Kunst
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“Die Kunst hängt wieder tiefer”

Wolfgang Ullrich

Kunst macht dich zu einem besseren Menschen – daran glaubte das Bildungsbürgertum der letzten 200 Jahre und verneigte sich ehrfürchtig vor der Kunst. Doch gemäss der Bildungsbürger hat ausgedient, jetzt kommt der Konsumbürger. Für ihn ist Kunst wieder das, was sie vor ihrer moralischen Verklärung war: ein Statussymbol. Das sagt Wolfgang Ullrich, Kunstwissenschaftler und Konsumkritiker. Rita Steinauer hat mit ihm über das Ende des moralinsauren Kunstbegriffs gesprochen.

Herr Ullrich, Sie kritisieren in Ihrem Buch „Tiefer hängen“ die Rolle der Kunst als Moralapostel. Wie ist es zu dieser Aufladung gekommen?

Im 18. Jahrhundert starteten die Künstler in ihrer ökonomischen Not eine Art Image-Kampagne, um ihre Arbeit aufzuwerten. Sie konnten dem Publikum plausibel machen, dass Kunst nicht nur der Unterhaltung, sondern der Bildung dient und dem Menschen zu einer höheren Seinsform verhilft. In dieser Zeit entwickelte sich auch das Bildungsbürgertum. Ab der Romantik wurde die Kunst dann gewaltig mit Heilsansprüchen und Sinnerwartungen aufgeladen. Das hat sich in den Avantgarde-Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nochmals gesteigert. Man sprach der Kunst regelrecht revolutionäre Kraft zu.

Eine Folge dieses Kunstverständnisses ist es Ihrer Meinung nach, dass der Betrachter zum Unterworfenen wird, der sich der Kunst würdig erweisen soll. Das heißt aber auch, dass derjenige, der Kunst zeigt, Macht ausübt.

Genau. Kunstbesitzer, die ihre Kunst so präsentieren, dass sie sich mit ihr identifizieren, machen sich die Autorität des Kunstwerks zu eigen. Macht wird oft mit Kunst inszeniert.

Seit der Veröffentlichung von „Tiefer hängen“ sind zehn Jahre vergangen. Wie hoch hängt die Kunst heute?

Sie hängt insofern wieder tiefer, als man unbefangener zugibt, dass sie der Repräsentation dient. Es gibt also eine gewisse Abkehr vom idealistischen Kunstverständnis. Sammler, die vor vierzig Jahren aktiv waren, haben wirklich noch an die läuternde Wirkung der Kunst geglaubt. Heutige Kunstsammler identifizieren sich nicht mehr mit diesen bildungsbürgerlichen Werten der Kunst, sondern nutzen das Image der Kunst für sich. Sie merken, je weniger das breite Publikum den Preis oder den ästhetischen Wert eines Kunstwerks nachvollziehen kann, desto besser lässt sich ein ungewöhnliches, rätselhaftes Image aufbauen.

Eine sehr nüchterne Betrachtung.

Ja, Kunst wird heute oft aus anderen Gründen bewundert als früher. Sie hat eine neue Form von Erhabenheit erhalten, die nicht aus dem Kunstwerk selbst, sondern aus ihrem unfassbar hohen Preis hervorgeht. Kunst ist heute oft ein Markt- und Spekulationsereignis.

Früher sollte die Kunst also den Charakter, heute das Image polieren. Ist das nun ein Fortschritt für die Kunst?

Das ist kein Fortschritt, aber auch nicht unbedingt ein Rückschritt, sondern am ehesten eine Rückkehr zum historischen Normalfall. Bildende Kunst stand eigentlich immer auf der Seite der Mächtigen und Reichen. Dass sie sich als sozialkritisch begriff, war ein Phänomen der Moderne, das seine stärksten Ausprägungen offenbar hinter sich hat. Schon bald werden wir vielleicht ganz selbstverständlich wieder eine florierende Auftragskunst haben.

Kunstmuseen boomen, die Documenta schreibt mit jeder Ausgabe neue Besucherrekorde, die Lumas-Kette hat mit günstigen Fotoeditionen in hohen Auflagen großen Erfolg. Die Kunst scheint die Massen erreicht zu haben.

Man kann es auch andersrum sehen. Weil die Kunst in den letzten Jahren so sehr zu einem Statussymbol geworden ist, gibt es immer mehr Menschen, die sich dafür interessieren. Statussymbole werden oft durch die sozialen Schichten durchgereicht. Hier kommt es zur üblichen Inflationierung eines Statussymbols.

Mächtige Menschen demonstrieren mit moderner Kunst Autorität. Was demonstriert ein Mensch, der sich Picasso-Zeichnungen von IKEA für 29 Euro aufhängt?

Er will auch irgendwie dazugehören, erweist sich aber als etwas unbeholfen, fast schon ängstlich. Wer sich nur ein bisschen mit Kunst beschäftigt, weiß, dass es sich bei Picasso um einen  Klassiker handelt, der längst im Kanon aufgenommenen ist und niemanden mehr verblüfft. Nur Menschen, die sich überhaupt nicht mit Kunst auskennen, haben vielleicht das Gefühl, sie holen sich damit den letzten Schrei ins Wohnzimmer.

Das Gespräch führte Rita Steinauer.

Wolfgang Ullrich, geboren 1967, ist Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Sein Buch Tiefer hängen. Über den Umgang mit der Kunst (2003) ist bei Wagenbach erschienen. www.ideenfreiheit.de

Foto: privat

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