Gesellschaft
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Sturm

Wie eine Fahrradtour auf dem Deich zum stürmischen Abenteuer wird und der Weg bis zum rettenden Hafen für unsere Autorin Marie Gutbub beängstigend lang wurde.

Marie Gutbub allein auf dem
 Deichdamm           (Foto: Elisa Beldowski)

Schiermonnikoog ist fast leer, obwohl es ein sonniger Sommertag ist.
 Diese kleine holländische Insel ist einer meiner Lieblingsorte. Ich 
habe hier einen wunderschönen Tag mit meinem besten Freund Manu 
verbracht und wir wollen nicht nach Hause. Wir beschließen, unsere 
Mietfahrräder so lang wie möglich zu behalten. Im Hafen können wir die
 ja auch noch abgeben.
 Auf dem Rückweg haben wir das Gefühl, dass wir fast allein sind. Es 
gibt nur noch eine kleine Gruppe von Touristen, die auch mit dem 
letzten Schiff fahren wollen.

Wind im Rücken

Keine Autos. Wir können mitten auf der
 Straße schlingern. Es ist sehr angenehm, endlich in Windrichtung fahren 
zu müssen. Es ist noch angenehmer, wenn der Wind so stark wird, dass
 man nicht einmal mehr strampeln muss. Wir lachen.

 Als der Himmel ganz grau wird, wissen wir, dass wir uns beeilen 
müssen. Jetzt ist der Wind so stark, dass wir sogar ohne zu 
strampeln auf die Steigung hochfahren können.

Ich bin mir nicht
 sicher, ob ich das Fahrrad noch beherrsche. Ich bremse ein bisschen,
 die Gruppe fährt weiter. 
Noch ein paar Meter, dann muss ich nach rechts auf den Deichdamm
 abbiegen. Der Deichdamm: eine lange gerade Straße zwischen Meer und
 Meer; am Ende der Hafen. Dort werde ich sicher sein. Aber jetzt muss 
ich zuerst auf diese Straße – das heißt mit Seitenwind.

Ich fahre kaum auf dem nassen Teer des Deichdamms, als ein heftiger 
Windstoß mich umstößt. Ich liege in einer Wasserlache mit dem Fahrrad 
über mir. Mein Knie tut weh. Ich sehe ein Loch in meiner Hose. Darunter
 fließt Blut.

 Ich erhebe mich und schaue mich um: Ich bin ganz alleine auf dem
 Deichdamm.

Zittern vor Kälte und Angst

Ein toter Vogel liegt neben mir am Boden. Sepia-Schulpen 
fliegen um mich herum.
 Ich fange an, gegen dem Wind zu hinken. Ich sehe nichts. In welche
 Richtung gehe ich? Ich habe Angst.

 Ich habe das Gefühl, dass ich Manu erst eine Ewigkeit später sehe. Er 
reißt mir mein Fahrrad weg und drängt mich in die richtige Richtung. 
Hier ist es noch zu gefährlich, um sich in die Arme zu fallen. Wir 
laufen weiter. Manu schweigt – ich weine.

Wir erreichen endlich den 
Hafen. Wir wissen nicht, ob wir vor Kälte oder vor Angst zittern. Alle
 Touristen, die früher angekommen sind, stehen da – ganz trocken. Ein 
paar Omas schauen uns entsetzt an und fragen, ob wir tatsächlich im 
Sturm gefahren sind. Noch ein paar Minuten und dann hört alles 
plötzlich auf. Die Wolken verschwinden, die Sonne scheint und das 
Schiff läuft den Hafen an – als wäre nichts passiert.

 

Marie Gutbub war Online-Redakteurin für die taz-Beilage “Happy End” – eine Sonderbeilage des Masterstudiengangs Kulturjournalismus an der UdK.

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Kategorie: Gesellschaft

Marie ist im Dreiländereck bei Basel, in Frankreich, aufgewachsen. Nach ihrem Abitur hat sie zwischen Musik- und Literaturstudium geschwankt – schließlich hat sie sich für eine „Classe Préparatoire aux Grandes Écoles“ für Literatur in Straßburg entschieden – eine Art französische Elite-Schule. Mit einem zusätzlichen Jahr in der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg hat sie ihren Bachelor in den Fächern Deutsch und Französisch abgeschlossen. Danach hatte sie geplant, an der Straßburger Journalismusschule weiterzustudieren; jedoch wollte sie Deutschland nicht verlassen: Sie bewarb sich an die UdK Berlin. Viel berufliche Erfahrung hat sie nicht – dafür gibt es in französischen Vorbereitungsklassen keine Zeit. Ihr einziges Praktikum hat sie bei der holländischen Zeitung Het Dagblad van het Noorden gemacht. Am liebsten würde sie in Zukunft auf Französisch schreiben, aber im Ausland wohnen – könnte es auch noch im Bereich Kultur und Gesellschaft sein, dann hätte sie ihren Traumjob gefunden.

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