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Me, myself and I

Im Internet zerfallen wir zu unendlich vielen Alter Egos von uns und verlieren dabei uns selbst. Der französische Philosoph Jean Baudrillard sah dieser Entwicklung mit seiner Theorie über das fraktale Subjekt schon 1988 pessimistisch entgegen.

Schauen wir in einen Spiegel, wirft er uns ein Bild von uns selbst zurück. Schauen wir auf einen Bildschirm, verbergen sich dahinter unzählige Abbilder von uns selbst. Seien es Fotos oder Texte, die im Internet kursieren oder auf unserem Computer und Smartphone abgespeichert sind.

Laut einer Studie von ARD und ZDF nutzten 2016 26% der deutschsprachigen Internetnutzer über 14 Jahre täglich Facebook. 8% von ihnen Instagram, 5% Snapchat, 2% Twitter, 1% der Männer jeweils Linked-in und Xing. Die Profile auf diesen sozialen Netzwerke (Socialbots einmal ausgenommen) repräsentieren einen Menschen vor dem Bildschirm, einen Menschen der durch diese Plattformen in Informationen und Bilder zerfällt. Der französische Philosoph Jean Baudrillard bezeichnete dieses neuartige Subjekt 1988 in seinem Vortrag auf dem Symposium „Philosophie der neuen Technologie“ in Linz, als das fraktale Subjekt, das Subjekt, das in viele winzige Stücke zerbricht. Das einstige Spiegelbild, in dem wir uns selbst erkannten, zerspringt im Bildschirm in tausende Kleinteile.

„Ein eigentümlicher Narziss“

Jean Baudrillard

Durch Copy und Paste lassen sich Informationen über uns in Sekundenschnelle duplizieren, wir können uns auf den verschiedenen Plattformen mehrere Accounts erstellen und wir können sie auf den unterschiedlichen Interfaces abrufen, sogar gleichzeitig. Ist es nicht ein befremdliches Gefühl ein Foto von sich zur gleichen Zeit auf einem Computer und einem Smartphone zu sehen? Wir sind nicht mehr dieses eine Abbild unserer selbst, das fraktale Subjekt kann sich beliebig oft reproduzieren und in sich selbst weiter ausdifferenzieren. Es entstehen viele, gleichartige Alter Egos von unserem eigenen Ich, die überall im Netz und auf allen Bildschirmen existieren können. Ein „eigentümlicher Narziss“ ist das, der nicht mehr nach dem vollendeten einen Abbild von sich selbst sucht, sondern nach „endloser genetischer Reproduktion“, so Baudrillard.

Die Frage, ob die virtuellen Abbilder nun real oder irreal sind, stellte sich dem Philosophen nicht. Für ihn war es vielmehr eine neue Dimension, in der diese Übergänge verschwimmen. Reden wir mit jemandem auf Skype, vergessen wir die Bildschirme, die zwischen uns geschaltet sind. Sie verschwinden regelrecht. Es ist, als wären wir mit der Person auf dem Bildschirm in einem Raum. Eine Art Telerealität entsteht, ein Ort an dem sich virtueller und realer Raum kreuzen.

Auch der Übergang von Mensch und Maschine ist dadurch nicht mehr eindeutig. Reden wir mit einem echten Menschen, oder mit einem Video auf Bildschirm? Die Maschine ist ganz im Sinne von Marshall McLuhan unsere Prothese geworden. Sie ist ähnlich wie Kontaktlinsen und Brillen fest in unseren Körper integriert, der selbst zu einem Netzwerk von Prothesen wird, das um uns kreist. Eine Körperhülle vor dem Bildschirm, während wir selbst im telerealen Raum herumspuken. Für Baudrillard „ist der Mensch heute selbst – samt seinem Körper, seinem Denken und seinem Lebensraum – ex-orbitant, ein Satellit geworden. Er ist nirgendwo mehr heimisch, er ist aus seinem eigenen Körper […] herausgedrängt.“ Unser Gehirn arbeitet nun über Textverarbeitungsprogramme und mit dem Aufkommen von Künstlichen Intelligenzen, werden wir auch bald das Denken abgeben können.

Ein Kurzschluss, der alles stilllegt.

Was passiert aber mit uns Menschen vor dem Bildschirm? Während unsere Abbilder sich immer weiter im Internet reproduzieren, bleiben wir reglos vor dem Bildschirm sitzen. Während es uns vorkommt, als wären wir in den sozialen Netzwerken mit Menschen im Kontakt, als könnten wir sie gar berühren, ist es so nicht. Wir sitzen alleine vor einem Bildschirm, der uns nah und fern zugleich erscheint. Der virtuelle Bildschirm, das virtuelle Abbild eines Anderen oder uns selbst bleibt für uns unerreichbar. Wir können immer näher an den Bildschirm heranrücken, es werden sich nur weitere Kleinteile in Form von Pixeln auftun. Wir können ihn anfassen, aber es wird nur ein weißer Fleck entstehen. Und so bleibt es ein Kontakt und eine Berührung mit einer Maschine.

Für Baudrillard wird deshalb das Spiegelstadium, unter dem der französische Psychoanalytiker Jaques Lacan die Entwicklungsphase des Ichs bei einem Kind verstand, vom Videostadium abgelöst. Es geht nun nicht mehr darum, sich in dem einen Abbild im Spiegel als sich selbst zu erkennen, sondern vielmehr darum, stets mit allen kontinuierlich wie ein Video an uns vorbeiziehenden Bildern und Informationen von sich in der Maschine verschaltet zu sein. Wenn jedoch Gleiches an Gleiches angeschlossen wird, entsteht ein Kurzschluss. Ein Kurzschluss, der zwar kurz Funken schlägt, aber alles stilllegt. Statt Kommunikation mit einem Anderen, besteht nur noch eine Beziehung unter Bildschirmen und eine Wechselwirkung mit sich selbst.

Diese Diagnose Baudrillards von vor 19 Jahren mag vielleicht noch nicht voll und ganz zutreffen, viel zu stark ist noch die Interaktion zwischen uns Menschen, die ganz ohne Bildschirme abläuft. Dennoch verirren sie sich mehr und mehr in unsere Kommunikation. Neben E-Mail-Adresse und Passwort müssen wir inzwischen auf manchen Portalen angeben, ob wir ein Mensch oder kein Roboter sind. Und manchmal, sollten wir uns fragen, ob wir in ein paar Jahren noch eine so genaue Antwort darauf geben können, wenn wir unsere Kommunikation immer mehr auf die schnelllebigen Kanäle der sozialen Medien verlagern. Kein Facebookchat, kein Twittertweet, kein noch so ausgiebiges Skype wird am Ende die Kälte und Einsamkeit vor dem Bildschirm auf Dauer erträglich machen und so den anderen Menschen ersetzen können.

Fotos:  dudes von joeypedras unter CC BY-NC-SA 2.0, Robert Croma: Jean in Soho unter CC BY-NC-SA 2.0

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Kategorie: Medien

Stella Schalamon

Vielleicht liegt es daran, dass sie quasi in Zeitungsbergen aufwuchs, jedenfalls ist für Stella Schalamon die mit intuitivste Art sich zu äußern das Schreiben. Schreiben, das ist für sie wie kochen: Man schmeckt die Worte auf der Zunge und guckt, was gut zusammenpasst. Die zukünftige Filmemacherin aufregender Reportagen oder Schriftstellerin liebt Kunst, Kino, Sterne und Bienen.

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