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Randwissen Italowestern: Es gibt keine Glattrasierten

Italowestern

Stefan Groß, leidenschaftlicher Experte für Italowestern, spricht über saubere Westen, vierschüssige Kleinrevolver und veränderte Moralvorstellungen im Western. Ein König des Randwissens.

Szene aus "C'era una volta il West" (1968)

Kulturen: Herr Groß, wie fing das an mit Ihrer Faszination für Italowestern?

Stefan Groß:  Ich saß mit zwölf bei meiner Tante vor dem Fernseher, bis dahin kannte ich nur US-Western. Aber an dem Abend lief „Zwei glorreiche Halunken“ von Sergio Leone im ZDF. Im Original geht er 173 Minuten. Als es dann zehn Uhr war und die Geschichte erst bei der Hälfte, durfte ich halt länger aufbleiben. Meine Tante ist aber dagesessen und meinte nur: „Das wird ja immer fürchterlicher! Normalerweise dürftest Du Dir das nicht ansehen.“ – Wobei, meine Tante ist Pädagogin. Ich war völlig weg. Ein absoluter Epos! Eigentlich der Italowestern an sich. Ich muss aber auch sagen, dass ich dann jahrelang nicht mehr so was in gleicher Qualität gesehen habe. Da ging es mir wahrscheinlich wie 70 bis 80 Prozent aller Italowesternfans.

 

Ging es dann gleich los mit der Italowesternbegeisterung?

Eher nicht. Ich habe mich dann noch sehr früh an einem Django versucht, aber das Ding war damals so was von schnarchlangweilig – da habe ich noch keine Liebe ausdefiniert. Ich wusste das noch nicht zu schätzen.  Das ist wie mit Spinat: kein Kind mag am Anfang Spinat – das gibt sich erst später. Das Zeug ist am Anfang zu bitter

 

Wie entwickelte sich der Italowestern?

Der US-Western war Anfang der 60er Jahre eigentlich schon am Boden. Zum einen, weil die Hochzeit der US-Western in den 20er und 30er Jahren stattfand und zum anderen, weil durch den so gennanten Hays-Code keine Weiterentwicklung des Genres stattfinden konnte. Der Hays Code war eine moralische Vorgabe von Hollywood, der Anfang der 30er Jahre aufgesetzt wurde, und nach dessen Regeln dann alle Hollywoodfilme gedreht wurden. Das waren Zensurgeschichten, wie keine nackten Frauen und keine expliziten Gewaltdarstellungen. Also ein sehr konservatives Bild. Somit waren dann fast alle Themen abgehandelt. Es kam nichts Neues hinzu. Alles änderte sich 1963/64. In der spanischen Sierra Nevada wurde ein Film mit großem Budget gedreht. Hinterher war noch genügend Geld übrig, um einen zweiten, billigen Film zu produzieren. Das sollte Sergio Leone machen. Er nahm als Vorlage keinen klassischen US-Western; sondern transferierte den japanischen Samuraifilm „Yojimbo“ von Kurosawa in den Wilden Westen. So entstand „Für eine Handvoll Dollar“.

 

Was waren die Unterschiede zum US-Western?

Die Italiener konnten da gleich viel mehr Themen hinzufügen. Die haben das Ding auf eine andere moralische Stufe gestellt. In Sergio Leones Film „Eine Handvoll Dollar“ muss man sich nur den Protagonisten ansehen:  ein Kopfgeldjäger und das ist schon mal per se ein sehr unsympathischer Beruf. Der erschießt Leute mir nichts dir nichts. Also ein Pazifist ist das gar nicht. Nur: seine Umwelt ist noch viel schlimmer. Also dieses Negative in den Filmen war ja zu diesem Zeitpunkt völlig neu. Es steckten weniger moralische Werte hinter den Handlungen der Protagonisten. Es ging meistens um Gold oder Rache.

 

Die Hauptfigur war eine Art von Antiheld?

Letztendlich schon. In den Leone Western löst sich das meist ziemlich zynisch auf – oftmals ist der Held am Ende allein. Er hat vielleicht die ganze Geschichte überlebt, aber ein Held ist er am Ende nicht mehr. Der Look ist auch ein völlig anderer: im Italowestern sind die Helden immer dreckig, schmutzig und haben einen Dreitagebart. Da gibt es keine Glattrasierten. Ein Ziel war also diese scharfe Gut-und-Böse Trennlinie aufzuweichen. In einigen Filmen wandeln sich sogar die scheinbar guten und bösen Charaktere oder sie verschwimmen, wenn sich der Böse zeitweise mit dem Guten befreundet. Im Italowestern geht es also weniger um die Werte als um die erzeugten Spannungsverhältnisse. Alle rennen zwar dem Geld hinterher, aber viel wichtiger ist, was dabei passiert. Es wurden auch andere Inhalte hineintransportiert. Beispielsweise haben die Sollima Streifen eine höchst politische Seite – auch wenn er das selber immer bestreitet. Der Held ist ein Proletarier aus dem Volk und die Schlimmen sind die mit dem Geld. Die Amerikaner haben innenpolitische Geschichten bis in die 60er kaum verarbeitet. Der Witz ist ja bei den Leone Filmen, dass Clint Eastwood einen Typen spielt, der ein Schweinegeld verdient und trotzdem immer die gleichen abgerissenen Klamotten trägt.

 

Stefan Groß (Foto: privat)

Ein Unterschied zum US-Western sind ja die weniger klischeehaften Darstellungen von Indianern und Mexikanern. Können Sie das bestätigen?

Einer der Hauptgründe hierfür ist ja, dass ein Italiener eher aussieht wie ein Mexikaner als ein englischstämmiger Nordstaatler. Das führte automatisch zu weniger Klischeedarstellungen. Die eigentlichen Beweggründe sind ja auch andere: es ging immer um Gold und um Rache und die kann  jeder haben. Das sind rein menschliche Motive.

 

Wer sind die bekannten Regisseure neben Sergio Leone und Sergio Corbucci?

Es gibt die drei großen Sergios innerhalb der Fangemeinde: Also einmal Leone, dann Sergio Corbucci und Sergio Sollima haben den Stil des Italowesterns völlig ausgereizt. Corbucci hat desillusionierendsten Filme gemacht, wie beispielsweise „Django“ von 1966 oder: „Leichen pflastern seinen Weg“ mit Klaus Kinski. Sollima hat nur drei Italowestern gedreht, die aber sehr stilprägend waren. Einerseits durch ihre hohe cineastische Qualität und andererseits waren es  die ersten Western mit mexikanische Bauern. Seine „Cuchillio-Trilogie“ hat den Revolutionslook Ende der 60er aufgebracht. Allein schon das Thema „Mexiko als Grenzland“ war bei vielen Italowestern wichtig. Ganz viele Italowestern spielen im Grenzland.

 

Der Italowestern zeichnet sich durch unübliche Kreuzungen von Filmgenres aus. Wo wird das besonders deutlich?

Crossovers gab es schon immer. Das hat ja schon mit der Yojimbo Nummer angefangen. Das Genre war grundsätzlich für alles offen. Später floss auch Humor mit in die Western, wie beispielsweise bei den Bud Spencer und Terence Hill Filmen. Der Westernheld Sartana andererseits war der James Bond der Italoswestern. Er ist meistens relativ dunkel gekleidet oder trägt ein Priestergewand. Er hatte oft Gimmicks oder Spezialgeschichten auf Lager – eben ähnlich wie James Bond. Es gab einmal eine schießende Orgel oder sein Markenzeichen: ein vierschüssiger Kleinstrevolver,  auf dessen Trommel die Spielkartenfarben aufgedruckt sind. Gruselelemente gab es auch – beispielsweise in „Django und die Bande der Bluthunde“. Ab ’73 kam es dann zu Kooperationen mit der Martial Arts-Welle: diese Filme heißen Karate Spaghetti Western,  beispielsweise „In meiner Wut wieg ich vier Zentner“.

 

Haben Sie eigentlich alle Italowestern gesehen?

Nein! In Deutschland sind etwa 300 Italowestern erschienen. Ich habe circa 200 gesehen. Und dann fehlen mir noch 100 und da weiß ich nicht, ob ich mir die alle antun möchte. Insgesamt gibt es offiziell wohl über 500 Italowesternproduktionen, aber da ist das Problem, dass ich kein Italienisch kann.

 

Welche Einflüsse hatten die Italowestern auf das, was danach kam?

Ein Verdienst der Italowestern ist, dass sie einige Tabus aufgebrochen haben. Gewalt wurde deutlicher gezeigt, gelegentlich hat man eine nackte Frauenbrust gesehen. Die Sprache in den Filmen hat sich durch die Italowestern auch revolutioniert. Der Synchronsprecher und Schauspieler Reiner Brandt hat beispielsweise das Schnodderdeutsch mitbegründet und das kam im Italowestern zum Einsatz.

 

Die bekannten Italowesternschauspieler?

Lee Van Cleef, Clint Eastwood und auf italienischer Seite Franco Nero oder Guiliano Gemma.

 

Herr Groß, wie kommt es, dass Sie all das wissen?

Alles was ich mag hat sich sehr zufällig entwickelt. Das liegt vielleicht auch daran, wie ich mir Wissen aneigne und wie ich es aufnehme. Das hat einen vernetzten Hintergrund. Früher war das schwieriger und heute umso leichter durch das Internet, Foren und Wikipedia, weil das ja auch vernetzt aufgebaut ist. Ich bin ein echter Hyperlinker. Mich hat nie das Große interessiert – oft hat es ganz einfach angefangen. Zum Beispiel beim Filmgucken – da denkt man ja auch nicht sofort. Dann schaut man sich noch einen mit dem gleichen Hauptdarsteller an und so geht es dann weiter.

 

Ein interessengeleitetes Wissen also?

Auf jeden Fall!  Für mich ist es auch nicht wichtig alles sofort zu wissen. Reines Fakten- und Zahlenwissen haben mich nicht interessiert. Die Geschichte hinter der Geschichte ist meist das Interessanteste. Ich kann mir nur die Dinge merken, die vernetzt eingebunden sind.

 

Haben Sie je daran gedacht, Ihr Expertentum zum Beruf zu machen?

Das ist kein Wissen, mit dem man Geld verdienen kann. Und das würde ich auch nie wollen. Beispielsweise ist unsere Homepage ein no-budget Projekt. Wir wollen völlig unabhängig sein mit unserer Wertung. Wir haben zwar Partnerfirmen, die uns Presse-DVDs schicken, aber die brauchen sich dann auch nicht wundern, wenn sie eine schlechte Kritik von uns bekommen. Wir lassen uns da nicht vor einen ökonomischen Karren spannen. Das ist eine reine Hobbynummer und die soll es bleiben.

 

Das Interview führte Su-Ran Sichling.

 

 

Info: Stefan Groß, 40, Onlineredakteur, lebt in Berlin. Er ist Mitglied des Bud Spencer und Terence Hill Fanclubs und hat zusammen mit seinem Kollegen Claus eine Website, auf der sie Filme besprechen:  www.film-maniax.wetpaint.com

 

 

 

 

 

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