Musik
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Ratespiel in Lalaland

Ein Konzertabend mit Igor Levit und Variationen in der Berliner Philharmonie.

Sich in einem klassischen Konzert daneben zu benehmen, wird immer schwerer. Im Kammermusiksaal darf heute Abend auch mal gehustet und geschnarcht werden und ja, sogar ein Igor Levit darf pfeifen und den Flügel mit zärtlichen Klapsen beehren. Die Kuppel der Berliner Philharmonie beugt sich über ihn wie eine riesige Blüte mit ausladenden Stempeln, als würde sie sich ganz weit auffalten, um der Musik zu lauschen.

Levit wagt sich an diesem Dienstagabend an ganz sonderbare Werke heran. Im ersten Teil des Konzertes greift er Beethovens Humor auf und spielt mit ironischer Fingerführung dessen 33 Diabelli-Variationen. Ein bisschen wie das Presto Scherzando macht er denen eine lange Nase, die sich bereits davor an den Stücken versucht haben. Lässig lässt er zwischendurch mal eine Hand sinken, reibt sich die Nase, schwingt den Kopf. Bevor er in die Tasten greift, bringt er sich mit Fingerreiben und Fäuste ballen in die richtige Stimmung. Dann legt er los. Auch ein bisschen dick aufgetragen, so wie Beethoven damals. Als der Komponist und Musikverleger Diabelli 1819 alle großen Komponisten um eine Variation seines kleinen Walzers bat, tischte ihm Beethoven ganze 33 Variationen auf.

Fest steht: Bei so viel Körpereinsatz Levits, braucht es einen guten Physiotherapeuten. Aber dank dieser kleinen Showeinlagen ist es nicht schwer die einzelnen Miniatursätze voneinander zu entscheiden. Doch halt! War das jetzt noch das Allegro con brio, oder schon das molto? Und bei Beethovens Überheblichkeit ob der simplen Kompositionsaufgabe von Diabelli, würde es auch nicht wundern, wenn zwei Variationen identisch wären, hat man doch nach geraumer Zeit Déjà-Ecoutés im Ohr, um ein schiefes Bild zu bemühen. Ein unterhaltsames Ratespiel um die Sätze entbrennt.

Nach der Pause, bei The People United Will Never Be Defeated! von Frederic Rzewski macht das schnell keinen Sinn mehr. Viele der zeitgenössischen Sätze sind namenlos und damit die eigene Fantasie gefragt. Das Thema, das chilenische Protestlied El pueblo unido jamás será vencido! von Sergio Ortega, ist herrlich eingängig und lässt seltsamerweise tatsächlich an die Titelmelodie des Films Lalaland denken. Zunächst ganz zarte, beschwingte Töne, die zu einer mächtigen Dichte an Akkorden heranwachsen. Es ist fast schade, dass es in seiner Gänze erst wieder am Ende erscheint. Hat das Publikum es gerade in den Variationen wiedererkannt, sodass schon ein bisschen Freude aufflammt, verliert es sich schon wieder in experimentellen, filmmusikartigen, fast jazzigen Tonfolgen.

Leider scheint sich auch Levit mit dem Thema verabschiedet zu haben. Tapfer arbeitet er sich durch die Notenblätter, bewegt seine Finger in beachtlicher Geschwindigkeit und doch gerade noch mit der nötigen Langsamkeit, damit die Töne überhaupt voneinander unterscheidbar sind. Doch er hat noch ein paar Asse im Ärmel, um sich die Aufmerksamkeit des Saals zurückzuerobern. Wer hat denn gesagt, dass man als Pianist nur mit den Fingern Musik machen kann? Levit gibt bellende Laute von sich, er pfeift wie auch ein Ryan Gosling in Lalaland zur Musik, er stampft auf die Pedale, schlägt auf den Flügel, klatscht in die Hände. Beethoven hätte sich vermutlich gut amüsiert. So hat sich Levit am Ende den aufbrandenden Applaus mit Standing Ovations zweifellos erarbeitet und das gar nicht mal so alte Publikum einen Ohrwurm, wie nun ja, nach Lalaland.

Foto: Robbie Lawrence

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