Gesellschaft
Schreibe einen Kommentar

Das erste Date – was für ein Theater

Wenn es so richtig drauf ankommt, fahren wir alle Geschütze hoch, schlüpfen in die perfekte Rolle und spielen Theater. Wovon die Rede ist? Na vom ersten Date.

Wer kennt das nicht: das erste Date steht vor der Tür und wir völlig neben uns. Wo soll es stattfinden, was soll ich anziehen, worüber könnten wir sprechen und wie soll ich mich verhalten? Als wären diese Sorgen nicht genug, bekommt man oft noch unverzichtbare Ratschläge mit auf den Weg: „Erzähl’ bloß nichts von Deiner Familie und versuch’ nicht so viel Zahnfleisch beim Lachen zu zeigen wie sonst.“

Die Stichprobenentnahme

Jetzt könnte man sich fragen, warum immer und immer wieder so ein riesiges Tamtam um dieses erste Treffen gemacht wird? Naja, immerhin geben wir bei diesem Treffen eine Art Stichprobe von uns ab. Wir geben kleine Einblicke in unsere Persönlichkeit und unser Leben. Gleichzeitig versuchen wir ebenfalls eine Stichprobe des Gegenübers zu entnehmen. Wenn diese Stichprobe gefällt, könnte das Gesamtpaket überzeugen.

Den ganzen Abend über machen sich beide Parteien kleine grüne Häkchen und vielleicht auch große rote Kreuzchen auf der imaginären (Ab-)Check-Liste. Das kann man sich dann ungefähr so vorstellen: gepflegte Hände: +, aufdringlicher Duft: -, wohnt noch zu Hause: -, kümmert sich um die kleine Nichte: +, liest gerne + und so weiter und so weiter. Diese Art der Kategorisierung des Gegenübers haben wir womöglich im Umgang mit den modernen Medien nach und nach verinnerlicht. Eine Checklistenführung ist zwar mit einer gewissen Problematik des Schubladendenkens verbunden, hilft uns aber, das Gegenüber erst einmal grob zu erfassen – eine Stichprobenentnahme eben.

Wir alle spielen Theater  

Ganz schön anstrengend, immerhin muss man nicht nur das Gegenüber auf alle notwendigen Kriterien überprüfen, man muss auch sein Bestes geben, um das eigene Auftreten im bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen. Kurz gesagt: „Wir alle spielen Theater“ – dieser Buchtitel des Soziologen Erving Goffman ist sprichwörtlich geworden.

Da wir uns darüber im Klaren seien, dass wir in einer Situation (hier 1. Date) unter Beobachtung stehen, würden wir uns und unsere Rolle laut Goffman zur Schau stellen. Die Rolle, in die wir schlüpfen, legen wir vorher fest (ich werde absolut entspannt und locker, sexy und gleichzeitig intelligent rüberkommen). Während diesem Schauspiel sei man stets bemüht, den aktuell vorherrschenden und anerkannten Normen und Werten der Gesellschaft zu entsprechen, und zwar in einem deutlich höheren Maße, als das in seinem herkömmlichen Verhalten der Fall sei.

frontstage and backstage

Eine interessante Unterscheidung bei Goffman ist die zwischen der Vorderbühne und der Hinterbühne. Auf der Vorderbühne würden wir alles dafür geben, unsere Rolle glaubhaft rüberzubringen und dabei bloß gut anzukommen. Vergleichbar mit einem Kellner in einem Restaurant, der bei den Gästen am Tisch sein bestes Benehmen zeigt. Die Hinterbühne wäre, um bei dem Kellner-Beispiel zu bleiben, die Restaurantküche, in der der Kellner so richtig Dampf ablassen und sich über diese hochnäsigen und wählerischen Möchtegerns an Tisch 5 auslassen kann. Diese Beobachtung machte schon der Philosoph Jean-Paul Sartre, als er über einen Kaffeehauskellner sagte: „Seine Verhaltensweise sieht wie ein Spiel aus.“

Im Date-Fall wäre die Vorderbühne das Gespräch mit dem Gegenüber, die Hinterbühne das Telefonat mit der besten Freundin auf der Damentoilette.

Wir nutzen also frei nach Goffman für das ganze Theater all unser schauspielerisches Talent. Was darf in einem Theaterstück außerdem nicht fehlen? Genau, das Bühnenbild. Auch dafür legen wir uns mächtig ins Zeug, die Location muss stimmen. Ein Restaurant soll es sein, eine hippe Einrichtung ist ein Muss, der Lautstärkepegel sollte irgendwo zwischen nicht zu laut und peinliche-Stillen-Überbrückung liegen. Vom Thema der Kostümauswahl brauchen wir ja gar nicht erst anzufangen.

Goffmann vs. Tinder?

Erving Goffman veröffentlichte sein Werk „Wir alle spielen Theater” in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Seitdem hat sich natürlich einiges geändert. Denn zu Zeiten von Tinder & Co wird dem ersten Date noch eine Stufe vorgeschoben: die Bewertung des Gegenübers erfolgt vorerst nur anhand eines Fotos. Die Optik gewinnt also drastisch an Bedeutung.

Die (hoffentlichen) Singles auf Tinder „photoshopen“ sich zurecht, um somit die Chancen eines Matches zu erhöhen. Da wird die von Akne geplagte Haut mal flott in einen ebenmäßigen Teint verwandelt oder einfach direkt der ganze Körper verschlankt. Wer mit sich selbst aber generell eher unzufrieden ist, und in Sachen Photoshop talentfrei, wendet ein anderes Prinzip an: Das Gruppenfoto als Anzeigebild. Ideale Verwirrungstaktik – woher soll der andere wissen ob man nun die Durchtrainierte mit strahlendem Teint ganz links oder eben doch die kleine eher Rundliche mit Hornbrille in der Mitte ist?  Der große Unterschied zu Goffmans Theorie besteht hier im Umfang der Inszenierung. Während Goffman den Fokus auf die Inszenierung der gesamten Rolle legt, kann man bei Tinder nur von einer Bildinszenierung sprechen.

Doch egal auf welcher Plattform sich zwei Singles kennenlernen, früher oder später kommt es zu einer face-to-face Stichprobenentnahme. Und wenn das passiert, ist Goffman allgegenwärtig wie eh und je. In diesem Sinne: Vorhang auf!

 

 

Bild: Alan Cleaver/flickr

 

FacebooktwitterFacebooktwitter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert