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Haut aus Farbe

Marzahn hat das größte Fassadenkunstwerk Europas. Wie lebt es sich im Flower Tower? Zu Besuch in der Plattenbausiedlung Allee der Kosmonauten

Grau, grauer, Marzahn. Oder: Kein Ort für Kunst und Kultur. Meinungen wie diese lösen bei Elfie Schulz* nur Kopfschütteln aus. Die agile 58-Jährige mit den grauen Locken mag ihren Stadtteil. Sie kann nicht verstehen, warum das nicht alle Berliner tun. Seit 1981 lebt sie nun schon zwischen Platte, Natur und Großstadt.

Es ist Dienstagnachmittag. Die Sonne scheint, eine Tram fährt mit lautem Wummern in die Allee der Kosmonauten. Autos parken am Bürgersteig. Elfie Schulz überquert die Poelchaustraße. Inmitten von Bäumen und Büschen steht ein 18-stöckiger Plattenbau. Der Flower Tower – bunt bemalt, viel bunter als alle anderen hohen Gebäude in der Nähe. Unten entlang des Erdgeschosses ziert ein Naturlehrpfad die Wände. Ob Wiesenschaumkraut der Heidelandschaft oder Hibiskus aus dem Amazonas-Regenwald­­ – Naturmalereien bestimmen das Bild.

Der Flower Tower ist ein Grund, warum Elfie Schulz die Marzahn-Verächter nicht verstehen kann. Hier, in der Allee der Kosmonauten, Hausnummer 145, hat die Wohnungsgenossenschaft Friedenshort in Zusammenarbeit mit der französischen Künstlergruppe Cité Création das größte Fassadenkunstwerk Europas geschaffen. „Hauswände wie die Haut der Bewohner“, so die selbstbewusste Darstellung der Cité Création, Weltmarktführer für Fassadenkunst. Zumindest ist es ein Gebäude in einem verkannten Bezirk, in dem Plattenbau-Tristesse auf bunte Fassaden trifft. Doch was verändert sich durch den neuen Anstrich für die Menschen vor Ort?

“Ein wirklich schöner Farbtupfer”

Elfie Schulz kennt das 1979 gebaute Haus noch mit grauer Farbe: „Das war ein Schandfleck, dieses alte Gebäude. Neulich bin ich von München hierher geflogen und mit dem Tower hat man hat jetzt einen super Orientierungspunkt.“ Eine Frau eilt aus dem 18-Stöcker. Auf dem Weg zu ihrem Auto dreht sie sich um und lächelt. Die Mittvierzigerin in der kurzen, sportlichen Jacke betrachtet den neu sanierten Bau samt Kunstwerk. Knapp vier Monate haben die französischen Künstler daran gearbeitet; im November 2012 wurde es eingeweiht: „Das hier ist ein wirklich schöner Farbtupfer“, sagt die Frau. „Die haben sich sehr viel Mühe gegeben mit der Gestaltung der unterschiedlichen Landschaften am Gebäude.”

Auf dem Weg zum Haupteingang des Flower Towers wird der Verkehr ruhiger. Ein Mann mit kurzen dunklen Haaren, Brille und grüner Arbeitskleidung radelt zielstrebig auf das Gebäude zu. Norbert Presche ist Hausmeister und für den Plattenbau verantwortlich. Er verstaut sein Fahrrad hinter einer ebenerdigen Tür des Hauses, dann verteilt er Flyer und Visitenkarten der Wohnungsgenossenschaft. Ob die grüne Farbe seiner Kleidung eine Anlehnung an die nahegelegenen Gärten der Welt ist, möchte Presche nicht verraten.

Beim Rundgang um den Tower zeigen sich die vielen Gestaltungsdetails der Fassade. Gelb und Grün dominieren. Die Architektur wird laut Wohnungsgenossenschaft Friedenshort „nicht übertüncht“, stattdessen mit „freundlichen hellen Gelbtönen akzentuiert“. Die oberen Stockwerke des Gebäudes zeigen ein „Glasdach mit Blick in den Himmel“.

Aussen bunt, innen trist

Ein kurzer Blick in das Haus beendet die florale Exkursion: Die Klingelanlage ist kaputt, der Tower steht offen. Drinnen setzt sich das künstlerische Thema nicht fort. Keine Blumen, kaum Farbe, trister Berliner Flurcharakter, nur frisch saniert. Das Kunstwerk bleibt nur auf der Fassade. Als Haut der Bewohner. Doch von denen sind nicht viele auszumachen. Heute jedenfalls wirkt diese Ecke von Marzahn menschenleer.

„Der Tower ist ein Hingucker“, sagt Elfie Schulz, „und damit ein Schandfleck im Umkreis weniger!“ Es klingt ein wenig trotzig. Dabei ist klar: Für Elfie Schulz war der Kiez schon immer bunt. Auch ohne Fassadenkunstwerk.

*Name geändert

Foto: Julia Neubüser

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Kategorie: Raum

Diese große, vielfältige Welt versuche ich durch Musik zu verstehen. Musik gibt dem Leben einen Soundtrack- und das ist verdammt spannend! Den ganzen Tag den Kopfhörer auf den Ohren, schreibe ich über Bands, Songs und die kleinen Geschichten des Alltags.

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