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Hochgefühl im High-5

Für den Kraftsportler René Richter ist das Fitnessstudio ein Ort des reinen Glücks. Eine Reportage über die Leidenschaft für das Bodybuilding und die damit verbundene Euphorie. 

Lautes Stöhnen und Seufzen ertönt von allen Seiten und mischt sich mit den Klängen der aus den Lautsprechern schallenden Chart-Musik. Die dunklen Wände lassen das Ambiente wie ein verlassenes Industriegebäude wirken. Zwar ist es ein grauer und regnerischer Wintertag, doch selbst im Sommer würde nur wenig Tageslicht in die Räumlichkeiten des „High-5“-Fitnessstudios in Berlin dringen.

Für René Richter ist das Studio ein zweites Zuhause. Immerhin hat der Bodybuilder Jahre lang täglich zwei Stunden hier verbracht. Am Eingangstresen, der die Form eines riesigen Football-Helms hat, wird der 22-Jährige von der Empfangsdame fröhlich gegrüßt. Sie scheint eine der wenigen Frauen hier zu sein. Nach dem Umziehen steigt René routiniert auf’s Laufband und wärmt sich fünf Minuten lang auf. Sein blaues Tanktop liegt so eng an, dass sich die Bauchmuskeln durch den Stoff abzeichnen. Jogginghose und Sportschuhe sind farblich darauf abgestimmt.

Sofort merkt man ihm an, dass er sich in seinem Element befindet. Alles, was um ihn herum passiert, blendet er aus. Sein ganzer Körper strotzt vor Energie, als würde er jeden Moment grün anlaufen, um sich in Hulk zu verwandeln. Die Anspannung ist ihm deutlich anzusehen. „Es fängt beim Aufwärmen an. Ich spüre die Wärme und bin richtig heiß auf’s Training. Mein Herzschlag erhöht sich und ich denke an das, was ich heute erreichen will. Ich spüre die Kontraktion meiner Muskeln bei jeder wiederholten Bewegung.“

Die gesündeste Droge der Welt

Beim Bankdrücken wirkt er besonders konzentriert. Er verzieht das Gesicht vor Anstrengung und die Adern an seinem Hals und an den Armen treten hervor. Schweißperlen laufen ihm über die Stirn. Beim Ablegen der Gewichte stöhnt er laut. „Es ist wie ein Rausch. Ich nenne es gern die gesündeste Droge der Welt. Die Sucht ist dabei mein eigener Wille, jedes Mal etwas weiter zu kommen. Wenn ich also beim letzten Training 110 Kilogramm beim Bankdrücken gestemmt habe und diesmal 115 Kilogramm schaffe, freue ich mich wie ein kleines Kind.“ Dass er während der Übungen kaum lächle, habe nichts damit zu tun, dass er keine Freude dabei empfinde: „Manche Menschen haben Spaß beim Fernsehen, andere spielen Schach und ich spüre den Kick eben hierbei, auch wenn man es mir nicht direkt ansehen mag.“

Links und rechts hat René Kopfhörer im Ohr, die über Bluetooth funktionieren und ihn damit möglichst wenig bei seinen Bewegungen hindern. Neben Heavy-Metallhits sind es vor allem Motivationsreden, die ihn beim Training pushen: „Ich mag es gerne, allein zu trainieren und dabei Motivationsreden auf Englisch zu hören. Die treiben mich einerseits an und geben mir andererseits das Gefühl, gerade das Richtige für meinen Körper, aber auch für meinen Geist zu tun.“ Das Vorurteil des „stumpfen und hirnlosen Bodybuilders“ nerve ihn an dem Sport besonders. „Die meisten Leute vergessen, dass hinter all dem eine ganze Wissenschaft steckt. Da spielen Biologie, Physik und Chemie eine große Rolle.“

Hoch konzentriert: Bodybuilder René Richter beim Training im “High-5”

