Film
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König vom Spind

Den Schuleingang dekodieren: Die Klasse von 1984 (1982, Film-Still: youtube)

Sie macht uns zu denen, die wir sind, zumindest jahrelang wochentags von acht bis eins. So ist es kein Wunder, dass die Schule in der Filmgeschichte eine zentrale Rolle spielt. Wie sie dargestellt wird, verrät wiederum etwas über die Gesellschaft, in der die Filme entstanden.

Den Schuleingang dekodieren: Die Klasse von 1984 (1982, Film-Still: youtube)

Den Schuleingang dekodieren: Die Klasse von 1984 (1982, Film-Still: youtube)

Das Tor zur Hölle hat zwanzig Stufen. Dahinter wartet die Polizei mit Metalldetektoren, denn die „Klasse von 1984“ der Abraham Lincoln High School ist die Quintessenz aller Rowdies, Mobber und Unterrichtsverweigerer. Schüler ziehen Dolche aus dem Hosenbund und Butterfly-Messer aus den Stiefeln. „Sie glauben nicht, was sich hier abspielen würde, wenn wir nicht überall Kameras hätten“, erklärt der Direktor einem neuen Musiklehrer. „Die bemalen die Wände und pissen auf die Korridore.“ Schwänze, Brüste und Hakenkreuze sind mit schwarzem Filzstift über alle Flächen gemalt. Mark L. Lesters US-Thriller von 1982, der angeblich auf wahren Tatsachen beruht, ist die Illustration zum absoluten Kampf zwischen Schülern und Lehrern ̶ und zwischen Schülern und Schülern. Die Pforte ist das Symbol für diesen Kampf. Wer hier durchgeht, muss die totale Dominanz weniger Stärkerer in Kauf nehmen, denn dort regiert der mit dem Schlagring. Eine total überwachte Schulpforte erzählt von einer Angst vor Gewalt an den Schulen und ist auch in Deutschland teilweise Realität geworden. In der überspitzten Version im Film wird aber auch deutlich, dass Polizeikontrollen die Situation eher noch verfestigen. Weshalb er niemandem die Nase brechen soll, bleibt dem Schläger bei allen Taschenkontrollen unklar.

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Hierarchien werden am Spind geklärt: Rowdy aus der Serie “Parker Lewis” (Film-Still, youtube)

Der Flur in der 90er-Jahre Kultserie „Parker Lewis – Der Coole von der Schule“ sieht freundlicher aus, eigentlich wie alle Flure in amerikanischen High-School-Filmen: Mit Neonröhren beleuchtet führt er von der Pforte gerade durchs Schulhaus. Lewis trifft sich dort in den Pausen mit seinen Jungs. Gleichzeitig werden aber auch Hierarchien manifestiert, denn wer beliebt ist oder nicht, wird an den Spinden aus Metall ausgemacht. Dort packt der Rowdy seinen Rivalen am Kragen und hängt Bilder von schönen Frauen an die Innentüre der Schränke, in die er die Streber, Brillenschlangen und Bohnenstangen einsperrt – also alle, die entweder körperlich schwächer sind, oder intellektuelle Neigungen haben. Daneben stehen Glasvitrinen mit Trophäen. Auch sie sind Teil der Hackordnung, denn sie zeigen an, wer es an dieser Schule zu etwas gebracht hat. Dass Machtkämpfe in US-Filmen oft so zentrale Rollen spielen, zeigt, dass die Frage nach Beliebtheit, Sportlichkeit und Stärke sehr wichtig in dieser Gesellschaft ist. So ist es im absolut liberalen Wirtschaftssystem durchaus nützlich, wenn man sich bereits am Spind die Ellenbogen abgehärtet hat.

Joosep muss sich beweisen: Die Klasse, 2007 (Film-Still, youtube)

Joosep muss sich beweisen: Die Klasse, 2007 (Film-Still, youtube)

Auch die Sporthalle ist im Film oft ein Ort, an dem starke Schüler ihre Dominanz voll ausspielen. Beim Klettern und Turnen werden Kräfte gemessen und wer zuletzt in die Basketball-Gruppe geholt wird, ist nicht nur schlecht im Sport, sondern auch der Hanswurst der Gruppe. Ilmar Raags estnisches Schuldrama „Die Klasse“, das mit einem Amoklauf endet, beginnt mit einem Basketballspiel. Blaugraue Farbe blättert von den Wänden der Turnhalle und der Dielenboden, auf den Joosep geschubst wird, ist schmutzig. Der dünne Junge will sich beweisen, aufrappeln und einen Korb werfen, doch der Ball geht daneben. Nach dem Sport erfährt er die peinliche Nähe mit den Schulkameraden, als er ihnen nackt im Umkleideraum gegenübertritt. Diese Szenen sind bezeichnend für den Schulalltag des Jungen, der in einer Tragödie endet.

