran hat man mehr Kontakt, auch zu Fremden. Wenn du von A nach B willst, fragst du einfach Menschen auf der Straße oder unterhältst dich kurz mit dem Taxifahrer. Hier schauen die Leute alle auf ihr Handy und versuchen den Weg mit Google Maps zu finden. Die Menschen sind sehr misstrauisch, das hat mich am Anfang verunsichert. In der U-Bahn kommt es nicht oft vor, dass fremde Menschen einfach miteinander reden. Ich habe es versucht, aber das ging immer nach hinten los. Jetzt habe ich mich damit abgefunden und ich fühle mich wohl hier, auch dank meiner Freunde.

Ob ich nach meinem Studium zurück will, weiß ich noch nicht.

Amir mit seinen Freunden Mitja und Jelena in Iran | Foto: privat

Amir mit seinen Freunden Mitja und Jelena in Iran

Wenn man lange weg ist, vergisst man die schlechten Seiten seiner Heimat und es bleibt nur das Positive. In meiner Jugend habe ich viele Abenteuer erlebt. In Iran ist alles ein Abenteuer: Musik machen, Alkohol trinken oder auch nur seine Freundin in der Öffentlichkeit küssen. Alles ist aufregend, weil man immer erwischt werden kann. Hier kann man höchstens schwarzfahren oder bei Rot über die Straße laufen. 50 Prozent aller Aktivitäten, die hier als normal gelten, sind dort verboten, aber deshalb macht es auch Spaß. Bestimmt sehen andere Iraner das anders, aber ich hatte immer viel Spaß. Ich kann nicht erklären, wie die Situation in Iran ist, das muss man selber erlebt haben. Ich war letzten Sommer mit meinen Freunden aus Berlin im Urlaub dort. Es war toll ihnen alles zu zeigen und von fremden Leuten zum Essen eingeladen zu werden. Ich mag meine Heimat, so wie jeder andere auch, nehme ich an. Aber jetzt bin ich erstmal hier und daraus will ich etwas Gutes machen.

Fotos: privat

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