Immer wieder wird René von anderen Trainierenden freundlich mit einem „Hey Man, auch wieder da?“ oder „Cool, dich zu sehen!“ gegrüßt. Man kennt ihn hier. Seit über sechs Jahren ist das Krafttraining fester Bestandteil seines Lebens. Schon zu Schulzeiten war ein Leben ohne Sport für den Fitnessjunkie undenkbar. Damals spielte er noch Fußball. In dieser Zeit fand er die Motivation, mit dem Bodybuilding anzufangen: „Ich hatte damals einen Freund im Team, der Kraftsport gemacht hat. Der war extrem gut gebaut und hatte immer die hübschen Mädels an seiner Seite. Da dachte ich mir, das will ich auch.“

Nach dem Abitur studierte der gebürtige Berliner drei Jahre für den gehobenen Polizeivollzugsdienst und arbeitet heute hauptberuflich als Kommissar. Das Bodybuilding hat er deswegen nie vernachlässigt. Im Gegenteil: 2016 und 2017 wurde er deutscher Meister in der Men’s Physique Klasse. Bewertet wurden Muskelreife, Körperstruktur und Ästhetik. Die Erfolge führten zu einem gewissen Bekanntheitsgrad in der Szene. Über 1.300 Fitnessbegeisterte folgen René auf seinem Instagram-Channel. Dort lässt er seine Fans regelmäßig an Trainingseinheiten teilhaben, gibt ihnen Tipps für eine gesunde Ernährung und teilt so ein Stück seiner Euphorie mit ihnen.

Fitness-Influencer auf Instagram und YouTube

Ab und zu schaut er nach einer Übung auf’s Smartphone und checkt seine Nachrichten. Christoph und Rafael haben ihm geschrieben, zwei Freunde, die sich als Fitness-Influencer auf Instagram und Youtube einen Namen gemacht haben. Christoph (@Goeerki) hat mit knapp 80.000 Followern die größte Fanbase. Nur eine halbe Stunde später tauchen die beiden samt Kameraequipment im Studio auf und begrüßen René (@rene_richter) mit einem herzlichen „Na, du Lauch!“. Es bleibt nur wenig Zeit zu reden, da Christoph und Rafael (@rafaelmcstan) ein neues Video für ihre Fans drehen möchten.

„Jeder kennt das Hochgefühl, wenn man eine Klausur in der Uni zurückbekommt und richtig gut bestanden hat. Genauso ist es für mich, wenn ich im Training einen Schritt weitergekommen bin.“

Obwohl sie nur selten gemeinsam trainieren, verbindet alle drei die Leidenschaft für den Sport, der sie vor sechs Jahren zu Freunden gemacht hat. Damals lernten sie sich im „High-5“ kennen. „Das war Liebe auf den zweiten Blick“ scherzt Christoph, der seine Leidenschaft im Laufe der Jahre zum Beruf gemacht hat: „Es gibt nichts Schöneres als jeden Morgen aufzustehen, das zu machen, was einem am meisten Spaß macht und dabei auch noch Geld zu verdienen.“ Auch René verdient sich als Coach ab und an etwas dazu. Dass er mit dem, was er am besten kann, auch Anderen eine Freude bereitet, erfüllt ihn mit Stolz.

Fitness-Freundschaft: René im Gespräch mit den Influencern Christoph und Rafael

Nach dem kurzen Intermezzo setzt René das Training diszipliniert fort. Gezielt läuft er zu einem Gerät, das sich „Latzug“ nennt, weil damit der große Rückenmuskel, „latissimus“ auf Lateinisch, trainiert wird. Das Gefühl, das er bei den Übungen empfindet, vergleicht der Bodybuilder mit einem bekannten Szenario aus Schul- oder Unizeiten: „Jeder kennt das Hochgefühl, wenn man eine Klausur in der Uni zurückbekommt und richtig gut bestanden hat. Genauso ist es für mich, wenn ich im Training einen Schritt weitergekommen bin.“

