Ost*Berlin
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Ost*Berlin – Zur Entstehung des Magazins

Foto Annett Gröschner und Christina Tilmann
Die Projektleiterinnen Annett Gröschner (links) und Christina Tilmann am Abend der Veröffentlichung des Magazins "Ost*Berlin" im Märkischen Museum Berlin (Foto: Isabella Nadobny)

In den kommenden Wochen werden viele Inhalte des Magazins “Ost*Berlin” auf Kulturschwarm zu lesen sein. Ein Projekt, das im Studiengang Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin entstanden ist, geleitet von den Journalistinnen Annett Gröschner und Christina Tilmann. Anlässlich der Veröffentlichung baten wir sie um ein resümierendes Gespräch.

Der Titel unseres Magazins ist „Ost*Berlin“. Welche Bedeutung hat er für euch?

Annett Gröschner: Es gab immer ganz verschiedene Schreibweisen für Ostberlin oder Westberlin. Mal waren sie ideologisch, mal historisch oder geografisch. Für uns war die Frage: Wie schreiben wir Ostberlin? Schreiben wir es nach dem Duden oder schreiben wir es aus einem politischen Blickwinkel, mit oder ohne Bindestrich? Dass wir dann den Titel „Ost*Berlin“ mit Sternchen gefunden haben, fand ich einen schönen Blick in die Gegenwart: Diese alten Kämpfe spielen keine Rolle mehr, um den Duden kümmern wir uns auch nicht, sondern wir erfinden jetzt etwas Neues. Zu sagen: „Das hier ist das Sternchen, das ist eine Lücke und da ist ganz viel drin verborgen, was wir außerdem noch erzählen könnten“ ist eine Öffnung.

Christina Tilmann: Für mich steht das Sternchen ganz stark für eure Generation und für euren Zugang. Zu meiner Anfangszeit im Journalismus, etwa im Volontariat in den 1990er-Jahren, hat das noch keine Rolle gespielt. Es ist eine klare Setzung, aus welcher Zeit das Magazin stammt. Daneben kennzeichnet es einen neuen Blick auf Ost-Berlin. Den Versuch, mehr nach Diversität zu suchen statt nach dem Typischen und Einheitlichen. Möglichst verschiedene Lebenswelten und Aspekte abzubilden.

Annett Gröschner: Es kann natürlich auch die Lücke sein, die der Teufel lässt (lacht).

Manche verstehen vielleicht nicht ganz, was es bedeuten soll …

Christina Tilmann: Es ist etwas um die Ecke gedacht und eine neue Setzung in der Debatte. Auch glaube ich, dass das Sternchen immer noch eine Provokation ist, sowohl positiv als auch negativ.

Annett Gröschner: Dann gibt es eine Diskussion, eine Auseinandersetzung, es wird darüber geredet – das ist genau das, was wir wollen.

Unsere Themen im Magazin sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Gefällt euch die Auswahl?

Christina Tilmann: Sie hat viel mit euch zu tun. Das war uns wichtig, dass jede*r von euch einen persönlichen Zugang zum Thema findet. Klar, mich hätten auch viele weitere Themen interessiert, aber das wären dann meine Themen gewesen und nicht eure. Die Mischung, die entstanden ist, finde ich sehr anregend. Es sind viele verschiedene Aspekte, die die ganze Bandbreite des Kulturjournalismus abbilden: Stadtplanung, Kino, Musik, Fotografie.

Annett Gröschner: Und es gibt eindeutige Hinweise im Magazin, die zeigen, dass es wirklich von eurer Generation ist. Zum Beispiel, dass Diversität und auch Identität eine viel größere Rolle spielen, als sie es vor zehn Jahren gespielt hätten. Dieses Augenmerk etwa auf das schwule oder lesbische Ostberlin, das ist ein Blick, der früher eigentlich immer ein Blick vom Rande war. Im Magazin ist er in den Mittelpunkt gerückt, was ich für eine interessante Entwicklung halte.

