Eine ältere Dame mit Migrationshintergrund inmitten deutscher Spießerkultur: Nuriye Ucan gehört eine der 9.442 Neuköllner Gartenparzellen. Naturnah, umgeben von großen Hecken und Lauben, hegt und pflegt die 64-jährige Türkin ihren Schrebergarten. Julia Neubüser sprach mit Nuriye Ucan über Gartenfreuden und interkulturellen Austausch in einem deutschen Kleingartenverein.
Eine Wohnsiedlung am S-Bahnhof Köllnische Heide. Der Kleingartenverein Kolonie Volksgärten Berlin-Neukölln wirkt wie ausgestorben. Das Wetter ist schuld. Ende Mai scheint der Sommer noch weit entfernt, es regnet Bindfäden. Die 10 Grad Celsius erinnern an Herbst, die Luft ist kühl und unliebsam.
Eine maschendrahtbespannte grüne Eisentür gibt einen schmalen Betonweg frei, an dessen linker und rechter Seite Gartenparzellen liegen. Nummer 114 wird von Nuriye Ucan aufgeschlossen. Ihr Garten wirkt sehr gepflegt. Gartenzwerge sitzen im Gras. Frau Ucan betätigt ein Rolltor, das eine Terrasse mit Stühlen und einer Bank freigibt.
Sie und ihr Sohn nehmen Platz, der Sohn übersetzt, falls der Mutter die Worte fehlen. Er nennt sie Mutti. Die ruhige, schüchtern wirkende Frau strahlt. Sie ist in ihrem Garten.
Frau Ucan, gibt es einen türkischen Begriff für das deutsche Wort „Schrebergarten“?
Ja natürlich. Auf Türkisch heißt das bahçe. Das bedeutet Garten.
Den Herrn Schreber gibt es so nicht?
Ich weiß es nicht. In der Türkei bin ich auf dem Land groß geworden. Es kann sein, dass es dort in der Stadt Schrebergärten gibt. Aber ich wohne ja nun auch schon 40 Jahre in Deutschland.
Welche Unterschiede gibt es zwischen einem Garten in der Türkei und einem Schrebergarten in Deutschland?
In der Türkei gibt es auch schöne Gärten. Aber nicht so schöne wie hier. In der Türkei pflanzen die Gärtner, um die Pflanzen dann zu essen. Also Kartoffeln, Bohnen, Gurken und vieles mehr. In Deutschland hat man neben dem Gemüse auch schöne Blumen in den Gärten.
Was hat der Garten für Sie für eine Bedeutung?
Für mich ist es in erster Linie ein Hobby. Manchmal auch ein Zuhause. Wenn ich in meiner Wohnung sitze und auf die Möbel gucke, ist das eintönig. Durch den Garten ist mir nie langweilig. Ich kann auf meine Blumen gucken und dann heißt es immer: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Mein Garten ist einfach schön.
Wie kamen Sie dazu, einen Garten zu unterhalten?
Ich liebe Blumen sehr. Und als ich noch keinen Garten hatte, bin ich hier vor Ort immer die Wege hoch und runter gelaufen. Ständig dachte ich: „Ach, wie schön es hier ist.“ Dann habe ich mich erkundigt, wie man an so eine Parzelle kommt.
Und wie kommt man an so eine Parzelle?
Ich habe eine türkische Gartenbesitzerin gefragt. Sie meinte, ich soll mich in einer naheliegenden Cafeteria erkundigen. Dann bin ich da mit meiner Tochter hingegangen. Wir waren uns unsicher. Wir dachten, dass die Nachbarn uns mit Kopftuch hier nicht haben wollen. Irgendwann kam dann doch das Angebot, eine Randparzelle für 10.000 Euro Ablösesumme zu pachten. Das war mir aber zu viel. Später kam ein besseres Angebot. Sogar für eine zentrale Parzelle.
Wann war das?
Das war 2006.
Der Schrebergarten gilt ja als Inbegriff des deutschen „Spießbürgertums“.
Ja das habe ich gehört. Mir gefällt das allerdings: Diese Regeln und Vorschriften, dass alles so seine Ordnung hat.
Viele assoziieren den Schrebergarten mit Gartenzwergen. Sie haben auch welche im Gras sitzen. Was kann man noch mit einem Schrebergarten verbinden?
Gartenzwerge sind gute Sachen. Aber auch Störche, gute Luft, Schönheit. Man kann im Garten seinen ganzen Stress vergessen. Und man hat nette Nachbarn, die einem „Hallo“ sagen.
Was für Nationalitäten haben Ihre Nachbarn?
Ich habe nebenan eine türkische Familie, eine Griechin und ganz viele Deutsche.
Unterscheiden sich deren Gärten voneinander?
Nein, das ist unabhängig von der Nationalität. Mal haben die einen keine Zeit, den Garten zu pflegen, mal die anderen. Das kann man nicht pauschal beantworten.
Inwiefern findet in der Kolonie interkultureller Austausch statt?
Anfangs musste man sich Zeit lassen, es gab auch ein paar Spannungen. Später haben wir uns alle gegenseitig geholfen, wir sind uns näher gekommen. Wir fragen uns, wie es läuft und was anliegt. Wenn einer zum Beispiel mit einer Pflanze nicht weiter weiß, berät man sich. Ich habe sogar Nachbarn auf die Hochzeit meiner Tochter eingeladen.
Wie gestaltet sich ein typischer Gartentag bei Ihnen?
Ich setze mich nie hin. Ich arbeite hier immer und gucke, was zu tun ist. Da ist mal ein Blatt trocken oder eine Blume kaputt. Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Ist Ihre Familie mit in den Gartenbetrieb eingebunden?
Ja, bei den schweren Sachen helfen mir meine Kinder mit. Ganz allein könnte ich das nicht schaffen. Meine Kinder mähen den Rasen oder schneiden die Hecken. Zudem gibt es zweimal im Jahr eine Mitgliederversammlung im Verein, da geht mein Sohn für mich hin. Für den Rest bin ich verantwortlich.
Worauf könnten Sie in Ihrem Garten niemals verzichten?
Auf meinen Mann. Wir sind immer zusammen in den Garten gegangen, um aktiv zu sein. Jetzt fehlt er mir hier sehr. Mir bleiben meine lieben Kinder. Aber auch auf meine Nachbarn und das Haus würde ich nicht verzichten wollen.
Worauf würden Sie gerne verzichten?
Definitiv auf das Unkraut in den Hecken. Das belästigt mich schon sehr. Es ist schwierig, das zu entfernen. Mit dem Rest komme ich gut klar.
Ein Leben ohne Garten ist für Sie undenkbar?
Es würde schon etwas fehlen. Schließlich liebe ich Pflanzen und Blumen. Es kommt aber natürlich darauf an, wie alt man ist und ob man gesundheitlich die Möglichkeit hat, den Garten weiterzuführen. Einer Nachbarin von mir ist auch der Mann gestorben und sie hat ihren Garten verkauft.
Worauf sind Sie in Ihrem Garten besonders stolz?
Die Terrasse ist schön. Die hat nicht jedes Häuschen. Hier kann man auch sitzen, wenn es regnet.