Eine ausgewogene Ernährung ist extrem wichtig

Zweieinhalb Stunden später geht es nach Hause. In der modern eingerichteten Zweizimmer-Wohnung lassen nur die goldenen Pokale und der gut gefüllte Kühlschrank auf sein Lieblingshobby schließen. Wer viel trainiert, muss auch einiges essen, um den Kalorienhaushalt zu decken. „Das, was mich an meinem Sport so reizt, ist das direkte Feedback des Körpers. Wenn ich im Studio war, sehe ich sofort, wie meine Statur sich ändert, und das gleiche gilt auch für die Ernährung. Der Körper zeigt dir, was ihm gut tut und was nicht. Deswegen ist eine ausgewogene Ernährung extrem wichtig.“

Sich selbst bezeichnet René als „natural Bodybuilder“, da er weder Steroide noch Anabolika einnimmt. Eine strenge Diät hält er lediglich vor Wettkämpfen. Ansonsten halte er sich ausschließlich an seine eigenen Vorgaben. Für die meisten Bodybuilder ist Essen nur ein Mittel zum Zweck, nicht aber für René. Neben den Inhaltsstoffen spielt für ihn auch Genuss eine wichtige Rolle: „Ich liebe zum Beispiel Eis. Es gibt Phasen, in denen ich fast jeden Abend Eis esse und das würde ich mir nie verbieten.“ Zielstrebig nimmt René Gemüse und Hackfleisch aus dem Kühlschrank und kocht sich ein Menü, das alle wichtigen Makro- und Mikrostoffe, also Proteine, Kohlenhydrate und Vitamine abdeckt. Erst nach vier Tellern ist er satt. Das ist ein Grund, weswegen er nur selten im Restaurant esse: „Wenn ich essen gehe, brauche ich mindestens zwei Hauptgerichte, um wirklich satt zu werden. Das ist ziemlich teuer, deswegen koche ich fast immer selbst.“

Gesund und lecker: René kocht sich alle seine Menüs selbst

Das Bodybuilding nimmt einen großen Teil seiner Freizeit in Anspruch. Nach der Arbeit geht er direkt ins Studio. „Ich würde das alles natürlich nicht tun, wenn ich keine Euphorie dabei empfände. Manchmal werde ich gefragt, ob mir das viele Trainieren neben einer 40 Stunden Arbeitswoche nicht zu viel wird. Da sage ich dann auch, Leute, wenn mir das alles nicht mega Spaß machen würde, würde ich es doch wohl kaum so exzessiv praktizieren. Das ist eben meine Art von Entspannung.“

Zeit für Freunde und Familie findet er trotzdem noch. Heute Abend geht er auf eine Party. Auch wenn er danach wenig Schlaf bekommen sollte, wird morgen wieder trainiert. Das mag für andere nach Bestrafung klingen. Für René aber ist es pure Leidenschaft.

Bodybuilding

Im Jahr 1901 fand in London der erste Bodybuildingwettbewerb statt. Erst seit 1970 sind auch Frauen zugelassen. Das Bodybuilding wird zwar zu den Kraftsportarten gezählt, unterscheidet sich aber von den übrigen dadurch, dass es mehr um die Modifikation des Körpers, als um die reine Kraft geht. Bodybuilder präsentieren ihre Körper bei Wettbewerben, die in unterschiedliche Gewichts- und Größenklassen eingeteilt werden. In der Men’s Phsyique, eine Unterklasse des Bodybuildings, liegt der Fokus besonders auf der Ästhetik. Die Sportler werden hier nach den Kriterien: Muskelreife, Athletik, Symmetrie und Präsentation bewertet. 2013 wurde die Men’s Physique-Klasse in Deutschland eingeführt.

Fotos: © Eleonora Renn

 

Illustration: Heike Fischer

Illustration: Heike Fischer

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