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Ein E-Mail-freier Mittwoch

Die Redakteurin und Professorin Christina Tilmann, fotografiert von Piero Chiussi

Die gängige Smartphone-Nutzung schade der Live-Kommunikation, meint Christina Tilmann. Die Kulturredakteurin erinnert daran, wieso die persönliche Begegnung für guten Journalismus immer notwendig sein wird. 

Kulturschwarm: Wie häufig schauen Sie täglich auf Ihr Smartphone?
Christina Tilmann: Schon relativ häufig. Da müsste ich Stunden als Zeitangabe nehmen. Ich vermute mal zehnmal stündlich.

Wann ist das Smartphone Fluch, wann Segen?
Als Fluch empfinde ich es, wenn ich gerade konzentriert arbeite und zwischendrin Nachrichten bekomme, also in Versuchung gerate, auf das Smartphone zu schauen. Außerdem finde ich, dass durch die gängige Smartphone-Nutzung die Live-Kommunikation auf der Strecke bleibt. Es gibt kaum noch ein direktes miteinander Sprechen. Als Segen empfinde ich es dagegen, wenn ich unterwegs bin und mich informieren muss, Termine mache oder einfach auf einem schnellen Weg kommunizieren möchte.

Welche drei Apps können Sie empfehlen?
Keine, da ich Apps kaum nutze. Das Smartphone verwende ich eigentlich nur zum Telefonieren oder zum Schreiben von E-Mails.

Christina Tilmann war Kulturredakteurin bei “FOCUS” und “Tagesspiegel” und Redaktionsleiterin bei den Berliner Festspielen. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und Herausgeberin in Berlin und Brandenburg. Ihre Themenschwerpunkte sind Film, Bildende Kunst und Kulturpolitik. Seit 2004 lehrt sie am Studiengang Kulturjournalismus.

Wie prägt die Digitalisierung Ihr Berufsfeld?
Der Erstzugang zu all meinen Recherchen und angehenden Themen erfolgt über die digitale Form, also das Internet. Ich gucke zunächst, was es bereits an Informationen gibt, wer mögliche Ansprechpartner sind und welche Artikel dazu geschrieben wurden. Das kann ich alles schnell und einfach im Netz finden. Als ich Mitte der Neunziger Volontärin beim „Tagesspiegel“ war, gab es das in der Form noch nicht.

Was war damals anders?
Da hatten wir einen Computer für die gesamte Redaktion. Dafür wurde wesentlich mehr telefoniert. Persönliche Kontakte und Vor-Ort-Recherche spielten eine bedeutende Rolle. Heute sind die Informationen, die ich im ersten Schritt der Recherche erhalte, für alle gleich. Das bedeutet meine eigene Originalität ist erst im zweiten Schritt gefragt. Das mag vielleicht der demokratischere, schnellere und sicher bequemere Weg sein, ist aber gleichzeitig auch einer, der Originalitätsverlust bedeutet und die Texte austauschbarer macht.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Wenn ich zum Beispiel ein Portrait schreibe, lese ich zunächst, was für Portraits andere Journalisten geschrieben haben. Auf diese Weise ist schon sehr viel Meinung und sekundäres Material im Kopf, noch bevor die reale Begegnung überhaupt stattgefunden hat. Gute Portraits entstehen aber durch das direkte Kennenlernen einer Person und durch persönliche Erfahrungen. Hat man sie schon einmal interviewt oder getroffen, entsteht ein eigener Blick. Baut man den Text lediglich auf „Secondhand-Wissen“ auf, das nicht persönlich verifiziert wurde, ist der Weg für „Fake News“ geebnet. Das ist für mich keine journalistische Herangehensweise.

Print vs. Online. Was bevorzugen Sie?
Eindeutig Print. Ich brauche Papier und gedruckte Seiten, um konzentriert lesen zu können. Ich denke von der Schrift her und bin von Hause aus Leserin, Leserin, Leserin.  Meine Aufnahmefähigkeit ist digital wesentlich flüchtiger.

Was sollte noch erfunden werden, um Ihren Alltag angenehmer zu gestalten?
Der E-Mail-freie Tag. Es sollte ein analoger Tag in der Woche eingeführt werden. So, wie es eine Zeit lang den autofreien Sonntag gab, könnte es beispielsweise den Dienstag oder Mittwoch geben, an dem der E-Mailverkehr eingestellt wird. Ich glaube das wäre ein gesellschaftlich sehr interessantes Experiment.

Foto: ©Piero Chiussi

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