Christina Tilmann: Insofern ist die Themenwahl des Magazins vielleicht für manche, die Ost-Berlin noch erlebt haben, etwas befremdlich und ungewohnt. Aber ich finde das gerade gut und aus eurer Situation auch das einzig Ehrliche und Richtige, was man machen kann. Ihr schreibt schließlich über eine Zeit, die ihr selbst nicht erlebt habt.

Aus unserer Gruppe hat nur einer einen direkten Ostberlin- oder auch DDR-Bezug. Meint ihr, das hat die Erstellung des Magazins erschwert oder hat es vielleicht auch frischen Wind reingebracht?

Christina Tilmann: Vielleicht wäre eine stärkere Mischung von ost- und westdeutschen Hintergründen etwas ausgewogener gewesen für die Diskussionen in der Gruppe. Ich hatte den Eindruck, für euch war es am Anfang schon schwer, einen Zugang zu einem Thema zu finden, das ihr euch nicht ausgesucht habt und wo ihr euch als Neu-Berliner*innen auch nicht richtig auskanntet. Aber das, was dabei herausgekommen ist, zeigt, dass ihr euch richtig reingekniet habt – großen Respekt dafür!

Man könnte meinen, die Themen Ostberlin und DDR sei zu staubig …

Annett Gröschner: Vieles davon kann aus der Sicht der heutigen Generation staubig wirken. Ist ja logisch. Es ist viele Jahre her. Ich habe einen Sohn, der ist genauso alt wie ihr, der ist quasi der letzte DDR-Bürger, 1989 geboren. Er hat damit auch nicht mehr so viel zu tun. Aber trotzdem bleiben ja Sachen, die auch immer weitergetragen werden, die jetzt gar nichts mehr mit der Zeit vor 1989 zu tun haben, die aber so als Tradition weitergeführt werden. Es gibt in dem Magazin sehr diverse, unterschiedliche und persönliche Herangehensweisen an das Thema. Es werden viele Facetten beschrieben, die ich so nicht erwartet habe.

Ihr habt uns sehr bewusst an das Thema herangeführt, mit Exkursionen, Ausstellungsbesuchen, Film- und Buchtipps. Seit mehreren Jahrzehnten beschäftigt ihr euch schon mit Ostberlin. Annett, du warst sozusagen unsere Go-to-Zeitzeugin. Gibt es noch Dinge, die euch zu diesem Thema überraschen oder neu für euch sind?

Annett Gröschner: Auf jeden Fall. Schon allein die ganzen Archive, die noch voll sind mit Geschichten, die nicht gehoben worden sind. Da weiß ich: Das schaff ich gar nicht mehr, da müsste ich 130 Jahre alt werden.

Christina Tilmann: Ost-Berlin ist lange nicht auserzählt und es gibt immer noch neue Zugänge zu bereits Bekanntem. Was mich überrascht, ist, dass immer noch Fronten bestehen. Dass man 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch hitzig über so ideologische Fragen wie „Wie schreibt man Ost-Berlin?“ diskutiert. Da muss man wohl diese Unterschiedlichkeit stehen lassen, wenn man sich nicht auf eine Schreibweise einigen kann, und muss das aushalten. Deshalb haben wir hier im Interview auch die unterschiedlichen Schreibweisen bewusst beibehalten.

Also gibt es noch viel zu erzählen in der Zukunft …

Annett Gröschner: Es gibt so Blicke auf Ostberlin, gegen die ich allergisch bin, etwa Filme wie „Das Leben der Anderen.“ Man beutet das Thema aus, um berühmt zu werden. Aber ich finde, der Blick der nächsten Generation ist immer wichtig! Das ist ja das, was weitergetragen wird und ich finde es gut, wenn man sich damit beschäftigt. Meine Generation hat sich am Zweiten Weltkrieg abgearbeitet, den haben wir auch nicht erlebt. Da haben wir versucht, unseren Blick zu schärfen. Warum solltet ihr das nicht mit Ostberlin machen?

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Kategorie: Ost*Berlin

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