Alle Artikel mit dem Schlagwort: Urbanität

Permanent provisorisch

Das Gesicht der Eingangspforte zum Berliner Ostkreuz wechselt beinah täglich. Wie ein totes Tier liegt ein dicker, aufgeweichter Haufen aufeinander geklebter Plakate auf dem Boden. Jeden Abend nach Einbruch der Dunkelheit fährt ein Fahrrad vor, Kleister und zusammengerollte Konzertankündigungen und auf dem Anhänger. Eine neue Schicht Papier wird über die alte tapeziert. Irgendwann gibt das instabile Konstrukt nach und bricht ab. Das Gesicht der Eingangspforte zum Berliner Ostkreuz wechselt beinah täglich. Vorbei an den Papierleichen gilt es sich schnell zu entscheiden. Das gleißende Sonnenlicht, das sich einem plötzlich entgegen wirft, darf dabei nicht stören. Wähle ich den links liegenden, asphaltierten Gehweg, oder den breiteren, tief durchfugten Pflastersteinweg? Denn schon kurz nach der Entscheidung wird einem ein Wechsel an regnerischen Tagen unmöglich gemacht. Eine breite, undurchsichtige, trübgraue Pfütze erstreckt sich zwischen dem Gehweg und den Pflastersteinen. Unüberwindbar. Darin schwimmen verwaiste und verstoßene Kaffeebecher. Jetzt wo es friert, werden sie in den schlammigen Eispfützen konserviert. Am Ende der Woche kann ich ihre Lage wie ein Sternbild deuten. Aus der Entfernung hallt es mir entgegen, das metallene Schnaufen …

Brücke in den wilden Osten

Wo Ostberlin noch richtig schön kaputt ist Umringt von sanierten Altbauten, Bioläden, Bars und Streetwear-Geschäften liegt ein magischer Ort, an dem Ost-Berlin noch so richtig schön kaputt ist. Die Modersohnbrücke in Friedrichshain überquert die Bahngleise, die den Ostkreuz-Neubau mit dem halb abgerissenen Bahnhof Warschauer Straße verbinden. Hier, zwischen Wagenburg, Hundespielplatz und Industriehöfen, verlaufen die Abflussrohre noch überirdisch und sehen jetzt im Winter, verziert mit zuckergussgleichen Schneehäubchen, besonders bezaubernd aus. Zu dieser Jahreszeit sind es vor allem junge Mütter mit ihren dick eingepackten Söhnen, die die Modersohnbrücke bevölkern, denn Züge gucken kann man hier so gut wie nirgends sonst in Berlin. Schon von weitem hört man die Kleinen frohlocken: „Ein ICE! Eine S-Bahn!“ Und wenn sich die Züge dann wie sanfte Riesen unter der Brücke hindurch schieben, umweht sie ein Hauch von Erhabenheit, der auch die Mütter in ihren Bann zieht. Im Sommer dagegen ist es mühsam, die Modersohnbrücke zu überqueren. Dann ist sie verstopft mit Wahlfriedrichshainern und Touristen, angelehnten Fixie-Bikes und leeren Sternburg- und Club-Mate-Flaschen. Letztere findet man auch im Winter noch, sie liegen auf …