Gesichter der Uni: Etwa 0,7 Prozent der Weltbevölkerung arbeitet in der Luft. Noch weniger davon befassen sich mit dem Weltraum. Einen solch “luftig-anderen” Blickwinkel auf Berlin hat der Wissenschaftler Thomas Ruhtz.
Thomas Ruhtz’ Sohn hat schon mit drei Jahren erkannt, was Papa mag: Flugzeuge. Das selbstgemalte Bild mit dem schwarzen Flieger hängt noch immer in dessen Arbeitszimmer, obwohl es schon älter ist. Aber es trifft halt das Typische. Seit zwanzig Jahren arbeitet der promovierte Wissenschaftler jetzt am Institut für Weltraumwissenschaften der Freien Universität (FU) Berlin. Er erforscht Verfahren für zukünftige Satellitensysteme.
Obwohl wir in seinem Arbeitszimmer sitzen, spielt sich ein Großteil unseres Gesprächs in der Luft ab. Um Messungen durchzuführen, fliegt Ruhtz öfter in einem der beiden Flugzeuge des Instituts an verschiedene Orte: über Berlin bei Nacht, über der Ostsee oder über Griechenland. Das hänge ganz vom Forschungsauftrag ab, erklärt er. Durch seinen Beruf hat Thomas Ruhtz eine Perspektive auf Berlin, die den meisten verborgen bleibt.
Loveparade und Lichtspuren
Für sein letztes Projekt musste er das künstliche Licht über der nächtlichen Stadt messen. Besonders beeindruckend findet er den Potsdamer Platz mit dem Sony Center und den vielen bunten Lichtern. Auch die Straße des 17. Juni, die eine breite Lichtspur zum Brandenburger Tor legt, sehe aus der Luft sehr schön aus. Aber auch von unten gefällt dem Berliner, was er sieht. „Ich lebe gerne in Berlin. Eine sehr angenehme Stadt“, sagt er. Für ein halbes Jahr lebte er mal in der Nähe von San Francisco. Als zeitweiliger Aufenthalt sei das schon in Ordnung gewesen, aber dann habe er doch zurück nach Berlin gewollt. Hier hat er seine Wurzeln. Sein Zuhause, das war Reinickendorf. Mit seiner Familie ist er öfter zu seinen Verwandten in den Ostteil der Stadt gefahren.
Wenn der 46-Jährige an die vergangenen Jahre denkt, erinnert er sich auch an die Loveparade. „Die war damals sehr schön“, sagt er. Auch heute fällt ihm die junge Seite an Berlin auf: „Die vielen Clubs sind toll für junge Leute, und das Leben ist hier günstig im Vergleich zu anderen Großstädten.“ Am liebsten streift Thomas Ruhtz in Prenzlauer Berg durch die Cafés und Restaurants. Damit seine Kinder geschützter aufwachsen, ist er ins Berliner Umland gezogen, aber er schließt nicht aus, später einmal zurück ins Zentrum zu ziehen.
Auch gerne Kaffee am Boden
Thomas Ruhtz ist Laien gegenüber etwas skeptisch, wenn er von seinem Fachbereich spricht. Wenn er erklärt, was er macht, dann eher kurz und oberflächlich. Es sei manchmal merkwürdig, was Menschen da hineininterpretieren, die sich nicht mit der Materie auskennen, sagt er. Ganz so oberflächlich bleibt seine Erläuterung dann allerdings nicht. Er erzählt von neuen Messmethoden, Satellitentechnik und unterschiedlichen Flugobjekten.
Die FU hat sich zum Beispiel kürzlich einen ferngesteuerten Helikopter angeschafft. Da der Pilot am Boden bleibt, kann der Helikopter mehr Instrumente tragen. In Deutschland darf er zurzeit nur mit Ausnahmeregelung fliegen, aber eine entsprechende Gesetzesänderung wird gerade im Bundestag diskutiert. Solche neuen Methoden findet der Weltraumforscher höchst spannend. Er fliegt an sich schon gerne, aber es kann auch sehr langweilig sein, stundenlang über das Meer oder Wolken zu fliegen. „Da bleibe ich dann lieber am Boden und trinke einen Kaffee“, meint er.
Zwischen Glasbehältern und Studenten
Am Institut wird vor allem geforscht: „Eine Lehrverpflichtung habe ich zum Glück nicht“, sagt Thomas Ruhtz und grinst. Was er daran nicht mag, sagt er nicht, aber an den Studenten kann es nicht liegen. Mehrmals kommen junge Mitarbeiter in sein Büro, grüßen ihn, stellen Fragen. „Gehst du ins Labor?“, fragt er eine Studentin. „Da schaue ich auch gleich mal vorbei.”
Das Labor ist neu. Die Räume sind noch nicht fertig eingerichtet. Es stehen Kartons und Geräte herum. Hier sieht man einen Kabelsalat, da ein paar Glasbehälter. Jemand, der von der Weltraumforschung keine Ahnung hat, könnte das Labor ungemütlich und nichtssagend finden. Thomas Ruhtz nicht. Er wieselt von einem Raum in den anderen, zeigt auf neue und ältere Geräte. Wie sie mit der Zeit kompakter werden und an welchen Objekten er gerade herumbastelt.
Er ist begeistert. In einer Ecke findet er auch die Kisten, in denen der ferngesteuerte Hubschrauber verpackt war. Hier ist sein Revier: „Das ist eine sehr interessante und abwechslungsreiche Arbeit, die Spaß macht“, sagt er und bleibt nach unserem Gespräch gleich im Labor.
Dieser Artikel erschien in der Berliner Zeitung Beilage ‘Semesterstart’ vom 10. April 2012