Gesellschaft
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Relativ verliebt

Mathe ist kein Arschloch (Foto: Alan Levine)

In der Schulzeit zählte sie zu meinen Lieblingsfächern: die Mathematik. Und obwohl ich nur ausgesprochen selten auf das richtige Ergebnis kam, Spaß hatte ich immer.

Mathe ist kein Arschloch (Foto: Alan Levine)

Herr Bayer und Herr Vettin waren wahrlich keine schönen Männer. Der eine zu klein, der andere zu schwer. Herrn Bayer hätte ein Besuch beim Orthopäden gut getan, Herrn Vettin ein Nasenchirurg. Nichts desto trotz haben sie einen festen Platz in meinem Gedächtnis eingenommen, als meine Mathematiklehrer.

Es war eine merkwürdige, wenn nicht im wahrsten Sinne des Wortes unlogische Beziehung, die ich mit der Mathematik führte. Ich würde sie vielleicht sogar als eine einseitige Liebe bezeichnen. Die Mathematik brauchte mich nicht. Ich habe schließlich nie etwas zu ihrer Weiterentwicklung beigetragen. Ich allerdings brauchte die Mathematik. Zumindest hatte ich an wenigen Fächern so viel Spaß.

Dass ich oft falsch lag, änderte nichts an meinen verliebten Blick auf das Fach. Vermutlich lässt sich diese Tatsache damit erklären, dass ich mich unvoreingenommen und ohne Leistungsdruck mit ihr beschäftigen konnte. Denn ich wusste, ich würde sowieso nicht auf das richtige Ergebnis kommen. Warum sich also mit derart hohen Erwartungen überfrachten, wenn am Ende doch eine komplett andere Lösung im Schulheft stünde als an der Tafel oder im Heft der Tischnachbarin.

Rechnen hat mich amüsiert

Diese Erkenntnis kam mir schon recht zeitig, bereits zu Beginn meiner schulischen Karriere. Und auch wenn es mir anfänglich schwer viel, mir die Logiklücke in meinem Gehirn einzugestehen; als ich erst einmal die harte Realität akzeptiert hatte, konnte ich viel unbeschwerter mit ihr umgehen. Das Rechnen also hat mich fortan immer mehr amüsiert, wenngleich auch nicht ernsthaft interessiert, was nicht bedeutete, dass mich die richtige Lösung einer Aufgabe unberührt gelassen hätte.

Im Gegenteil. Tatsächlich gab es eine Zeit, in der mir die Mathematik, wohl eher aus Mitleid denn aus Hoffnung auf ein unentdecktes, vielleicht noch schlummerndes Potential, etwas entgegen kam. Das war in Klasse zehn, mit der Stochastik. Zwar können Menschen generell keine Wahrscheinlichkeiten einschätzen, und der Hälfte meiner Klasse lag dieser Bereich der Mathematik auch nicht besonders, ich allerdings fühlte mich gut mit der lieben Stochastik. Ich wurde schnell warm mit ihr und konnte anhand der vielen bunten Kugeln, die Herr Bayer mit farbiger Kreide an die Tafel kritzelte — kaum ein Mathematiklehrer ist fähig, auch nur annähernd eine Kugel zu zeichnen— ein, wie ich mir selbst einredete, stochastisches Verständnis entwickeln. Auch besaß das Thema für mich diesen sinnvollen Bezug zur Realität: Roulette, Poker, Unfallraten. Ich dachte, wenn ich Wahrscheinlichkeiten berechnen könnte, hätte ich die Chance auf jeden erdenklichen Jackpot und könnte sämtliche Verletzungsrisiken eindämmen. Letztendlich habe ich in der Stochastik-Klausur doch nur 10 Punkte geschrieben, obwohl ich geglaubt hatte, das System vollständig durchschaut zu haben.

Ich und die Kurvendiskussion

Meine Begeisterung für das Zahlenspiel riss dennoch nicht ab. Ich stürzte mich voller Freude in die Sekundarstufe II und in die Kurvendiskussion. Ab diesem Zeitpunkt unterrichtete uns Herr Vettin. Der wirkte meist etwas zerstreut, im Laufe des Semesters zudem auch immer abwesender. Vermutlich hätte er sich selbst lieber in der Rolle des Universitätsprofessors als des Gymnasiallehrers für desinteressierte Halberwachsene gesehen.

Das Gute an der Kurvendiskussion war, dass ihre Berechnung immer den gleichen Mustern folgte, zumindest war das meine Einschätzung. Und als ich dann das Gefühl hatte, diese verstanden zu haben, ermittelte ich mit großem Eifer Nullstellen, Schnittstellen und Extrempunkte.

Des Öfteren gelang es mir, die Aufgaben, die Herr Vettin uns gestellt hatte, vor allen anderen zu lösen. Ich fühlte mich gut, war ich doch sogar schneller als die Wichtigtuer und selbsternannten Mathematikgenies aus meiner Klasse. Dies bestätigte mich jedes Mal darin, endlich die fiese Logik-Blockade in meinem Kopf überwunden zu haben. Natürlich kam nach jeder Auflösung die Ernüchterung: Ich war deshalb schneller als der Rest, weil ich die Komplexität der Aufgabe nicht erfasst hatte.

 

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Kategorie: Gesellschaft

Sarah Lehnert ist in Berlin geboren und aufgewachsen. An der Freien Universität Berlin studierte sie Islamwissenschaft und Politikwissenschaft. Vor und während ihres Studiums absolvierte sie Praktika in der Redaktion Brandenburg aktuell des RBB, in der Redaktion Deutschland heute und in der Arabischen Redaktion des Deutsche Welle-Fernsehens. Sie war während ihres Studiums Autorin beim studentischen Magazin Diwan Berlin. Ihr Spezialgebiet im Fach Kulturjournalismus ist der Kunstjournalismus, zudem interessiert sie sich für gesellschaftspolitische Themen. Beruflich kann sie sich vorstellen als Auslandskorrespondentin oder Redakteurin im Politik-oder Kulturressort eines Fernsehsenders zu arbeiten.

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