Solche Schüler-Hierarchien zählen allein im Direktorenzimmer nichts mehr. Es ist der Raum der obersten Autorität und der Konsequenzen: Wer darf an der Schule bleiben, wer muss gehen? Wird der Mobber bestraft? Bleibt er sitzen? Symbolisch auf die Spitze getrieben wird das bei Parker Lewis: Die strenge Direktorin „Miss Musso“ stößt die Türe jedes Mal, wenn sie den Schulschwänzer zu sich ruft, so hart auf, dass das Glas aus dem Rahmen springt. „Parker! In mein Büro!“ schreit sie und zeigt mit einer so energischen Handbewegung auf ihren Schreibtisch, dass sie wie ein Peitschenschlag klingt. Auch in der deutschen Schulsatire „Die Lümmel von der ersten Bank“ aus den 70er Jahren versammelt sich das Kollegium im Direktorenzimmer um den grünen Tisch. „Diese Schule“, sagt der Direktor, „ist die Urzelle der Gammler, Rocker und dieser Hippies.“

Freiheit im Kleinen: Pepe Nietnagel auf dem Schulklo (Film-Still, youtube)

Freiheit im Kleinen: Pepe Nietnagel auf dem Schulklo (Film-Still, youtube)

Dabei weiß er nicht einmal, dass sich “Paukerschreck Pepe Nietnagel” gerade eine Zigarette auf der Schüssel ansteckt und auf dem Schulklo rauchend ein Bild seiner Generation zeichnet: „Du solltest Dir ein Beispiel an Deinen Eltern nehmen“, mahnt der Lateinlehrer. „Wie? Soll ich Hitler wählen?“ – Die Schüler der späten 60er Jahre wollten alles tun, um sich den Überbleibseln des Nazi-Schulsystems zu verweigern, wie es in abgemilderter Form etwa in „Die Feuerzangenbowle“ angedeutet wird.

„Die Feuerzangenbowle“ von Helmut Weiss wurde 1944 von Adolf Hitler für die Kinovorführung freigegeben, obwohl es ihm nicht recht war, wie Lehrer darin aussehen. Sie sind extrem dominant dargestellt, was durch ihr hohes, massives Podest aus dunklem Holz unterstrichen wird, zu dem die Schüler aufblicken müssen. Darauf steht ein Pult, von dem aus der Lehrer voller Genuss Sätze spricht wie: „Mit der Schule ist es wie mit der Medizin. Sie muss bitter schmecken, damit sie etwas nützt.“ Die Schüler sitzen dabei stramm und stumm in ihren Bänken, wie in einer Militärakademie. Zumindest bis die harmlosen Streiche von “Hans Pfeiffer” losgehen.

Viel Glück! Machtkampf in "Battle Royale" (Film-Still: youtube)

Viel Glück! Machtkampf in “Battle Royale” (Film-Still: youtube)

Drei Stufen schärfer überzeichnet die Schul-Dystopie „Battle Royale“ aus dem Jahr 2000 die totalitäre Schule. Darin werden faule Schüler dafür verantwortlich gemacht, dass die japanische Wirtschaft zusammengebrochen ist. Eine „Millennium-Bildungsreform“ soll aus dem „Verliererpack“ zukünftige Vorstandsvorsitzende machen. Zumindest aus denen, die überleben, denn die Schüler müssen sich gegenseitig umbringen, bis nur einer pro Gruppe übrig bleibt. Der Ehrgeiz ist geweckt: „Ich werde überleben“, schreit einer. „Und dann gehe ich auf die Oberschule.“ Gut, dass der Boden des in flackerndes Neonlicht getauchten, betonierten Klassenzimmers der Shiroiwa-Mittelschule mit Plastikfolie ausgelegt ist, denn es wird blutig. Die Schule wird als absolute Konkurrenz-Maschinerie dargestellt. Auch das deutet auf ein reales gesellschaftliches Problem hin: Es gibt in Japan mit „Hikikomori“ sogar ein eigenes Wort für Schüler, die sich aus dem Schulalltag zurückziehen und oft jahrelang zu Hause einsperren, um kein Teil des in Japan so wichtigen großen Ganzen mehr zu sein.

Es zählt im Film also viel, wie ein Klassenzimmer aussieht, ein Lehrerpult oder eine Schulpforte. Ein Flur ist niemals nur ein Flur, sondern im US-Film auch der symbolische Ort, an dem die Rangordnung unter den Schülern angezeigt wird. Und wie die Klassenräume arrangiert sind, zeigt, ob die Gesellschaft, in der die Filme entstanden sind, besonders autoritär geprägt ist. So entschlüsselt ein Streifzug durch die Schulhäuser der Filmgeschichte auch ein Stück weit die Kultur, in der die Filme entstanden sind. Es lohnt sich, genauer hinzusehen.

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Kategorie: Film

Maja Hoock will keine prätentiösen Kultur-Texte lesen. Falls sie welche schreibt, darf sie keinen Nachtisch haben. Gut findet sie die Feuilletonisten, die flanieren können. Tucholsky, Hessel, ihr habt gut hingesehen.

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