Medien, Stimmen zum digitalen Wandel
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Digitalisierung ohne orwellsche Dystopie

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Paul Brodowsky ist Autor von Erzählungen, Theaterstücken, Hörspielen und Essays. Seit dem Wintersemster 2013/14 lehrt er als Professor für „Dramentechnik“ im Studiengang Szenisches Schreiben an der UdK.

Kulturschwarm: Wie häufig schauen Sie täglich auf Ihr Smartphone?
Paul Brodowsky: Schätzungsweise 20 bis 30 Mal, nach dem Aufwachen, vor dem Schlafengehen, meistens in kleinen Wartesituationen, als Parallelhandlung und Nebenbei-Medienkonsum, so ähnlich wie Radiohören, in unterfordernden Situationen, also beim Zähneputzen meinetwegen. Aber leider auch immer mal zwischendurch, den Arbeitsfluss unterbrechend, wobei ich gewissermaßen immer mit mir ringe, dass das nicht überhand nimmt.

Was zeigt die Startseite Ihres Smartphones?
Die Startseite enthält nur die wichtigsten Apps: Wetter und Wecker, Kamera und Kalender, Shazam und Safari. Unwichtigeres oder strategisch zu Vermeidendes habe ich auf andere Screens verbannt. Das Hintergrundbild ist das voreingestellte. Vielleicht aus Faulheit. Aber eigentlich halte ich mich für einen ziemlichen Ästheten.

Sie verfassen Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele und Essays. Wie hat die Digitalisierung Ihre Arbeit geprägt?
Gute Frage, zu der man auch eine zweihundertseitige Abhandlung als Antwort schreiben könnte. Hier zwei Schlagworte: Ich finde das Schreiben am Computer – gegenüber dem Schreiben mit der Hand oder mit Schreibmaschinen- sehr angenehm. Das Internet ist ein großartiges Recherchewerkzeug.

Hilft Ihnen das Internet beim Recherchieren und Schreiben?
Gerade Abseitiges und nur assoziativ Verknüpftes findet man im Netz unglaublich rasch. Früher musste man Stammtische besuchen oder einschlägige Partei- und Vereinsversammlungen; heute schlägt sich das Stammtischgerede in Kommentarspalten verschiedener Medien, in Blogs und anderswo nieder. Das macht zumindest potentiell die Rezeption von Äußerungen von Menschen völlig anderer politischer Orientierung sehr viel einfacher. Das habe ich mir durchaus für einige meiner Texte, etwa für das Stück „Intensivtäter“, zu nutze gemacht.

In welchen Arbeitsphasen meiden Sie das Surfen im Netz?
Für konzentrierte (Buch-)Lektüren. Für Schreibphasen, d.h. Phasen in denen ich ganz konkret Text niederschreibe. Teilweise habe ich dabei mit Apps wie Freedom experimentiert, die für einen selbst zu wählenden Zeitraum den Zugang zum Netz unterbinden.

Was bedeutet die fortschreitende Digitalisierung Ihrer Ansicht nach für den Berufstand der Autor*innen?
Ich bin überzeugt, dass wir mit der Digitalisierung noch ziemlich am Anfang einer Entwicklung stehen, die ähnliche Auswirkungen auf die Geschichte der Menschheit haben wird, wie die Erfindung des Buchdrucks.Welche Auswirkungen das in 10, 20 oder 100 Jahren auf den Berufsstand der Autor*innen haben wird, kann man von heute aus kaum überblicken. Sicherlich werden komplexe Tätigkeiten wie das Verfassen eines Textes in absehbarer Zukunft noch nicht durch Maschinen möglich sein – ganz gleich ob es ein Fiction oder Non-Fiction-Text ist. Insofern werden gute Autor*innen vermutlich weiter gefragt sein, anders als Busfahrer*innen, Fließband*arbeiterinnen oder vielleicht auch Eisverkäufer*innen.

Wohin führt uns das Digitale – in die absolute Freiheit oder die absolute Abhängigkeit?
Auch das wird sich erst zeigen. In einer kapitalistischen Weltordnung wird die Digitalisierung wohl eher nicht mehr Freiheit bringen, anders als es einige der frühen Netz-Pionier*innen etwa glaubten. Trotzdem ist der freie Zugang zu Informationen erstmal etwas Gutes. Wie wir die negativen Auswirkungen der Digitalisierung in den Griff bekommen, müssen wir uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erarbeiten, eben damit die Digitalisierung nicht in eine orwellsche Dystopie führt.

Foto: Ruth Feindel, Screenshot: Paul Brodowsky 

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