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Kunst im Bunker

Das laute Surren kalter Neonröhren, das monotone Ticken einer Uhr, das Schleifen vertrockneter Äste auf Beton und der Geruch von frischem Popcorn: Ein massives Labyrinth aus Beton und Stahl, das erst durch den Einsatz aller Sinne in seiner Gänze erfahrbar wird. Die Ausstellung der Sammler Karen und Christian Boros zeigt auf 3000 Quadratmetern im Berliner Hochbunker zeitgenössische Kunst im Einklang mit ihrer Ausstellungsarchitektur.

In den engen Gängen des dunklen Eingangsbereichs liegen bis zu drei Meter lange, massive Baumstämme. Der Besucher muss sich anpassen, ausweichen, Umwege gehen. Hier zeigt sich das enge Zusammenspiel der Architektur des Bunkers aus der Zeit des Nationalsozialismus mit den Werken der ausgestellten zeitgenössischen Künstler: Das „Berliner Treibholz“ von Olafur Eliasson leitet den Besucher durch die verschachtelten Gänge und bildet einen Kontrast zum kalten Beton, der den Eintretenden empfängt.

Mit den Ohren sehen

Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Klanginstallationen. Schon im Eingangsbereich tönt das unnatürlich laute Surren von Neonröhren: Das Werk von Alicja Kwade, deren Installationen fast die gesamte erste Etage einnehmen. Mikrofone nehmen das Brummen der Lampen ab und übertragen es über Lautsprecher. Die Ausstellungsbesucher können sich von ihrem Gehör leiten lassen, die Räume nach und nach erschließen – fast intuitiv. Auch die Installationen von Michael Sailstorfer arbeiten mit Sound: Das Kratzen vertrockneter Äste auf dem Boden eines kopfüber hängenden Baumes, das leise Ploppen und der intensive Geruch von Popcorn, das aus einer großen Maschine fällt, das Schleifen eines endlos rotierenden Autorades, das sich vollkommen an der Bunkerwand aufzureiben scheint.

Vom Bananen-Bunker zum Techno-Club

Im Boros-Bunker wird seit 2008 Kunst hinter knapp zwei meterdicken Mauern präsentiert. Im Rhythmus von vier Jahren zeigen die Sammler zeitgenössische Kunst: raumgreifende Plastiken, Installationen, Malerei, Fotografie. 1941 von Architekt Karl Bonatz zum Schutz vor Bomben für etwa 1200 Menschen entworfen, wurde der Kubus mit den florentinischen Bänken vielfach zweckentfremdet: Nach dem Zweiten Weltkrieg fungierte der Bunker – von der Roten Armee besetzt – als Kriegskriegsgefängnis, ab 1957 wegen seiner konstanten Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit als Lagerraum exotischer Früchte. In den 90er Jahren wurde der Hochbunker zum Techno-Club, der das Innere des Bunkers nachhaltig prägen sollte: Zahlreiche Graffitis und die schwarzen Wände des ehemaligen Darkrooms sind noch heute deutlich auszumachen.

Karen und Christian Boros wollen mit der Ausstellung die Geschichte des Bunkers fortführen – deswegen wurden die Graffitis nicht entfernt und nur wenige Wände der Ausstellungsfläche weiß gestrichen. Nicht nur die Architektur, auch die Kunst hält die Erinnerung an die Geschichte des Bunkers wach: Wolfgang Tillmanns Portraits von DJs aus der Technoszene der 90er Jahre referieren direkt auf seine Vergangenheit als Club und lassen diese für einen kurzen Moment wieder lebendig werden.

Kunst im und mit dem Bunker

Künstler wie Thea Djordjadze haben ihre Kunst ganz dem Bunker angepasst und nach ihm ausgerichtet. Risse, Fugen und Muster in den steinernen Wänden werden im Werk weitergeführt, imitiert und verändert. Auf diese Weise muss der Rezipient nicht nur das Kunstwerk allein sondern den gesamten Raum, dessen Wände, den Boden erschließen: Kunstwerk und Ausstellungsraum verschmelzen zu einem großen Ganzen.

In einer anderen Etage lässt das Berliner Künstlerduo Manon Awst und Benjamin Walther den passiven Betrachter zum aktiven Handelnden werden: Ein meterlanges bronzenes Rohr durchbricht gleich drei hintereinander liegende Räume und verbindet sie miteinander. Andere Metallrohre laufen quer durch den Raum, mal knapp über dem Boden, mal auf Brusthöhe. Die Besucher werden aufgefordert zu reagieren, müssen die Rohre übersteigen oder unter ihnen hindurchklettern.

Gegenüber eines tennisballgroßen, kreisrunden Lochs in der Außenwand des Hochbunkers, das den Blick auf einen Baum außerhalb der Bunkermauern freigibt, steckt ein bronzefarbener Pfeil. Gibt der Besucher die Distanz zum Kunstwerk auf, begibt dieser sich direkt in seine unsichtbare Schusslinie. „The Line of Fire“ von Awst und Walther wurde konkret für diesen Raum, für diese winzige Öffnung geschaffen, deren Existenz bis heute ein Rätsel ist. Das Künstlerduo lenkt unseren Blick auf die Achilles-Ferse des massiven Baus und zielt darauf mit dem Pfeil des Paris: Der Bunker, der mit seinen meterdicken Wänden zum Schutz von Menschen gebaut wurde, konnte Bomben trotzen, die Kunst jedoch scheint diesen durchbrechen zu können.

 

  • © Michael Sailstorfer: Zeit ist keine Autofahrt, Frankfurt 2008, Foto: NOSHE

 

Titelbild: Thomas Cloer/flickr

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